Vom Fachmann für Kenner | März 2019


Verpasste Gelegenheiten

»Rückblickend hätte ich schon einiges anders gemacht«, sagt die Mittzwanzigerin am Nebentisch. »Zum Beispiel hätte ich mit meinem Freund damals eigentlich gern mehr Zeit verbracht. Dann hätten wir uns auch viel früher getrennt.«

Tilman Birr

Lebenslanges Lernen

Diese Maxime gilt selbstredend auch für die ältere Generation, und ich wundere mich schon, welche Skills sich die Alten so draufschaffen. So hat die Seniorin vor mir an der Kasse in einem VHS-Kurs oder einem anderen Terrorcamp die Fähigkeit entwickelt, genausolange zu brauchen, ihre Kreditkarte aus dem Portemonnaie zu fummeln, wie es früher dauerte, die 23,78 Euro in Kleingeld aus der Börse zu zählen.

Helge Möhn

Geheimnisse der Grammatik

Das Verb »sich erbrechen« wird refluxiv gebraucht.

Michael Ziegelwagner

Das Urteil

Seit sich in unserem Kafka-Lektürekreis herumgesprochen hat, dass die Dohle auf tschechisch »kavka« heißt –was, nebenbei bemerkt, natürlich auch Franz Kafka bekannt war und Spuren in seinem Werk hinterlassen hat –, wird bei uns statt des Ausdrucks »kafkaesk« nur noch das Wort »dohlenartig« verwendet. Anfangs hat mich das ja durchaus amüsiert, aber jetzt, nach etlichen Monaten, wirkt das Ganze auf mich doch eher albern oder zwanghaft. Teilweise finde ich die Situation sogar regelrecht dohlenartig.

Andreas Maier

Staubsaugen

Das Körnerkissen ist kaputt. Notdürftig geklebt und oft genutzt, verteile ich damit unbemerkt Weizenkörner in der ganzen Wohnung. Doch wie viel Spaß macht das Staubsaugen danach: Jedes Mal, wenn ich ein Korn aufsauge, gibt es ein leises, süßes Klingeln. Wie die Glocke des Christkinds, das Gewinngeräusch eines Spielautomaten oder wenn man beim Video-Spiel »Zelda« Geld einsammelt. So leicht ist es also, sich zum Staubsaugen zu motivieren: Einfach das kaputte Körnerkissen rumtragen – oder notfalls Körner manuell in den Saugbereichen verteilen. Vielleicht kriegt man sogar ein Leben mehr (1 up), wenn man genügend Körner sammelt?

Burkard Müller

Buchtip

»Dann habe ich Dirk Rossmann vom Baum geschubst«. Lesen Sie jetzt die außergewöhnliche Biografie von

Meggie Christoph

Sri Siri

Als Siri auf meine Frage, wo die nächste Busstation sei, mit »Die wahren Reisen finden im Inneren statt« antwortete, war ich etwas verwirrt – und verpasste den Bus. Später bat ich, die Amazon-Seite aufzurufen, um mir einen Topfwärmer mit lustigem Motiv zu bestellen. Siri erwiderte: »Materielles bindet. Glück ist die Abwesenheit von Wünschen«, und schaltete meinen Computer aus. Daraufhin klickte ich durch die Einstellungen und bemerkte, dass ich bei Siri unabsichtlich den Modus »Spiritualität« aktiviert hatte. Nach kurzem Überlegen beließ ich es dabei, begriff ich doch, dass dies ein karmischer Wink des Universums und eine einzigartige Chance war, meinen geistigen Horizont zu erweitern, vielleicht sogar Frieden, Gleichmut, ja Erleuchtung zu finden. Außerdem habe ich das zur Veränderung der Systemeinstellungen nötige Passwort vergessen.

Jürgen Miedl

Feindschaftspreis

Seit ich hier in Berlin wohne, hole ich mir bei meinem bevorzugten asiatischen Restaurant regelmäßig das einzige vegane Gericht. »6,90 Euro – für dich!« hieß es dort stets schmunzelnd vom Chefkellner. Letztes Mal überreichte mir erstmals eine andere Bedienung meine Bestellung: »Macht dann 5,90 Euro.«

Dominik Mauer

Karriereplan, leider zu spät

Wäre ich noch mal in den Zwanzigern, würde ich mich körperlich aufrüsten und zum Leibwächter ausbilden lassen. Nach, sagen wir, 18 Jahren festem Gehalt und cooler Präsenz würde ich im entscheidenden Moment des Attentats einfach losrennen. In die Arbeitsagentur zur Umschulung.

Leo Riegel

Genialer Lifehack

Du bist gerade unterwegs und möchtest wissen, wie spät es ist? Dummerweise hast du zwar keine Uhr, dafür aber eine Sozialphobie im Gepäck, kannst also auch keinen Fremden auf der Straße fragen? Kein Problem! Suche einfach den nächsten Supermarkt auf. Wähle eine Tütensuppe aus (ich habe sehr gute Erfahrungen mit der »Frühlingsgemüsesuppe« gemacht), gehe zur Kasse und bezahle sie. Tadaa! Auf dem Bon findest du die Uhrzeit. Auf die Sekunde genau.

Katharina Greve

Forever love

Die ganzen Querelen um Cora Schumacher und ihren neuen Lover Lenox sind Ralf vermutlich so peinlich, dass er wünschte, er wäre sein Bruder.

Florian Aeppli

Junggesellenabschied

Als wäre eine Fahrt im Regionalexpress nicht schon anstrengend genug, gesellt sich ein Trupp angetrunkener Burschen zu uns in den Waggon. Überraschenderweise – wir fahren durchs westliche Sauerland – trägt die ausgelassene Bande schlecht nachgeahmte bayerische Tracht. Der Bräutigam in spe schwankt zielwassersicher auf mich zu und erklärt, was ich tun könne, um zu seinem Lebensglück beizutragen, nämlich: Es wäre doch sehr schön, wenn ich in sein Poesiealbum ein paar Sätze für seine zukünftige Frau hineinschreiben würde. Seine Kumpels brüllen rabaukenhaft: »Ja, schreibwas rein, denn für jeden Eintrag kriegen wir ein Bier!« Es ist 11 Uhr morgens, und im Album sind bereits zwei Seiten gut gefüllt. Ich verwahre mich zunächstgegen das Ansinnen, lasse mich aber durch die näherrückenden, mich einkreisenden Herrenkörper dahingehend korrigieren, dass ichlächle: »Nun, so sei es denn – wie heißt die Auserwählte?«, um sodann in schönster Schulschreibschrift derart zumjungen Glück beizutragen: Tu’s nicht, Carola!

Peter P. Neuhaus

Sigmund Freud im Jahr 2019

»Ach so, Sie sind Kassenpatient? Dann kann ich Ihnen statt einer Psychoanalyse leider nur das Generikum aufschreiben. Eine Wurzelbehandlung.«

Felix Scharlau

Wer schafft’s? Wer nicht?

Ich liege, örtlich betäubt, im Sessel der gleißend hellen zahnchirurgischen Praxis. Eine kleine Kreissäge fräst sich durch den Eckzahn, Schmelzsplitter fliegen durch die Luft, Geräte piepen. Hinter der Glaswand eilt emsig medizinisches Personal umher, mit Haube und Mundschutz versehen, freudig erregte Rufe nach Tupfer, Turbine und Bohrerplatte schallen durch die Räume. Es beschleicht mich die Ahnung, dass ich hier Komparsin bin und dass es in erster Linie darum geht, amerikanische Krankenhausserien nachzuspielen.

Miriam Wurster

Russtikal

Die einen nennen die klassische Technik, wenn einen beim Wandern das Unwetter überrascht, schlicht »nackter Oberkörper« – für mich jedoch ist das »die russische Regenjacke machen«.

Theobald Fuchs

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Standhaft, brandenburgischer CDU-Landesvorsitzender Jan Redmann!

Sie wurden mit 1,3 Promille Atemalkohol auf einem E-Scooter erwischt und entsprechend zu einer Strafe verdonnert. Daraufhin gaben Sie zu Protokoll, zu »diesem Fehler zu stehen« und die »Konsequenzen, insbesondere die Strafe« zu tragen. Das ist ja geradezu heldenhaft. Wir waren davon ausgegangen, dass Sie den Inhalt des Polizeiberichts leugnen, den Staat um die Strafzahlung prellen und sich ins Ausland absetzen würden.

