Vom Fachmann für Kenner | Januar 2022


Das Weihnachtswunder

Diese Geschichte hat man schon hundertmal gehört, aber gerade in diesen Zeiten liegt es mir am Herzen, an sie zu erinnern. Es war am 24. Dezember des Jahres 1914, als deutsche und britische Soldaten im belgischen Niemandsland friedlich miteinander den Heiligen Abend verbrachten. Es wurde getrunken, gegessen, gelacht, gegrölt, geraucht, kurz vor Mitternacht wurde gar »Auld Lang Syne« angestimmt. Auf dem Höhepunkt des feierlichen Moments jedoch kam den Beteiligten die Eingebung: Was tun wir hier überhaupt? Wir stehen uns als Armeen in einem Krieg gegenüber! Da besannen sich die Männer auf das, worauf es wirklich ankommt: als Erbfeinde miteinander kämpfen, bis sich der Schnee rot färbt. Und so wurde es doch noch ein schönes Gemetzel …

Torsten Gaitzsch

Fünfzehn Zeichen Ruhm

Es hat wohl niemand je den Wunsch, um jeden Preis berühmt zu werden, heftiger kritisiert als meine Urgroßmutter. Ich kann mich gut erinnern, dass mein Vater einmal beim Lesen der Zeitung aufschreckte und Uroma ihn fragte: »Was ist denn?« – »Der Franz ist gestorben. Ich habe gerade seine Todesanzeige gelesen.« Sie schüttelte bloß genervt den Kopf und sagte: »Die Leute machen heutzutage wirklich schon alles, um in die Zeitung zu kommen.«

Jürgen Miedl

Alles richtich

Jüngst wurde ich darauf angesprochen, dass das Wort »richtig« aus logopädischer Sicht korrekterweise »richtich« ausgesprochen werden muss. Um mir meine Verwunderung darüber gar nicht erst anmerken zu lassen, entgegnete ich nur ein lässiges »selbstverständlig«.

Fabian Lichter

Schicksalhafte Wendung

Brüche im Leben gibt es bei allen Menschen. Öfter ist es so, dass jemand nach überstandener schwerer Krankheit das bisherige Streben nach Geld und Ruhm infrage stellt und beschließt, den sinnentleerten Job im Reisebüro, in der PR-Agentur (sehr viel seltener vielleicht auch im Schlachthof) hinzuschmeißen, um nur noch zu malen, zu töpfern, zu fotografieren, einen Gemüsegarten anzulegen oder zu schreiben. Es erfolgt allerdings nicht zwangsläufig eine Neuausrichtung zum Kontemplativen, Musischen. In meiner Bekanntschaft gibt es einen Fall, in dem der genesene junge Künstler seine Erfüllung als skrupelloser Miethai fand.

Miriam Wurster

Nostalgie

Dialog beim Betrachten eines Werbeplakats, auf dem ein Knabe dazu ansetzt, einen Regenwurm zu verspeisen: »Kann man sich heute kaum noch vorstellen, dass so was früher als Mutprobe gegolten hat!« »Wie, unter Regenwürmern?«

Michael Ziegelwagner

Ideal besetzt

Über eine längere Wegstrecke hinweg gefreut habe ich mich, nachdem die etwa dreißigjährige Frau im U-Bahn-Sitz neben mir, die bereits seit mehreren Stationen ein in höherem Dezibelbereich angesiedeltes und vom halben Waggon mitgelauschtes Handytelefonat in Schwung hielt, ihre Gesprächspartnerin, offenbar eine gute Freundin, kurz vor ihrem Ausstieg in posaunenlautem Ton darüber unterrichtete, sie selber wolle nun Anfang nächsten Monats »eine Intensivausbildung zur Achtsamkeitstrainerin« beginnen. Da zeigte sich, zunächst verstohlen, nach dem nächsten Halt aber ganz freimütig, ein großes Grienen auf gar nicht so wenigen Gesichtern, das, wie eingangs angedeutet, in meinem Falle wenigstens noch zwei weitere Stationen anhielt.

Mark-Stefan Tietze

Super billig

Schön, wie es der werbetreibenden Wirtschaft doch immer wieder gelingt, mit einprägsamen Produktnamen Aufmerksamkeit zu erregen und für einen hohen Wiedererkennungswert zu sorgen. Ein recht bekannter deutscher Lebensmitteldiscounter versucht es bei seinem Knuspermüsli mit den Varianten »Super Berry« und »Super Nutty«. Ich stelle mir die beiden immer als Paar vor. Und muss preisbewusst zugeben: klingt tatsächlich ziemlich billig.

Norbert Behr

Night of the Swimming Dead

Ein Toter treibt in der Strömung. Unbarmherzige Kreaturen mit seelenlosen Augen und offenen Mäulern schießen ihm hinterher, gesteuert nur von einem Drang, fressen. Sie kämpfen, unbeholfen und doch brutal bis zum Äußersten mit ihresgleichen um ein Stück des Artgenossen. Lautlos wird der ehemalige Mitbewohner, vielleicht ein Verwandter, verspeist. Es mag ab und an ein kannibalistisches Gemetzel sein, auf der anderen Seite macht so ein Aufzuchtbecken für Guppys optisch schon einiges her und sorgt zugleich für eine chillige Raumatmosphäre.

Björn Ackermann

Neulich

gelangweilt durchs TV-Programm gezappt und eine Spur zu lange bei »Soko Wismar« hängengeblieben. Dort leiert Udo Lindenberg gerade den Titelsong: »Und liegt der Fall auch noch so schwer, wir bleiben cool und denken quer.« Die Keimzelle der Querdenker-Bewegung steckt also in der Wismarer Soko. Man sollte bei Lindenberg-Songs wohl doch mehr auf den Subtext achten.

Melanie Schweinfurth

Trost vom Statistiker

Wenn du wieder einmal frustriert bist und denkst, du bist nur durchschnittlich begabt und mittelmäßig erfolgreich, dann wechsele doch einfach in eine andere Stichprobe!

Theobald Fuchs

Merkwürdig

Neulich saß ich mit meinem silbernen »Hier passieren merkwürdige Dinge«-Button aus dem Museumsshop auf dem Platz vorm Hallenbad, als sich neben mir drei junge Burschen unterhielten. Plötzlich fragte der eine mit dem Fahrrad seine vor ihm auf der Bank sitzenden Freunde: »Wisst ihr eigentlich, was der Unterschied zwischen ›seltsam‹ und ›merkwürdig‹ ist?«, um es dann sogleich aufzulösen: »Es gibt seltsame Dinge, die nicht merkwürdig sind.« Und jetzt hatte auch ich kapiert, worüber ich mir zuvor nie einen Kopf gemacht hatte. Hätte ich es sonst niedergeschrieben?

Burkhard Niehues

Notgedrungen einfallsreich

Mein Nachbar vergisst seit einigen Jahren regelmäßig seine Bank-Pin. Auf die Karte kann er die Pin natürlich nicht schreiben. Wie er mir vor Kurzem berichtete, hat er eine clevere Lösung für sein Problem gefunden: Um sich die Pin nicht mehr merken zu müssen, aber trotzdem nicht sein Geld zu riskieren, hat er seine Pin einfach auf den einzigen von ihm genutzten Bankautomaten geschrieben.

Karl Franz

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt