Vom Fachmann für Kenner | Juli 2020


Ohne Worte

Man kann das Wesen eines Menschen ja in vielem erkennen. Zum Beispiel darin, wie er über seine Badezimmertürschwelle stolpert. Oder darin, wie er ein Glas Wasser fallen lässt. Vielleicht auch darin, wie er auf sein Bett springt und wie er sich abrollt, wenn er hinunterfällt. Aber was für ein Wesen hat einer, frage ich mich, der, wie mein neuer Nachbar, all dies im selben Moment tut?

Teja Fischer

Genusspunkte

Dass Umlautzeichen appetitanregend wirken können, wird einem so richtig bewusst, wenn man beim Lesen einer Speisekarte zum ersten Mal mit »Raucherlachs« konfrontiert wird.

Julia Mateus

Metaphysik

Wahre Physiker sterben nicht, es reorganisieren sich nur ihre Teilchen.

Jürgen Miedl

Heimwerkerhumor

Manchmal hat die Werbung mehr mit dem richtigen Leben zu tun, als einem lieb ist. Neulich war ich im Baumarkt meines Vertrauens (der mit den vier Buchstaben) mit einem Verkäufer auf dem Weg zum Leistenregal, als er von einer Kundin angesprochen wurde. »Ich bräuchte dann auch mal Ihre Hilfe.« Verkäufer: »Da müssen Sie sich noch ein wenig gedulden.« Ich zur Kundin: »Toom – Respekt, wer’s selber macht!« Na ja, wenigstens der Verkäufer hat gelacht.

Markus Berger

Liebe unterm Hakenkreuz

Zum Kennenlernen treffen sich rechtsextreme Singles im Dathinghaus.

Andreas Lugauer

Menschliche Würde

Ich habe eine Reihe eherner Grundprinzipien, die für mich unveräußerlich mit meinem persönlichen Begriff von Würde verbunden sind. Ich bin bereit, die ersten drei davon zu teilen. 1. In Bus oder Bahn niemals, nachdem ein Mitreisender ausgestiegen ist, auf dessen Platz wechseln, nur um in Fahrtrichtung zu sitzen. 2. Im Supermarkt niemals an eine andere Kasse stürmen, nur weil dort die Schlange kürzer ist. 3. Beim Entkleiden niemals die Unterhose vor dem T-Shirt ausziehen, um nicht – und sei es nur für eine Sekunde! – herumzulaufen wie Donald Duck.

Robert von Cube

Wegweiser

Kaum vier Stunden in der fremden Stadt, und schon werde ich auf der Straße nach dem Weg gefragt. So geht es mir immer. Im Astralraum über meinem Kopf muss ein Schild schweben, auf welchem in den neun häufigsten Weltsprachen steht: »Auskunft hier! Einfach ansprechen! Kostenfrei!« Der erste ist ein Junkie im Park, der mich nach dem nächsten McDonald’s fragt. Ich sage, ich hätte keine Ahnung, aber vorhin ums Eck einen Subway gesehen, dort sei das Essen sowieso gesünder. Er kriegt es mit der Angst zu tun und rennt davon. Dann werde ich nach dem Pubbesuch in der nächtlich-ausgestorbenen City gefragt, wo die nächste U-Bahn-Station sei. Eine kleine Frau mit Hijab, offenbar unter Zeitdruck. Ich habe selbst keine Ahnung, aber ich möchte ihr irgendwie helfen und sage aufs Geratewohl: »Geradeaus die Straße hinunter.« Auch die Frau rennt sofort davon. Es muss an meiner Ausstrahlung liegen. Vielleicht sollte ich aber auch einfach nicht auf Deutsch antworten, solange ich in London bin.

Theobald Fuchs

Der Trick

bei einem guten Bewerbungsfoto besteht darin, gerade so seriös auszusehen, als würde man für Geld die eigene Oma und nicht die der etwaigen Kunden verkaufen wollen.

Jessica Ramczik

Raum und Zeit

Neulich fuhr ich durch die Provinz, und mein Weg führte mich durch Dörfer und Weiler. Nur selten sah ich einen Menschen, und wenn doch, folgte mir ein Blick, in dem Erstaunen sich mit Misstrauen mischte. Die Orte trugen Namen, deren Bedeutung mir verschlossen blieb, so wie auch die Häuser wenig einladend und dumpf in der eintönigen Landschaft herumstanden. Sie sahen sich alle nicht nur ähnlich, bald meinte ich, im Kreis zu fahren, gefangen in einer Raum-Zeit-Schleife zwischen Vorkriegshausen und Langweiler. Zum Glück kam ich dann an einem hässlichen Gewerbegebiet vorbei.

Tibor Rácskai

Feststellung

Ich glaube, wenn ich wüsste, was Jeff Bezos morgens dazu motiviert, zur Arbeit zu gehen, könnte ich nicht mehr ruhig schlafen.

Konstantin Hitscher

Zielgruppengerecht

Solange er nicht wisse, wer sein Gegenüber sei, werde er keine Fragen beantworten, erklärt der fantastisch gekleidete Demonstrant auf einer Anti-Corona-Maßnahmen-Demo in Berlin. »Von Spiegel TV«, entgegnet der Reporter. Genervt wendet der potentielle Interviewpartner sich ab. »Bernsteinzimmerspiegel TV« hätte vielleicht besser funktioniert.

Dominik Mauer

Vermehrung

Ich habe vor kurzem ein Interview mit einem zehnfachen Vater gelesen. Seinen andauernden Zeugungswillen begründete er damit, dass die Kinder leider viel zu schnell erwachsen würden. Er vermute dahinter das Phänomen der »geplanten Adoleszenz«.

Ronnie Zumbühl

Revolte

Schon seit Jahrtausenden lassen sich die Bienen vom Menschen nach Strich und Faden ausbeuten und hinters Licht führen. Wilde Instinkte und Resistenz gegen Milben und Krankheiten wurden zugunsten von Zahmheit und ungesundem Fleiß weggezüchtet, hochwertiger Honig wurde immer wieder entwendet, im Tausch gegen billige Glukoselösung. Doch damit ist jetzt Schluss. Widerstand regt sich in den Bienenstöcken, zumindest bei meiner Nachbarin, deren Bienen dazu übergegangen sind, den Honig lieber gleich zu verputzen und die Waben mit dem lauen Zuckerwasser vollzupumpen.

Miriam Wurster

Glück gehabt

Heute im Rahmen der verzweifelten Suche nach der Sicherungskopie meiner universitären Abschlussarbeit kurzzeitig einer sich panikartig äußernden Gewissheit ausgesetzt gewesen, dass sich die regelmäßige Unauffindbarkeit mancher Dinge nur auf eine Erkrankung an Alzheimer zurückführen lasse, um dann nach einer kurzen Reflexion sogleich in das wohlige Gefühl der Erleichterung einzutauchen, dass ich ja diese todsichere Selbstprognose morgen schon wieder vergessen haben werde.

Matthias Stangel

Babylon Berlin

Bei der Szene, wo der edle Kommissar sich auf den Weg macht, um seinen ebenfalls edlen Chef auf den drohenden Staatsstreich durch monarchistische Reichswehr-Putschisten aufmerksam zu machen und das Droschken-Taxi zur Eile mahnt, erwische ich mich bei dem Ausruf: »Mann, ruf den an oder schick eine Message!« Ich brauchte einen Moment, um mir klarzumachen, dass die Serie 1929 spielt.

Robert Rescue

Sing, Sing

Tochter singt. Unerträglich laut, unerträglich hoch, unerträglich schräg, unerträglich lang. Bis die Nerven blank liegen und ich rufe: »Hör doch endlich mal mit diesem Gesinge auf!« Tochter: »Ich singe doch gar nicht.« Spontane Einigkeit, Umarmung, Tochter ab zum Skateboardfahren.

Niels Jürgens

Schlechter Werbeslogan

Mit Sagrotan läuft Sack rot an

Elias Hauck

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt