Vom Fachmann für Kenner | September 2015
Der abgebrochene Dialog
»Es ist so heiß, mein Gehirn kocht.« – »Ja ja, immer nur Blasen im Kopf!«
Valentin Witt
Die Menschheit muß untergehen
Vor mir im Einkaufscenter steuern zwei ältere Männer die Rolltreppe an. Sie haben Einkaufswagen mit sich, die jeweils mit acht Kisten Bier beladen sind. Ich steuere die Treppe an und denke mir noch, die wollen doch nicht etwa die Rolltreppe benutzen, da stellt sich der vordere samt Wagen auf die Stufen. Als diese sich zu senken beginnen, rutscht die oberste Kiste weg. Er versucht sie aufzuhalten, aber da kippt der ganze Wagen nach vorne. Weitere Kästen setzen sich in Bewegung, das Unglück nimmt seinen Lauf. Gefolgt von einem lauten Bersten der Flaschen überschlagen sich Mann und Wagen mehrere Male, bis beide schließlich unten ankommen. Selten habe ich so viel Glas scheppern gehört. Mitleid empfinde ich für ihn nicht, er hätte es besser wissen müssen. Sein Kumpel ruft von oben: »Das kannst du doch nicht machen«, aber dieser Ratschlag kommt etwas zu spät. Übrig bleiben eine halbe Kiste Bier, ein Depp mit Kopfverletzungen sowie zwei mit Bier überschüttete Kinder, die sich vor dem Mann befanden und die, unten angekommen, schreiend weglaufen.
Robert Rescue
Das Leben im Griff
Man kann über diese Frage trefflich streiten und mit Sicherheit gibt es alternative Ansätze, die ebenso aussichtsreich, da wohldurchdacht sind, aber meine persönliche Wahl fällt eindeutig aus. Ein ärmelloses, ursprünglich weißes Feinrippunterhemd gehört dann in die Wäsche, wenn sich über dem Bauchansatz ringförmige Rostflecken von den Bierdosen abzeichnen.
Theobald Fuchs
Zur Flirtkultur
Daß es gerade den Deutschen beim Flirten an Feuer und Romantik fehle, ist definitiv ein albernes Vorurteil. Dies wurde mir klar, als ich auf dem Bahnsteig Zeuge wurde, wie ein älterer, schwäbelnder Herr sichtlich interessiert eine hübsche, dem Akzent nach amerikanische Frau ansprach. Überraschend und leidenschaftlich bezirzte er sein weibliches Gegenüber damit, daß sich in seinem Heimatort nun der weit und breit größte Obi-Baumarkt befinde – da mußte ihr Interesse zweifellos schon geweckt worden sein, selbst wenn sie sich noch keck unimponiert gab. Als er nach kurzer Stille in der nächsten Phase seines Werbens noch eins obendrauf setzte und erzählte, jener Baumarkt sei gar zweistöckig, mußte er dann sicher bereits ordentlich Eindruck gemacht haben. Und als er schließlich mit ausladenden Gesten erklärte, die Gänge dort seien so breit, man könne theoretisch mit einem Auto hindurch fahren, hätte ich eigentlich damit gerechnet, daß die junge Dame nun beeindruckt auf den Kontaktversuch eingehen und ihr Interesse zeigen würde. Statt dessen: nichts, außer einem verlegenen Umherblicken. Aber so sind sie die Amis. Sehr unterkühlt, manchmal regelrecht unbeholfen.
Fabian Lichter
Tierhaltung wider Willen
Phonemisch unweit von »Katze« sind »Kacke« und »Kotze«. Zufall?
Olivia Ehlers
Mißt sehr genau
Nach nicht einmal vierwöchiger Nutzung zeigt mir meine »hochmoderne und äußerst präzise Digital-Diagnosewaage« (aus der Werbung) statt Körperfett-, Wasser- und Muskelanteil nur noch drei verschiedene Fehlersymbole an. Aus Frust darüber habe ich sicher 3,25 kg (7,17 lb; 0,51 St) zugenommen.
Tanja Hötzle
Hirnhumor
Mein Vater litt aufgrund eines Arbeitsunfalls mit Reinigungsmitteln kürzlich an temporärer Blindheit. Weil er deswegen nicht selbst zum Arzt fahren konnte, begleitete ich ihn.
Als ich nach einer guten halben Stunde aus dem Behandlungszimmer Lachen hörte, war ich erst mal recht verwirrt. Eben noch Angst vor möglicherweise bleibenden Schäden und nun Heiterkeit.
Warum er denn so gelacht habe, fragte ich ihn auf der Rückfahrt. Nachdem der Doktor ihn beruhigt habe, daß Langzeitfolgen so gut wie ausgeschlossen seien, berichtete der Vater, habe er den Arzt noch gefragt, ob er denn in einigen Tagen schon wieder arbeiten könne. Die Antwort des Arztes: »Na ja, erst mal sehen…«
Ernst Jordan
Zweite Karriere
Ich überlege, ob ich noch mal umsatteln sollte. Und zwar auf Naturforscherin. Mein Fachgebiet: der Zaunkönig. Im Sommer durchforste ich das Gebüsch hinter den Parzellen mit einigen mir unterstellten Rangern. Nach ein paar Jahren fassen die Vogelfamilien Vertrauen zu mir und legen ihr Verhalten offen. Balz, Nestbau, Kükenaufzucht. Ab und zu kommt ein Fernsehteam und berichtet über die »Dian Fossey der norddeutschen Vogelwelt«. Im Winter schreibe ich in der Hütte an meinem Bestseller »Zaunkönige im Nebel«.
Miriam Wurster
Küchenregel
Beim Verzehr japanischer Nudeln müssen die Ramen-Bedingungen stimmen.
