Vom Fachmann für Kenner | September 2023
Brotlose Berufsbezeichnung
Ich arbeite seit Jahren erfolgreich als honorarfreischaffender Künstler.
Jürgen Miedl
Warteschleife
Seit man seine Arzttermine nicht mehr bei einem schlechtgelaunten Vorzimmerdrachen vereinbaren darf, sondern eine 5-Faktor-authentifizierte, Masterpassword-geschützte App benutzen muss, besteht meine Mailkorrespondenz zu 95 Prozent aus Erinnerungen an die vereinbarten medizinischen Konsultationen. Bestätigung des Termins, Nachfrage, ob man diesen auch wirklich wahrnehmen möchte. Erinnerungen zwei Wochen, 7 Tage, 3 Tage, 1 Tag vor dem geplanten Besuch, jedes Mal verbunden mit der Ankündigung drakonischer Strafen bei Nichterscheinen. Völlig unabhängig davon sitzt man dann natürlich dennoch 80 Minuten blöd im Wartezimmer, weil es »heute einfach so voll ist«. Ab sofort wird zurückgeschossen: Mehrmals täglich werde ich die Praxen an meine Vereinbarung erinnern, telefonisch und per Mail. Ich werde Einschreiben verschicken mit einer Preistabelle bei Absage oder Verspätung, gestaffelt im Zehn-Minuten-Wartezimmer-Takt. Werden wir doch mal sehen, wer sich dann an wem »gesundstößt«.
Martina Werner
Kartoffelpuffer
Die obligatorische halbe Stunde, die deutsche Rentnerehepaare zu früh am Bahnhof erscheinen.
Fabio Kühnemuth
Vornamen
Dass es je die oft herangezogene Familie Grube gab, die ihrer Tochter angeblich den Namen Claire gegeben hat, bezweifele ich. Aus eigenem Erleben weiß ich jedoch, dass die Eheleute Nast ihre Tochter im letzten Moment nicht zu einer Anna machten. Unerklärlich ist mir, weshalb Frau und Herr Faser ihren Sohn Claas nennen mussten.
Irmin Burdekat
Les années
Früher war es doof, dass in Frankreich niemand Englisch sprach, wenn ich mit meinem Französisch am Ende war. Heute ist es doof, dass sie alle Englisch sprechen, wenn ich mit meinem Französisch anfange.
Stefan Gärtner
Neulich,
während ich mein Frühstücksei zubereitete und parallel einen mit Anglizismen gespickten Podcast zum Thema »Die parteipolitische Landschaft Deutschlands in der Vergangenheit und Gegenwart« hörte, streifte ein Gedanke meinen Kosmos: Deutsches Ei, gräm dich nicht! Fought valiantly, but killed in eggtion.
Deborah Mock
Kreislauf des Lebens
Meine Großmutter hat in ihrer Jugend leidenschaftlich gern Möhren und Rettich angebaut, später Tomaten den Vorzug gegeben, nur um dann im hohen Alter wieder zu Möhren und Rettich zu finden. Schön, dass sie noch mal zu ihren Wurzeln zurückgekehrt ist.
Wieland Schwanebeck
Backpainer-Urlaub
Eine Thailandreise ist die ideale Gelegenheit, sich bei unzähligen Thaimassagen endlich mal jene Rückenschmerzen rauskneten zu lassen, die man vom Tragen des Rucksacks hat, den man ohne die Thailandreise gar nicht gekauft hätte.
Cornelius W. M. Oettle
U-Bahn-Picknick
Zweifellos verbieten sich in öffentlichen Verkehrsmitteln herzhafte Gerichte mit starkem Aroma. Um nun dem eigenen Hunger und dem Geruchsempfinden der Mitfahrenden gleichermaßen Rechnung zu tragen, schlage ich Zutaten vor, deren Bouquet als Raumduft ausdrücklich anerkannt ist. Für die nächste Fahrt koche ich daher vor: Orangenknödel mit Jasminreis und einer Sauce aus Lavendelbutter und Zitronengras. Sollte ich mit dieser Idee doch nicht den richtigen Riecher haben, wird man mir dies sicher gleich unter die Nase reiben.
Michael Höfler
Erkenntnis
Ich bin keine Schere,
auch wenn ich’s gerne wäre.
Ich bin keine Spüle,
auch wenn ich mich so fühle.
Ich bin kein Stuhl, gedrechselt,
auch wenn man uns verwechselt.
Sorry, ich bin nur
eine Rodin-Skulptur.
Ella Carina Werner
Tagtraum im Supermarkt
Irre lange Schlange vor der Kirche. Einzelne Gläubige werden unruhig und stellen Forderungen. Pfarrer beruhigt den Schreihals vor mir: »Ja, wir machen gleich eine zweite Kirche auf!«
Uwe Becker
Bestseller
In einem Buch über Strategien der Macht las ich, man solle die anderen ruhig im Glauben lassen, man selbst sei dämlich, das verschaffe einem den Vorteil der Überraschung. Gut, dachte ich mir, das mag stimmen, aber seltsam ist doch, wie viele meiner Mitmenschen offenbar ebenfalls dieses Buch gelesen haben.
Theobald Fuchs
(Henkers-)Mahlzeit!
Abgesehen davon, dass das Konzept der Todesstrafe und deren Vollstreckung per se ein Verbrechen ist, habe ich das Ritual der Henkersmahlzeit nie wirklich verstanden: Der Delinquent darf ein letztes Mal je nach Gusto Hamburger mit Pommes frites, Steak (medium rare) oder Spareribs mit Kartoffelpüree samt Beilagensalat ordern, mit dem Wissen, in wenigen Stunden selbst auf dem »elektrischen Stuhl« gegrillt zu werden. Wie kann man da noch vorher genüsslich essen? Mir vergeht ja schon der Appetit, wenn ich an meinen nächsten Zahnarzttermin denke.
Bernd Hetschko
Zeil-Gespräch
»Entschuldigung, geht es hier zum Dialogmuseum?« »Das werd ich dir grad erzählen!«
Tim Wolff
Einfach machen
»Stöhn!« dachte ich, als ich mit Freunden im Außenbereich einer Bar saß und neben uns ein Feuerjongleur mit seiner Darbietung begann – kann ich mit dieser Art von Kleinkunst doch rein gar nichts anfangen. Es wurde dann aber doch überraschend unterhaltsam, da der Künstler sein Handwerk nicht wirklich beherrschte. Spätestens als er wegen eines Patzers beinah sein eigenes Fahrrad in Brand steckte, herrschte beste Stimmung in der Runde. Mich hat die Furchtlosigkeit des nicht mehr ganz so jungen Mannes dennoch beeindruckt. Manche Dinge muss man halt einfach in Angriff nehmen, ohne groß herumzueiern! Sei es ein Instrument lernen, Korbflechten, Schwertschlucken oder eben Feuerjonglage.
Leo Riegel
Löffelchenverbot
Ich könnte niemals in einer Beziehung mit Uri Geller sein. Ich will mich einfach für niemanden verbiegen.
Viola Müter