Vom Fachmann für Kenner | November 2022


Kafka greenwashed

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte und sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt fand, freute er sich sehr darüber, damit etwas gegen das Insektensterben unternommen zu haben.

Jürgen Miedl

Verzweifeln Auftragskiller

am Obststand eigentlich daran, dass Brombeeren wenig bis gar kein Brom enthalten?

Camillo Rota

Die gute Nachricht

Meine jahrelange Mitgliedschaft bei einem renommierten Fitnessstudio scheint sich ausgezahlt zu haben, denn ich wurde für eine Werbekampagne angefragt. Die schlechte Nachricht: Ich bin jetzt in ganz Berlin auf Vorher-nachher-Postern unter »Vorher« zu sehen.

Nick Hertzberg

Bierbrauer, verdammte!

Da jammern sie tagaus, tagein über den katastrophal nachlassenden Bierkonsum in Deutschland und die Folgen für ihre kleinen Brauereien. Und bieten dann derzeit »Männer-Adventskalender«, bestehend aus 24 Flaschen oder Dosen, an wie … nun: sauer Bier. Lernen die denn in ihrer Ausbildung überhaupt nichts über die grundlegendsten Elemente der Marktwirtschaft? Angebot und Nachfrage? 24 Flaschen, das ist gerade mal ein einziger Standardkasten! Damit kommt man nicht mal durch einen normalen Scheiß-Advent, und schon gar nicht in diesen katastrophalen Zeiten, in denen man nun wirklich ein bisschen Trostbedarf hat. Tipp fürs Marketing: 24 Kästen, Lieferung frei Haus, und der Wutwinter kann kommen. Rechnung folgt.

Martina Werner

Eingesackt

Hundebesitzer in der Stadt zu sein ist oft wirklich merkwürdig. Man sieht, dass das liebe Tier eine riesige Wurst gelegt hat, und der erste Gedanke, den man dazu hat, ist: »Die schnapp ich mir!«

Karl Franz

Kleiner sEitanhieb

Nach mittlerweile zehn Jahren als Veganer haben mich auch die ständigen Witze, kleinen Frotzeleien und hämischen Bemerkungen meiner Freunde bisher nicht davon abbringen können, auf tierische Nahrung zu verzichten. Allerdings gibt es Tage, an denen ich nach dem x-ten Kalauer auf meine Kosten plötzlich schwach werde und denke: Ein bisschen Kannibalismus wäre doch eigentlich okay.

Patric Hemgesberg

Wo der Knigge nicht weiterhilft

Wenn man in gemischter Runde beisammensitzt, 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer, und einer der Männer wirklich ALLES weiß – NUR nicht, was »Mansplaining« bedeutet, wer erklärt es ihm dann? Ein Mann oder eine Frau?

Katharina Greve

Neulich gehört

Im Bandwesen geht es teils immer noch um Musik.

Michael Höfler

Kunsthandwerk und goldener Boden und so

Als einfacher Einkommensmillionär zu den oberen Zehntausend aller Erwerbstätigen zu zählen ist echt kein Kunststück. Nur wer es gleich in doppelter Hinsicht in die unteren 10 000 schafft, ist ein wahrer Künstler.

Daniel Sibbe
(Kleinunternehmer nach § 19 UStG)

Entspannung als Challenge

Ich mache seit kurzem einen Yoga-Kurs, bei dem es vor allem um Meditation und Entspannung geht. Ich bin blutige Anfängerin und musste schnell feststellen, dass ich in einem der härtesten Entspannungskurse der westlichen Welt gelandet bin. Denn der Kurs findet in einem großen Gebäude statt, wo gleichzeitig immer eine Rockband im Keller probt und jemand in irgendeinem Nebenraum Dudelsack übt. Anscheinend geht auch beim Yoga der Trend zu mehr Herausforderungen. Das brachte mich auf eine ganz neue Idee. Ich bin mir sicher, es wird der nächste heiße Scheiß: Meditationskurse in der Techno-Disko oder vielleicht im Freien neben einer Straßengroßbaustelle.

Dorthe Landschulz

Stilfrage

Nach drei Wochen ohne Rückmeldung frage ich mich: Hätte ich das Nackenhörnchen für das Bewerbungsgespräch doch besser ablegen sollen?

Leo Riegel

Im Tempel der Achtsamkeit:

»Obacht!« warnt mich der junge Angestellte an der Kasse. »Ihre Tasche kippt vielleicht um!« – »Keine Sorge«, antworte ich ihm beruhigend. »Der Rucksack gehorcht mir aufs Wort, da passiert gar nichts.« – »Ach so«, sagt er beruhigt, »dann wird alles gut.« – Das ist einer und nicht der geringste Grund, weshalb ich mit immer noch zunehmender Freude den Bio-Supermarkt aufsuche. Man wird hier einfach ernst genommen!

Theobald Fuchs

An alle Studienanfänger:innen

Habt bitte keine Angst vor der Zukunft: Wissenschaft ist schließlich keine Raketenwissenschaft!

Mark-Stefan Tietze

Heilsame Inklusion

Nach etlichen vergeblichen Versuchen, mit dem Rauchen aufzuhören, waren mein Freund und ich uns einig, dass es einer drastischen Konfrontation mit der Thematik bedarf. Deshalb entschieden wir, einmal die Woche einen atemgeschädigten Menschen im Pflegeheim zum Spaziergehen »auszuleihen«. Um seinem Röcheln zu lauschen, seine Hustenanfälle wie Musik zu verinnerlichen, überhaupt seine ganze, sich auflösende Gestalt so richtig schaurig in uns aufzusaugen. Leider waren einige dieser Alten eine große Enttäuschung. Versprachen sie erst herbe Abschreckung, stellte sich bald heraus, dass sie gar nicht so atemgeschädigt waren. Teilweise hegten wir sogar den Verdacht, sie simulierten, nur um uns zu gefallen. Deshalb haben wir dem Pflegeheim kommuniziert, dass Anwärter mindestens blutigen Auswurf mitbringen müssten. Mit kleinen Bröckchen versehen. Wenn zwischen den einzelnen Würgevorgängen röchelnd nach dem Atemgerät verlangt würde, umso besser. Die Krönung wäre, wenn einer im Kampf um Luft krampfend aus dem Rollstuhl fallen, sich auf dem Boden krümmen und nach »Erlösung« krächzen würde. Rauchen tun wir inzwischen nicht mehr, aber wenn jemand die Nummer eines Therapeuten hätte, der uns von der Sucht nach Pflegebedürftigen heilt, wären wir sehr dankbar.

Deborah Mock

Beziehungsgespräch

»Immerhin sind es auch meine langen Haare, die diesen verrosteten Siphon noch notdürftig zusammenhalten.«

Julia Mateus

Amphibtheater

Im Nachhinein war das nervenaufreibende Gefriemel, mit welchem ich meinen Molchen eine den Rundtheatern der römischen Antike nachempfundene Miniaturarena ins Terrarium gesetzt habe, vergebliche Liebesmüh: Die anspruchsvollen Tiere nutzen die Anlage weder zum Schauspielen noch für abendliche Kulturausflüge.

Martin Weidauer

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 Hände hoch, Rheinmetall-Chef Armin Papperger!

Laut einem CNN-Bericht lagen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten Hinweise zu russischen Plänen für einen Angriff auf Sie vor. So etwas nennt man dann wohl »jemanden mit seinen eigenen Waffen schlagen«!

Mörderpointe von Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster