Inhalt der Printausgabe

GELD & MEHR

Wie importierter Antisemitismus der deutschen Wirtschaft schadet

Die deutsche Antisemitismusbranche hat ein Problem. Und das kommt, wie immer, aus dem Ausland. Nach importierten Bienen, importierten Äpfeln und importierten Frauen drängt sich ein weiteres Importprodukt auf den Markt, das Deutschland eigentlich auch alleine in ausreichendem Maß herstellen könnte: Antisemitismus. Die Folgen der Einfuhr sind verheerend und zersetzen die deutsche Heimatidylle.

Es mutet fast wie eine Verschwörung an. Jahrhundertelang war Deutschland Exportweltmeister in Sachen Antisemitismus, doch seit einer Weile sprechen die Zahlen, laut Experten, eine ganz andere Sprache. Nämlich Arabisch. Von überall aus dem Ausland kommen Billigimporte des weltweit beliebten Gedankenprodukts nach Deutschland und verwässern den Markt, klagen die Arbeitnehmervertreter der deutschen Haßarbeiter. Folge ist ein gesteigerter Konkurrenzkampf unter ehrlichen Antisemiten, die immer weniger von den verdorbenen Früchten ihrer Arbeit leben können. Eine Bedrohung für einen ganzen Industriezweig. Schuld sind laut Ökonomen die steuerrechtlichen Einschnitte der letzten Jahre, die Einführung des Euros, die Gewerkschaften und die Juden.

Die veränderte Situation trifft die Betroffenen hart. Seit dem Wirtschaftswunder von 1933 sind die Deutschen mit steigen­dem Angebot bei stetig wachsender Nachfrage in Sachen Antisemitismus aufgewachsen. Die Jobs beim »Spiegel« und der »Süddeutschen Zeitung« waren unbefristet, und man hatte die Sicherheit, auf solider Basis eine Zukunft planen zu können, einen Einfamilienbunker zu bauen, eine Familie zu züchten und neue Antisemi­ten in die Welt zu werfen. Man kannte sich, ob im Werk oder in der Kneipe, grüßte sich fröh­lich mit gestrecktem Arm und ging dick, satt und zufrieden in den Ruhestand, wo man sich zu Hause von ­seiner polnischen Haushälterin die Füße kitzeln und dabei den neuesten ­Martin Walser vorlesen ließ. Dann kam die Krise – danke, ­Merkel! – und der Heimatfilm begann zu ­reißen. Das einst so glanzvolle Produkt aus deutscher Fertigung, es kommt seit einiger Zeit als Billig­version vom Ausland her und gefährdet den deutschen Wohl-stand. Der deutsche Anti­semitismus, lediglich ein Haßprodukt unter vielen?

»Nein!« sagt Agob Jaukstein. »Der deutsche Antisemitismus ist ein Traditionsfabrikat. Er besteht seit jeher aus einem Drittel Wahnsinn, zwei Dritteln pathischer ­Projektion und noch einmal einem ­Drittel spezifisch ­deutscher Geisteskraft. Unser Reinheitsgebot sieht keinerlei ­ausländische Zutaten vor. Die Arbeiter dürfen sich nicht am Gängelband der Multis und der Anbieter aus dem Ausland herumführen und sich von der Israellobby gaga und bubu oder gar düdeldü machen lassen.«

Das boomende Importgeschäft bringt ein ganzes Land in ökonomische und kulturelle Schieflage. Ehrliche Anti­semi­tismusproduzenten geraten zusehends ins Abseits. Und damit die hiesige Wirtschaft und somit jeder einzelne hart arbeitende und hassende Bürger im Land. Profitieren wird wieder nur einer, nämlich ████████ ████████████✡✡.

Zu dieser mißlichen Ausgangsposition gesellen sich die veränderten Produktions- und Vertriebsbedingungen. Die Technologisierung hat den Markt Ende der 90er noch einmal grundlegend umgewälzt. Mit dem Siegeszug des Internets ist Antisemitismus für alle verfügbar geworden, jeder kann ihn sich legal kostenfrei herunter­laden. Kaum einer möchte noch dafür bezahlen, sich den ­deutschen Volkszorn um die Ohren wehen zu lassen. Das Verständnis dafür, daß darin urdeutsche Geistesarbeit steckt, es schwindet. Und: Waren früher viele irre Hände daran beteiligt, ein antisemitisches Vorurteil zu fertigen und an den Mann zu bringen, genügt heute meist eine ­geisteskranke Einzelperson am Computer, um Kommentarspalten zu fluten und ­Tausende Verbraucher zu erreichen. Von dieser Effi­zienz hatte man in Deutschland bisher nur geträumt. Und während Sie diesen Text hier lesen, arbeiten die Großkonzerne an der Ostküste der USA bereits an Fertigungsrobotern, die gänzlich ohne menschliches Zutun und dank künstlicher Demenz in der Lage sind, deutsche Kabarettnummern in bis zu hundert­zwanzigfacher Geschwindigkeit herzustellen.

Ergo: Es sieht schlecht aus im Schlachthaus. Das deutsche Traditionshandwerk Anti­semitismus ist in Gefahr und gehört gerettet, sagen die einen. Das entführte Christenkind ist längst in den ­vergifteten Brunnen gefallen, sagen die anderen. Was also tun?

Hoffnung keimt in den progressiven Kiezen der Großstädte auf. Dort, wo sich ­einzelne engagierte Bürger wieder Gedanken machen wollen, darüber, wo ihre ­Vorurteile herkommen. In sogenannten Hate-Local-Communitys tauschen Ehren­amtliche nachhaltigen Antisemitismus aus und haben Tauschbörsen installiert, über die sie sich aushelfen und mit Ressentiments beliefern, die garantiert aus deutschen Hirnwindungen stammen. Ein Modell von vielen, die auf internationaler Ebene momen­tan noch keine Rolle spielen. Bis jedoch eventuelle staat­liche Maßnahmen greifen, schärfen sie vielleicht das Bewußtsein dafür, daß Deutschland ohne Antisemitismus nicht Deutschland ist. Die Lage bleibt ernst. Wenn jetzt noch die Chinesen auf den Juden kommen, dann aber gute Nacht, Soldat!

 

Fabian Lichter

✡ Anmerkung der Redaktion: Name geändert

✡✡ Nochmals Anmerkung der Redaktion: Stelle nach Beschwerden des Deutschen Presserats geschwärzt

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster