Vom Fachmann für Kenner | Dezember 2021


Verlust

Seit die Stasi nur noch in Jogginghosen rumläuft, hat sie die Kontrolle über mein Leben verloren.

Uwe Geishendorf

Bad Spies – (k)eine Kritik

Eines Montagabends lief im ZDF der Streifen »Bad Spies«, den ich allerdings verpasst habe und folglich hier nicht rezensieren kann, weil ich mittlerweile dermaßen von deutschen Regionalkrimis traumatisiert bin, dass ich beim Studieren des Fernsehprogramms nicht an eine ja möglicherweise unterhaltsame US-amerikanische Agentenkomödie, sondern an einen hessischen Kurort namens Bad Spies dachte.

Cornelius W.M. Oettle

Vom Schreiben eines Witzes. Drama in vier Akten

Erster Akt: Aus der klanglichen Ähnlichkeit von Mario Kart und Mario Barth kann man sicher etwas Komisches konstruieren. Zweiter Akt: Aber welcher Kontext? Irgendwas mit Fun als Stahlbad, geistiger Verelendung durch die Unterhaltungsindustrie – so in die Richtung könnte das klappen! Dritter Akt: Jetzt nur noch pointiert ausformulieren und … Vierter Akt: Obwohl … So gut ist die Idee auch wieder nicht.

Jürgen Miedl

Rätsel gelöst

Das eigentliche Ziel der ständigen Musikbeschallung im Konsumtempel ist es, das Wisch-Wusch-Geräusch zu übertönen, welches die Arme beim Anprobieren von Outdoorjacken machen. Nach dem Kauf, zuhause im stillen Kämmerlein, ist man dann schlauer.

Tina Manske

Neues aus den Sozialwissenschaften

Neulich unterhalten sich neben mir in der U-Bahn zwei junge Frauen über ihre neuen Jobs. Die eine ist Sozialwissenschaftlerin und forscht über Obdachlosigkeit in der Großstadt. Sie erzählt von einem zweistündigen Interview, das sie gerade mit »dem Hans aus H.« (Name von der Redaktion geändert) geführt habe. Noch so viel länger hätte das Gespräch dauern können, aber sie musste dann leider weg. Aufrichtig begeistert zwitschert sie: »Diese Personen haben ja auch so viel Zeit!« Wer solche Sozialwissenschaftlerinnen hat, braucht keine anderen Arschlöcher mehr.

Katharina Greve

Colonarisches

Neulich entspann sich am Café-Roller ein Gespräch über empfehlenswerte Restaurants. Die Bedienung pries den Athena-Grill in der Bonner Südstadt als neue »Entdeckung«. Ja, sekundierte ich, da ist ein Freund von mir Stammgast. Dann fiel die Diskussion auf irgendeinen Koreaner ganz in der Nähe, der sehr gut sein solle. Und schon äußerte ein weiterer Gast Einwände. Der sehe immer so geschlossen aus in letzter Zeit, und außerdem stehe da jetzt etwas in Chinesisch außen dran. Da war endlich die Gelegenheit für mich als Amateur-Restauranttester in die Diskussion einzusteigen. Folgerichtig erwähnte ich einen meiner Meinung nach guten Chinesen in der Kölner Innenstadt, bei dem ich ein paar Tage zuvor gespeist hatte. Wo der denn liege, wollte man jetzt von mir wissen. Na ja, ziemlich zentral, in so einer hässlichen Straße, erklärte ich daraufhin. Da mussten alle lachen. Klar, was sollte man mit diesem Hinweis auch anfangen? Bis man da alles abgelaufen hat, ist man ja längst verhungert!

Burkhard Niehues

Klingeling

Die einzigen Menschen, die noch auf meinem Festnetztelefon anrufen, sind die Bediensteten im Callcenter meines Festnetz- und Internetanbieters, die mir unbedingt einen Mobiltelefonvertrag andrehen wollen. Weil es ihnen wahrscheinlich selber zu peinlich ist!

Mark-Stefan Tietze

Am Schalter

Neulich wurde ich zufällig und unfreiwillig Ohrenzeuge des folgenden Verkaufsgesprächs in einer Postfiliale: Kundin (wichtigtuerisch, fast feierlich): »Ich hätte gerne Briefmarken, am liebsten SONDERMARKEN! Was hamse denn da da?« Verkäuferin (trocken, monoton): »Beethoven, Sendung mit der Maus, Digitalisierung. Das war’s.« Das fasst, so will ich wohl meinen, den Zustand der Gesellschaft, ihren Denk- und Gedenkhorizont, recht präzise zusammen.

Andreas Meinzer

Wahre Freunde

»Mit dem würde man gerne mal ein Bier trinken gehen« ist wohl das größte Lob, das der gemeine Deutsche für den Charakter einer fremden, meist bekannten, oft politisch aktiven Person aufbringen kann. Dabei ist diese Aussage Quatsch: Unter Alkohol werden viele sonst entspannte Leute redseliger, aber auch gemeiner, giftiger, man selbst hingegen anspruchsloser. Ich bewerte daher Menschen eher danach, ob man mit ihnen »mal einen Schuss Hero drücken« würde. Denn wenn ich von jemandem denke, dass er oder sie mir im Zweifel die Kotze aus dem Mund holen würde, traue ich ihr auch sonst einiges an Menschlichkeit und guter Regierungsführung zu.

Karl Franz

Mehr Verbote!

»Am Ende des Tages bin ich doch ganz bei Ihnen« ist nur dann keine Beleidigung des sittlichen Empfindens, wenn es sich um die Ankündigung eines abendlichen Besuchs handelt.

David Schuh

Von Obst verspottet

Um eines vorweg und klar zu sagen: ich glaube nicht, dass ich von Obst verfolgt werde. Allerdings habe ich gelesen, dass Tiere ein Bewusstsein haben könnten und Pflanzen eine Art Schmerzempfinden. Ich finde so etwas recht interessant. Für wirklichen gedanklichen Aufruhr sorgte aber erst der zu flüchtige Blick in den jüngsten Verkaufsprospekt eines Lebensmittelhändlers. Zum Herbst preisen sie dort als »Traditionelle Genüsse« auch »Hämische Früchte im Glas«. Ein Verlesen meinerseits. Natürlich. Aber so etwas möchte ich trotzdem nicht in meinem Vorratsschrank wissen. Ist mir zu unheimisch.

Norbert Behr

Durchschnittstyp

Weil es die meisten Frauen nicht besonders angetörnt hat, wenn ich mich ihnen als Statistiker vorgestellt habe, mache ich jetzt »irgendwas mit Median«.

Daniel Sibbe

Militarismus unter Tieren

Seien wir doch einmal ehrlich zueinander: Schildkröten sind auch nichts anderes als Stahlhelme auf vier Beinen.

Theobald Fuchs

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

 Mahlzeit, Erling Haaland!

Mahlzeit, Erling Haaland!

Zur Fußballeuropameisterschaft der Herren machte erneut die Schlagzeile die Runde, dass Sie Ihren sportlichen Erfolg Ihrer Ernährung verdankten, die vor allem aus Kuhherzen und -lebern und einem »Getränk aus Milch, Grünkohl und Spinat« besteht.

»Würg!« mögen die meisten denken, wenn sie das hören. Doch kann ein Fußballer von Weltrang wie Sie sich gewiss einen persönlichen Spitzenkoch leisten, der die nötige Variation in den Speiseplan bringt: morgens Porridge aus Baby-Kuhherzen in Grünkohl-Spinat-Milch, mittags Burger aus einem Kuhleber-Patty und zwei Kuhherzenhälften und Spinat-Grünkohl-Eiscreme zum Nachtisch, abends Eintopf aus Kuhherzen, Kuhleber, Spi… na ja, Sie wissen schon!

Bon appétit wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster