Vom Fachmann für Kenner | August 2017
Meine Mutter
ist eine sehr strenge, cholerische Frau. Als ich noch zu Hause wohnte, schrie sie oft Sachen wie: »Du fauler Sack! Hängst den ganzen Tag nur vor der Glotze, und abends weiß man nie, wo du bist. Such dir endlich ’nen Job oder zieh aus!« Ich hatte dann immer Mitleid mit Papa.
Ringo Trutschke
Zweitkassenblick, der
Der Zweitkassenblick bezeichnet den empörten, selbstgefälligen, von der eigenen Wichtigkeit entzückten, zugleich aber auch von diskreter Unsicherheit überschatteten und gerade deswegen mit trotziger Aggression gewürzten Blick, den Menschen aufsetzen, wenn sie im Supermarkt »Zweite Kasse bitte!« in den Verkaufsraum blöken.
Robert von Cube
Leider wahr
Beim Durchblättern volkswirtschaftlicher Lehrbücher ist mir aufgefallen, daß mein Gewicht sich genauso verhält wie der Wert des Euros: Der Kurs schwankt zwar nach oben und unten, zwei Prozent Inflation gibt es jedoch fast immer.
Karl Franz
Blühe, deutsches Angelland!
Vor kurzem auf dem Amt kam mir ein sehr aufgebrachter türkischer Herr entgegen. Auf die Frage, warum er so erzürnt sei, wedelte er mit dem Arm in Richtung der Abteilung für Forsten, Jagd und Fischerei und rief: »Deutschland! Ich brauche einen Führerschein für meine Angel!«
Emil Fadel
Etikette
Neulich setzte sich im Zug ein etwas grob wirkender Mann mittleren Alters neben mich. Er nickte mir mit ausdruckslosem Gesicht zu, dann zog er ein Glas aus seinem Rucksack, in dem fünf Bockwürste (»Döbelner Bockwürste im Naturdarm«) in trüber Brühe trieben. Mit kräftigen Fingern schraubte er den Deckel des Glases auf und fingerte die in Darm gehüllten Stäbe aus Schweineschlacke einen nach dem anderen aus dem bräunlichen Wasser – Eiweißflocken trieben darin wie in einer Schneekugel – und aß sie mit wenigen wölfischen Bissen. Zum Abschluß nahm er einen damenhaft kleinen Schluck Wurstwasser. Manche Menschen haben wirklich kein Benehmen. Er hätte mich doch mal abbeißen lassen können.
Anselm Neft
Mal abschalten
Entspannung für Internet-Junkies: »Silent-Meditation-Retweet«.
Wanja Lindenthal
Endlich ist es soweit!
Das Unternehmen, mit dem mich ein Angestelltenverhältnis verbindet, wurde jetzt offiziell als karrierefrei erklärt. Ab sofort dürfen den Mitarbeitern keine Nachteile mehr durch Ehrgeizüberfunktion und Selbsteinschätzungsdefizite erwachsen. Auch in den Führungsriegen müssen strenge Quoten für Kompetenzsenker, Sekundärtugendverweigerer und Prokrastinationsopfer erfüllt werden. Die Umstellung aller Personalprozesse auf die Karrierefreiheit wurde aus Mitteln des EU-Programms zur Angleichung der Chancenlosigkeit finanziert. Auch ein Folgeprojekt wurde bereits beantragt: Durch systematische Lohnsenkung und Befristung der Verträge die Situation von Männern zügig an die der weiblichen Mitarbeiter anzupassen. Wir vergammeln damit alle glücklich in der Kaffeeküche unsere Arbeitstage, nur der Chef ist unzufrieden: »Früher durfte ich noch einfach so jedem promovierten Fachbereichsleiter die Ellenbogen in die Fresse rammen. Heute muß ich dafür erst zwanzig Formulare ausfüllen. Fuck you, EU!«
Theobald Fuchs
Ein Autonomer auf dem Sterbebett
Mein letzter Wille:
’ne Frau mit Zwille.
Christian Y. Schmidt
Triumph und Passionata
Die resolutesten Verkäuferinnen findet man in der Damenwäscheabteilung. Freudig unterwerfe ich mich diesen Wunderwesen mit kantigen Brillen. Sie haben eine beruhigend schroffe Autorität und scheuen sich nicht, Kundinnen ihnen ungeeignet erscheinende Ware aus den Händen zu nehmen und somit den Kauf zu untersagen. Es ist immer wieder spannend, in welchem Moment sie unbeirrt – ratsch! – den Vorhang der Umkleidekabine aufreißen, um den Sitz des Büstenhalters zu kontrollieren. Niemals würde ich anderen Menschen auch das erlauben: sich hinter mich zu stellen und ohne Warnung die Strumpfhose unter dem Kleid bis kurz unter die Achseln hochzuziehen.
Miriam Wurster
Trinken mit Spinnern
Wie kriegt man Esoteriker und Alkoholiker an einen Tisch? Einfach zu den Oldesloer Kornkreisen einladen.
Günter Flott
Sicherheitskontrolle
Am letzten, sehr heißen Tag einer Geschäftsreise stehen wir am Flughafen bei der Handgepäckkontrolle. Rucksäcke, Handtaschen, Jacken und Handys werden in grauen Kästen abgelegt und durchleuchtet, Behälter mit Flüssigkeiten müssen separat in durchsichtige Plastikbeutel gesteckt werden, damit die Höchstmenge pro Passagier nicht überschritten wird. Kosmetikfläschchen, Feuerzeuge und Batterien werden durchgewinkt, nur das graue Jackett mit den dunklen Schweißrändern unter den Ärmeln wird zu unserer Verwunderung herausgegriffen und von der Servicekraft genauer inspiziert. Einzige Erklärung: Es enthielt möglicherweise mehr als die erlaubten 100 ml Flüssigkeit.
Julia Mateus
Familienbande
Kind (in vorwurfsvollem Tonfall): »Warum hast du mich nicht geweckt, als Mondfinsternis war?«
Vater: »Du kannst ihn dir ja beim nächsten Mal angucken.«
Kind: »Der nächste ist erst, wenn ich 36 bin. Dann muß ich arbeiten!«
Helene Bockhorst
Frauen zurück an den Nerd
»Uahh – was schleichst du dich denn so von hinten an, Schatz?«
»Äh … von vorne anschleichen wäre ja ziemlich sinnlos, oder? Ich meine, da geht der ganze Überraschungseffekt doch flöten. Es hätte auch bescheuert ausgesehen. Ich glaube, nur sehr, sehr degenerierte Hauskatzen würden sich von vorne anschleichen. Oder vielleicht noch Ausdruckstänzer. Nee, warte, Tänzer, die sich für Katzen halten, die machen so’n Scheiß. Und das ist nur ein Grund, weshalb ich Musicals hasse!«
Gott, ich liebe diesen Mann!
Katinka Buddenkotte
Dialog mit Tiefgang
»Machst du eigentlich Fortschritte bei deinem Tauchkurs?«
»So peu Apnoe.«
Helge Möhn
Günstiger Finanzschutz
Das Gute daran, sich nur einen löchrigen Geldbeutel und keine Jeans mit intakten Hosentaschen leisten zu können: Es bedarf schon eines sehr gewieften Antanztricks, um Münzgeld oder Handy unbemerkt aus meinem Schuh zu fischen.
Cornelius Oettle