Vivien Tharun
Oberstark
Im Fitnessstudio bin ich mit gründlichem Eifer darauf bedacht, meine Oberschenkelmuskulatur optimal zu trainieren. Ich tue das aus einem einzigen Grund, der mir wichtiger ist als jede Bikinitauglichkeit: Wenn ich auf ein Klo der Deutschen Bahn muß, kann ich dank meiner stahlharten und ausdauernden Oberschenkel mühelos über dem Sitz schwebend meine Notdurft verrichten und in dieser Position auch noch gemütlich bis zu 20 Minuten Zeitung lesen.
Regina Pichler
Seltsames, allzu Seltsames
Ich kenne viele Leute, die mich nicht mit dem Arsch angucken. Ich kenne aber keinen einzigen, der das tut. Wo bleibt da, frage ich mich, die statistische Normalverteilung, bitte?
Christian Y. Schmidt
Manege frei!
Meine Geschwister und ich verfügen über verschiedene Begabungen. Mein Bruder kann stundenlang auf einem Hochseil balancieren und dabei alle Primzahlen zwischen 1 und 1 Billion aufsagen. Meine Schwester ist in der Lage, gleichzeitig mit verschiedenen Gegenständen zu jonglieren und den Inhalt mehrerer Tausender Bücher wortgetreu zu rezitieren. Ich selbst schwinge wie schon mein Vater und Großvater am Trapez und kann auf Zuruf binnen Sekunden jeglichem Datum den richtigen Wochentag zuordnen. Die Menschen reagieren auf unsere Darbietungen mit dem mehr oder weniger rhythmischen Zusammenschlagen der Handinnenflächen, unartikuliertem Gejohle und schlimmstenfalls hinter der Bühne sogar mit Schulterklopfen. Was das bedeutet und was die Leute damit bezwecken wollen, konnte mir bisher allerdings niemand begreiflich machen. Schließlich stammen wir alle aus einer berühmten Autistenfamilie.
Daniel Sibbe
Der Duft der Frauen
Mein Respekt gegenüber der Karstadt-Parfumeuse dafür, daß sie – anders als ich – wußte, wie man den L.12.12 von Lacoste richtig ausspricht (nämlich französisch und nicht deutsch), verflüchtigte sich wie der Duft von Eau de Mandarine Ambrée von Hermès, nachdem sie dieses angepriesen hatte als »eines der besten O-de-Kolonnsch«.
Tina Manske
Die Alternative
Neun Uhr früh, im einzigen Straßenverkehrsamt des Landkreises. Unruhe am Infoschalter. Einer erregt sich über irgend etwas: Öffnungszeiten, Gebühren oder ein vergessenes Formular. Er wird laut, die Frau hinterm Tresen wird still. So weit, so erwartbar. Gähn. Aber dann horche ich noch einmal auf. Das würde mich doch schon interessieren, welches Alternativangebot der Wutbürger meint, wenn er plärrt: »Dann melde ich den eben irgendwo anders an!«
Peter P. Neuhaus
Neues Vorurteil
In letzter Zeit merke ich, daß ich eine starke Abneigung gegen Bauarbeiter habe. Ich kann dieses ewige Denken in Schubkarren nicht leiden!
Mark-Stefan Tietze
Welt der Wunder
Magermilchjoghurt schmeckt scheiße, aber das Wort enthält alle Vokale in der richtigen Reihenfolge. Schweinebraten mit Knödel und Blaukraut ist in dieser Hinsicht langweilig, aber schmeckt gut. So ist für jeden etwas dabei. Ist das Leben nicht schön?
Tibor Rácskai
Vorsicht bei Autobiographien
Nach einer auf einem ländlichen Volksfest durchfeierten Nacht lagen wir mittags am Baggersee in der Sonne. Mein Freund Franz: »Ach, war das schön, wie ich mit dieser hübschen Münchnerin auf dem Rücksitz ihres Autos gebumst habe!« Ich: »Heute morgen hast du aber erzählt, ihr hättet nur geknutscht.« Franz: »Ich hab’s mir anders überlegt.«
Christoph Virchow
Kunstgeschichtliche Anekdoten (3)
Freitagabends suchte Leonardo da Vinci zum After-Work-Umtrunk gerne eine kleine Trattoria am Ende der Florentiner Fußgängerzone auf. Im Verlaufe des Abends mochte es zu späterer Stunde vorkommen, daß seine Mitzecher ihn aufforderten: »He, Leo, mal uns doch mal wieder eine von deinen beknackten Maschinen, die sowieso nicht funktionieren, damit wir Renaissancetypen auch etwas zum Lachen haben!« Der Meister, schon leicht angeschickert, ließ sich nicht lange bitten, und schnell entstanden, später als Konstruktionsskizzen fehlinterpretierte, Zeichnungen von Hubschraubern, Tauchbooten oder Maschinengewehren auf den herumliegenden Bierdeckeln. Man darf allerdings annehmen, daß sich da Vinci, wenn er von den enormen Problemen gewußt hätte, die die Bundeswehr bis zum heutigen Tag mit diesen Gerätschaften hat, mit den Entwürfen wohl ein wenig mehr Mühe gegeben hätte.
Helge Möhn
Bronchial-Methode
In der Diskussion um den Nichtraucherschutz einigten sich Bund und Länder schließlich auf einen Kompromiß: Zigarettenautomaten bleiben auch weiterhin erlaubt, allerdings dürfen sie ihr fragliches Gut ab sofort nur noch mit einem monströsen Raucherhusten auswerfen.
Teja Fischer
Tip für Autoren
Größte vorstellbare Provokation zu Beginn einer Lesung: »Sehr geehrtes Publikum, als erstes wollen wir gemeinsam beten.«
Elias Hauck