Hätte dann vielleicht sogar Sympathie für Sie entwickelt: Titanic

 Moin, »Spiegel«!

Bei dem Artikel »Wir gegen uns« wussten wir nach dem Artikelvorspann »Die linksextreme Szene in Deutschland hat einen neuen Gegner: sich selbst« schon, dass da nichts Kluges drinstehen kann. Die Linke sich selbst ein »neuer Gegner«? Da drehen sich aber so einige vor Lachen im Grabe um.

Nicht ganz so geschichtsvergessen: Titanic

 U sure, Jürgen Klopp?

U sure, Jürgen Klopp?

Nachdem Sie Ihren Posten beim FC Liverpool niedergelegt haben, halten Sie sich in Sachen Zukunftspläne bedeckt. Nur so viel: »Ich werde irgendwas arbeiten. Ich bin zu jung, um nur noch Padel-Tennis und Enkelkinder zu machen.«

Keine Ahnung, wie Sie sich den typischen Alltag im Ruhestand so vorstellen, Kloppo. Doch wenn Menschen fortgeschrittenen Alters Nachwuchs zeugen, heißt das Ergebnis – zumindest in den meisten Fällen – »Kinder« und nicht »Enkelkinder«.

Schwant Böses: Titanic

 Liebes Werbeplakat in Freiburg!

»Nicht zu wählen, weil man nicht weiß, was, ist, wie keinen Film zu schauen, weil man sich nicht entscheiden kann«, trötest Du am Bahnhof allen noch so unwilligen Nichtwähler/innen entgegen. Jetzt stellt sich natürlich die alles entscheidende Frage: Ist ein versauter Filmabend, bei dem man am Ende aus Langeweile vielleicht sogar Monopoly spielen muss, genauso schlimm wie die Machtübernahme einer neofaschistischen Diktatur?

Fragt Popcorn mampfend Titanic

 Kunststück, »Welt«!

Im Interview mit der Rheinischen Post beschwerte sich Sängerin Cyndi Lauper darüber, dass Frauen ständig auf ihr Alter reduziert würden. Aus diesem Statement hast Du, Welt, nicht nur geschafft, einen ganzen Artikel zu stricken, Du hast auch noch äußerst subtil Deinen eigenen Standpunkt zur Causa klargemacht und Laupers Aussage folgendermaßen zusammengefasst: »Popsängerin Cyndi Lauper hält es für sexistisch, Frauen nach ihrem Alter zu fragen: ›Alter ist eine Kategorie, die benutzt wird, um uns kleinzuhalten‹, sagte die 71jährige.«

Wie clever von Dir! Indem Du das Alter genüsslich anmerkst, hast Du es der meckernden alten Frau aber mal so richtig gezeigt! Andererseits: Es nötig zu haben, aus Interviews anderer Zeitungen Artikel zusammenzukloppen – lässt das nicht Dich und Deinen angeblichen journalistischen Anspruch auch ziemlich alt aussehen?

Fragt Dein greises Kollegium von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Europa aphrodisiakt zurück

Wenn es hierzulande etwas im Überfluss gibt, dann verkalkte Senioren und hölzerne Greise. Warum also nicht etwas Sinnvolles mit ihnen anfangen, sie zu Pulver zerreiben und in China an Tiger gegen Schlaffheit der Genitalien verkaufen?

Theobald Fuchs

 Fachmann fürs Leben

Im Gegensatz zur Schule hat man im Zivildienst viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass man die Körper von Menschen, die sich selbst nicht mehr bewegen können, regelmäßig umlagert, damit keine Seite wund wird. Um anhaltenden Druck auf die Haut zu minimieren, wende ich auch heute noch die Pfirsiche in der Obstschale alle paar Stunden.

Friedrich Krautzberger

 Ach, übrigens,

der Typ, mit dem ich in jedem Gespräch alle drei Minuten für mindestens fünf Minuten zu einem Nebenthema abschweife: Ich glaube, wir sind jetzt exkursiv miteinander.

Loreen Bauer

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

 Bilden Sie mal einen Satz mit »AKW«

Der Bauer tat sich seinen Zeh
beim Pflügen auf dem AK W.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer
17.09.2024 Stadthagen, Wilhelm-Busch-Gymnasium Wilhelm-Busch-Preis Hilke Raddatz mit Bernd Eilert