Vom Fachmann für Kenner | Oktober 2013
Beliebte Frage von Nicht-Versicherungsmathematikern
Ist eine Sterbetafel eigentlich das gleiche wie ein Leichenschmaus?
Jens R. Fischer-Polikeit
Doppelt (nicht) gehoppelt
Bei der Modevokabel der Tatkräftigen, »proaktiv«, frage ich mich seit längerem, ob man gegenteilig eher von »propassiv« oder »kontraktiv« spricht. Inzwischen neige ich zu der Ansicht, daß »propassiv« die tätliche Handlung in der Entscheidung zur Aktionsverweigerung besser ausdrückt. Wer sich von seiner Propassivität erholen möchte, kann anschließend einfach kontraktiv sein. Faul sein tut es aber auch.
Michael Höfler
Der Nase nach
Das meiner Meinung nach einzige Argument für den Besuch einer Raucherkneipe: Am nächsten Tag sind die Popel fester.
Ingo Krämer
Weisheit 2.0
Der Philosoph Hans-Georg Gadamer soll einmal empfohlen haben, ausschließlich Bücher zu lesen, die mindestens tausend Jahre alt sind. Ich selbst halte das auch bei Tweets und Statusmeldungen so.
Tanja Hötzle
In den USA
darf Alkohol bekanntlich im öffentlichen Raum nicht nur nicht konsumiert, sondern erst gar nicht sichtbar transportiert werden. In New York wurde ich Zeuge, wie die Polizei arme Sünder zwingt, zuerst ihre eigenen Bierdosen oder -flaschen auf den Gehweg zu leeren und sich anschließend in die Lache zu setzen. Eine subtile Therapie, die bestimmt einen Rückgang des Alkoholkonsums bewirken wird. Ich schlage vor, den gleichen Trick anzuwenden, um die amerikanische Mordrate zu senken: Jeder, der einen anderen erschießt, muß sich hinterher auf die Leiche setzen. Das dürfte potentielle Täter wirksamer abschrecken als jede undemokratische Beschränkung des Waffenkaufs.
Theobald Fuchs
Ehre, wem Ehre gebührt
Als ich wegen meines T-Shirts mit dem klassischen Stalingrad-Schriftzug von einer Horde Faschos vermöbelt wurde, dachte ich noch: Immerhin kriegt man von der Elite auf die Fresse; von Neonazis, die Anspielungen verstehen und bis 1943 zählen können.
Frederik Moche
Fußballhoffnung
Spielplatzbolzerei. Unter den U8-Kickern fällt ein dicklicher Junge außer durch Rumstehen nur deswegen auf, weil er jede gelungene Aktion seines Teams mit einem quietschig-nervtötenden »FC Bayern, FC Bayern«-Singsang unterlegt. Irgendwann reicht es einem Spieler der gegnerischen Mannschaft, er tritt verschwitzt mit rotem Kopf und grasgrünen Knien an den Jungen heran und raunt ihm vorstopperhart zu: »Ey, so was sagt man nicht.« Daraufhin ist für den Rest des Spiels Ruhe. Für die kommende Bundesligasaison im speziellen und den deutschen Vereinsfußball im allgemeinen besteht also Hoffnung.
Thorsten Mausehund
Kommt Zeit, kommt Rat
Die Zeitumstellung geht mir unheimlich auf die Nerven! Sie ist offensichtlich nutzlos und ein großer Unfug. Aber wenn er einmal eingeführt ist, wird bei uns ja auch der überflüssigste Blödsinn nicht wieder abgeschafft! Ich fürchte jedenfalls, daß ich die Abschaffung nicht mehr erleben werde – im Gegenteil: Ich sehe schon kommen, daß es mich dereinst mal in der Nacht der Zeitumstellung zwischen zwei und drei aus den Latschen haut. Bin ich dann eigentlich richtig gestorben, oder was?
Manfred Hofmann
Was Hermann Hesse noch nicht wissen konnte
Angeblich sei es seltsam, im Nebel zu wandern, tatsächlich ist es noch viel seltsamer, mit 200 km/h über eine kurvige Landstraße durch den Nebel zu rasen.
Tibor Rácskai
Downgrade
Beim Essen greift die Schwester des Gastgebers für eine zweite Portion zur Salatschüssel, da ertönt ein unmißverständliches »Stop!«, und der Gastgeber schaufelt sich selber den Teller voll. Worauf die Freundin des Gastgebers mahnt: Die Schwester sei hier doch Gast. Na, in dem Fall sei sie wohl in erster Linie Schwester, erwidert da die umsonst in Schutz Genommene.
Matzel Xander
Innovation
Genervt von der Flut an ungebetenen Alternativvorschlägen, frage ich mich, wann endlich eine Life-Balance-App mit folgendem Vorschlag kommt: »Du hast dich gerade am Arsch gekratzt. User, die sich am Arsch kratzen, kratzen sich auch am Kopf und an den Zehen.«
Jonny Rieder
Produktempfehlung (5)
Zur ARD-Entlarvungsdoku »Deutschland, deine Pizza« (Montag, 22:00 Uhr), in der mit ungeheurem Aufwand nachgewiesen wird, daß industriell hergestellte Tiefkühlware bei weitem nicht so köstlich ist wie ein frischgebackenes Original aus einer familiengeführten Pizzeria in Neapel, schmeckt besonders gut »Wagners Backfrische Speciale mit Frühlingskräuterpesto« (Rewe, 2,22 Euro).
Mark-Stefan Tietze
Beziehungsfrage
Setzt eine Fernbeziehung eigentlich voraus, daß die Frau davon weiß?
Christoph Span
Autoren und Kinder zuerst
Am Schiffsanleger ist der Katastrophenfamilie grad der Kinderwagen in den See gestürzt. Inklusive Brieftasche und Videokamera. Exklusive Kind. Wie immer bekam ich alles nur aus den Augenwinkeln mit und viel zu spät: Mutter schreit Vater an. Vater schreit zurück. Dann nimmt er sich ein Herz und hechtet dem Kinderwagen nach. Passanten stehen herum oder greifen zu, feixend, kopfschüttelnd, die Arme in die Seiten gestemmt. Man hilft. Tropfnasse Beute. Vater untersucht schimpfend die Videokamera. Mutter obduziert zeternd Brieftasche, Kinderkleidung und Fernglas. Vater stopft zusammengedrehte Papiertaschentücher in die Kameraöffnungen. Hoffnung auf Besserung: Batterieteil abmachen, pusten, Batterieteil dranmachen. Mutter trocknet Vaters Espadrilles auf einem Stein am Kai. Vater schreit das Kind an, das sich neben ihn ans Wasser stellen will. Stille.
Jetzt gehe ich zusammen mit der Familie an Bord eines Dampfers und weiß nicht, ob ich mich sicher fühlen soll, zusammen mit denen, mitten auf dem See… ich werde meine Siebensachen sprungbereit neben mir an Deck haben.
Peter P. Neuhaus
Familienschicksal
»Dein Großvater (Klaus) wurde in Klammern geschrieben, dein Vater (Max) wird in Klammern geschrieben, und auch du, lieber (Jochen), wirst in Klammern geschrieben.«
Teja Fischer
Ärgerlich
Nachdem ich eine umfangreiche Sammlung der Werke Béla Bartóks geerbt hatte, wollte ich mich seiner Musik nicht völlig ahnungslos nähern und versuchte, mich über die Einordnung seines Werkes in der Musikgeschichte und seinen Einfluß auf Nachfolger kundig zu machen, gab aber bald genervt auf: Kein einziger der ganzen verdammten Musikwissenschaftler war auf die Idee gekommen, seine Texte mit Spoilerwarnungen zu versehen.
Karsten Wollny
Mach Wischi-Waschi
Wir verbrachten den Urlaubsabend auf der Terrasse über dem See, als uns ein junger, herrenloser Hund zulief. Er beherbergte vollgesogene Zecken und stank. Vor allem eine meiner Mitreisenden namens Kerstin störte sich daran. Ich forderte sie auf, dem armen Hund doch das Gefühl von Geborgenheit zu geben und ihn in ihrem Bett schlafen zu lassen – die Zecken würden dann schon von selbst abfallen. Kerstin ging nicht auf meinen Vorschlag ein, und der Hund trollte sich nach einer Weile.
In der Nacht ging ich mit einer anderen Mitreisenden durch das dunkle Gebüsch zum See, wo wir schwimmen wollten. Unten angekommen, drehte sie sich zu mir, als ich mich gerade auszog, und sagte: »Na, wenn du jetzt schwimmen gehst und schön Wischi-Waschi machst, daß du schön sauber bist, darfst du ja vielleicht doch noch zu Kerstin ins Bett.« Ich muß sie recht entgeistert angesehen haben, bis ich bemerkte, daß sie nicht mich, sondern den wiederaufgetauchten Hund angesprochen hatte, der hinter mir im Gebüsch saß.
Alexander Dreppec
Natürlich gewachsen
Heute morgen habe ich in einer Radioquizshow gehört, daß die Nase und die Ohren die einzigen Körperteile seien, die während des ganzen Erwachsenenlebens weiterwüchsen. Deshalb kriegt man wohl auch so selten Spam-Mails für Nasen- oder Ohrenvergrößerung.
Erich Klepptenberger
So muß es gewesen sein
Ich ging zum Flaschenöffner, der an einem Mülleimer vor dem Kiosk angebracht war, um mein Bier zu öffnen. Dort standen zwei junge Frauen aus einem spanischsprachigen Land, die dem Anschein nach schon ein paar Flaschen mehr als ich geöffnet hatten. Eine der Damen blickte mich mehrere Sekunden lang intensiv an, wandte sich wieder ihrer Freundin zu und sagte leicht kopfschüttelnd: »¡No!«
Ich habe nun eine Weile über die Begebenheit nachgedacht und bin mir mittlerweile sicher, die junge Frau hatte sich die Frage gestellt: »Ist das ein häßlicher Mann?«
Tim Wolff
Carpe Mortem
Das Motto für alle, denen »Carpe Diem« und »Yolo« zu anstrengend sind: Nutze den Sarg.
Tim Esser
Vergleichende Ausdrucksforschung
Die aufdringliche Manier, in welcher ordinäre Bankangestellte einem die finanziellen Zusatzprodukte ihres Hauses andienen (»Sie haben sehr schöne Eingänge, Herr Klug!«), unterscheidet sich formal in rein gar nichts von der Art und Weise, in der Prostituierte ihre gewerblichen Praxen anpreisen (»Fickificki?«). Obwohl es natürlich falsch ist, ein prinzipiell sittliches Gewerbe einem unsittlichen gegenüberzustellen. Denn immerhin haben auch Huren einen Ruf zu verteidigen und eine Ehre zu verlieren.
Sebastian Klug
Korrektur:
»Wer den Timanfaya nicht gesehen hat, war nicht auf Lanzarote«, variierte die Reiseleiterin einen in allen Urlaubsgebieten der Welt üblichen Spruch. Als sie den blinden Mitreisenden neben mir bemerkte, zögerte sie nur kurz und sagte dann: »Also, umgekehrt stimmt es auf jeden Fall!«
Uwe Geishendorf
Steppenwolf-Plag
All diese Coverbands auf den Dorffesten – die kopieren sich doch mittlerweile gegenseitig!
Thomas Tonn
Ethnographie
Dunkeldeutschland? Von diesem diskriminierenden und ausgelutschten Terminus habe ich noch nie etwas gehalten. Als wacher Beobachter der hiesigen Öko-Szene bekomme ich jedoch langsam eine Aversion gegen (und auch ein bißchen Angst) vor: Dinkeldeutschland.
Wanja Lindenthal