Vom Fachmann für Kenner | November 2019


Durch die Schokolinse betrachtet

Wenn kein anderer Laden in Sicht ist und der kleine Hunger naht, muss ich wohl oder übel den benötigten Schokoriegel an einer Tankstelle kaufen. Dann stehe ich in der Schlange und ärgere mich über die Auto-Idioten vor mir, die den Treibstoff für ihre Dreckschleudern bezahlen wollen, mir damit die Zeit und der Umwelt die Zukunft stehlen. Andererseits: Ohne solche Idioten gäbe es diese Tankstelle nicht, an der ich mitten in der Pampa Schokolade kaufen kann. Die Welt ist mir schon oft viel zu kompliziert.

Katharina Greve

Premiere

Letzten Monat habe ich mir zum ersten Mal in meinem Leben eine indische Oper angesehen. Es war ein großartiges Singhspiel.

Andreas Maier

Neues vom Tiersport

Bayerischer Meister im Feuerleitersitzen wurde eine Gruppe Tauben aus München. Die Jury überzeugte besonders Synchronizität und Symmetrie der Darbietung. Eine Mannschaft unterfränkischer Milben erreichte nur den zweiten Platz, Dritte wurden drei Dackel aus Dingolfing. Überschattet wurde das Turnier durch die Disqualifizierung einiger Goldfische aus Augsburg, die sich durch Vertrocknen einen Vorteil verschafft hatten.

Tibor Rácskai

Schon gewusst?

Abgeschnittene Fingernägel landen immer und ausnahmslos in der Tastatur, und zwar unabhängig davon, an welchem Ort der Welt man sie schneidet.

Eggs Gildo

Einmal die blaue Pille, bitte!

Dass Erkenntnis nicht notwendigerweise Positives nach sich zieht, lehrten mich die Schlümpfe. Genauer gesagt ihre Weingummi-Reinkarnation vom Kiosk gegenüber. Ich hätte gern darauf verzichtet zu erfahren, dass meine einstige Lieblingssüßigkeit nur durch jahrelange Lagerung im Kettenraucher-Humidor den lutschfreundlichen Härtegrad und ihre leicht würzige Nikotinpatina erhalten.

Jonas Wienke

Am Obststand

auf dem Lübecker Wochenmarkt fiel mir heute ein, wie ich eine Männerstripgruppe, die ich aus gut gebauten Obstbauernsöhnen der Region rekrutieren würde, nennen würde: Holsteiner Cox.

Johannes Rieken

Gute Frage

Wenn man mit einem Seelenverwandten etwas anfängt, begeht man dann eigentlich Seeleninzest?

Ingo Krämer

Großzügigkeit

Im Seminar zur positiven Psychologie ging es darum, wie man die bereits vorhandenen eigenen Stärken noch fördert und nutzt. Bei der Frage, wie ich großzügig mit meinem Humor umgehen kann, habe ich beschlossen, auch mal über die Witze anderer zu lachen.

Udo Pracht

Im Behandlungszimmer

Sitze vor dem leeren Schreibtisch und warte auf den Auftritt der Hausärztin. Die Sprechstundenhilfe mit starkem osteuropäischen Akzent kommt herein, greift sich eine sehr dicke Patientenakte und setzt sich mir gegenüber. Sie blättert etwas, setzt zum Schreiben an, setzt wieder ab, grübelt und murmelt etwas über die Kompliziertheit der deutschen Sprache. Dann schaut sie auf und fragt: »Der Patient IST gestorben. Stimmt das so?« – »Ja, ganz genau richtig.« – »Danke.« Schreibt’s sorgfältig hinter das aktuelle Datum, schlägt die Akte zu und malt mit vielen, sich tief in die Pappe eingrabenden Kugelschreiberstrichen ein dickes blaues Kreuz aufs Deckblatt.

Rafael Jové

Mythmist

Mir ist noch nie einer begegnet und ich bin meines Wissens noch nie einem aufgesessen, obwohl ich seit meiner Geburt in Großstädten lebe: Ich glaube, es gibt einfach keine urban myths. Oder ist genau das ein urban myth?

Adrian Schulz

Seriosität im Netz

Heute lernt man potentielle Partner online kennen, und darin sehe ich auch überhaupt kein Problem. Sich gerade auf Tinder kennenzulernen ist trotzdem noch peinlich, schließlich will man den Eltern, oder im besten Fall den eigenen Kindern, nicht erzählen müssen, dass man wegen Mamis tiefem Ausschnitt rechts geswiped hat. Meine neue Freundin und ich haben aus diesem Grund eine Abmachung getroffen: Wir geben zu, dass wir uns online kennengelernt haben. Falls aber jemand fragt, wo denn genau, sagen wir, in der Kommentarspalte der FAZ.

Karl Franz

Gruppendynamik

Hinter der Heckscheibe von Pkw befestigte Fußballschals oder Wimpel mit der Aufschrift »Wir folgen Dir, egal, wohin es geht« lösen bei mir höchstens angewidertes Wegdrehen aus. Neulich musste ich beim Anblick so eines Utensils allerdings lachen, weil dessen Besitzer mit seinem Wagen ohne Wendemöglichkeit in einer Sackgasse im Stau hinter dem Müllauto stand.

Gregor Mothes

Follow your Leaders

Hinter der Heckscheibe von Pkw befestigte Fußballschals oder Wimpel mit der Aufschrift »Wir folgen Dir, egal, wohin es geht« lösen bei mir höchstens angewidertes Wegdrehen aus. Neulich musste ich beim Anblick so eines Utensils allerdings lachen, weil dessen Besitzer mit seinem Wagen ohne Wendemöglichkeit in einer Sackgasse im Stau hinter dem Müllauto stand.

Gregor Mothes

Gedankenfürze aus der Zukunft

Oft denke ich, vor zwanzig Jahren habe ich so eine unfassbare Scheiße gelabert, woraufhin sich sofort die Ahnung einstellt, dass es heute wohl nicht anders sei, was ich aber erst in meinen Sechzigern zu formulieren wissen werde, während die unfassbare Scheiße, die ich mit achtzig labern werde, mir verwirrenderweise schon heute dämmert und die hundertjährige Scheiße mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr rauskommt, was mir schon heute depressive Verstopfungen beschert, die vielleicht der Grund sind, warum ich oft so einen verdrucksten Furzkram von mir gebe.

Jasper Nicolaisen

Gourmet Crime

Jährlich wird zu Thanksgiving in den USA ein Truthahn, der zur Schlachtung und Zubereitung verurteilt ist, vom Präsidenten höchstpersönlich begnadigt. Das Tier kommt dann zurück auf seine Farm und wird dort umgehend geschlachtet. Präsidentiell begnadigte Truthahnbrust gilt als Renner auf dem Feinschmecker-Schwarzmarkt.

Jürgen Miedl

Ober, zahlen!

Zwar ist mir nicht bekannt, wo diese Währung angenommen wird, und noch viel rätselhafter scheint, wie man auf zu hohe Beträge herausgibt, doch behaupten in den Medien reüssierende Menschen immer wieder, sie hätten ihren Lebensunterhalt früher mit Kellnern bestritten.

Frank Jakubzik

Althergebrachte Weisheit

in guten Familien: Wie der Vater, so der Lohn.

Fabio Kühnemuth

Gedenken

Ich erinnere mich gut daran, dass meine Mutter Micky Maus, Fix und Foxi, Asterix, Tim und Struppi, Superman, Prinz Eisenherz und so weiter, kurz: Comics aller Sparten und Genres als »dumm« bezeichnete, als »obszön«, »primitiv« und »verblödet«. Für was sie meine Mutter allerdings nicht hielt, war »pervers«, »geisteskrank«, »widerlich«, »ätzend« oder »barbarisch«. Das rechne ich ihr bis heute hoch an!

Theobald Fuchs

Phonographisches Gedächtnis

Ich weiß noch genau, wo ich war, als der Anruf kam: am Telefon.

Tim Wolff

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster