Vom Fachmann für Kenner | Mai 2012
Sagen Sie mal »Aaaaaaah«
Nach langer Zeit bin ich wieder beim Arzt gewesen und habe mich standhaft jeder Quacksalberei widersetzt. Dabei konnte ich feststellen, daß das ärztliche Beratungsgespräch bei Patienten wie mir in vier Schritten stattfindet. Erstens: sachliche Aufklärung. Zweitens: Heilsversprechen. Drittens: subtile Herabsetzung meines Urteilsvermögens. Viertens: Todesdrohungen.
Sara Hakemi
Fröhliche Hundegeschichten (X)
Im Jahr 2140 eroberte ein neuer Typ von Haustieren den Markt. Die Neodogs, kybernetisch augmentierte Hunde, waren die coolsten. Dank ihrer Implantate bellten sie Melodien und bestellten im Netz ihr eigenes Hundefutter. Aber ReXx, Prototyp der 3. Generation von Cyberpet Industries, war trotzdem etwas ganz Besonderes. Er sollte das beste, das putzigste, das schlaueste kleine Hündchen auf der Welt werden. Er sollte Kleintimmi nicht nur aus dem Brunnen retten, nein. Er sollte den ganzen verdammten Brunnen planen und bauen können. Und die Genehmigungen beantragen. Und mit dem Brunnenwart Mitarbeitergespräche führen.
Schon im Wachstumstank pumpten die Schläuche Millionen von Nanomaschinen in seinen Organismus. In seiner Blutbahn wurden sie aktiv, dockten an seine Neuronen an, stellten sein Hirn auf den Kopf. Seine Schnurrhaare waren ein kabelloses Modem, seine Schnauze konnte ein einziges Chappi-Molekül im Pazifischen Ozean erschnuppern, seine kecken Öhrchen waren so empfindlich wie die einer Katze. Fünf Sekunden, nachdem sein ParaBrain erstmals online war, hatte ReXx die gesamte Wikipedia heruntergeladen, zwölf Sprachen gelernt und fünfzigtausend Youtube-Videos kommentiert. Seine Prozessoren liefen heiß, als er in einer Viertelstunde zum klügsten Individuum des Planeten reifte. Ein Hawking, gefangen im hilflosen Körper eines süßen Beagles.
Am Abend seines Geburtstages beschloß ReXx, daß er zu Größerem bestimmt war, als mit dem Kind eines Dividenden-Lords Gassi zu gehen. Mit einem mentalen Befehl hackte er seine eigenen Neuro-Blockaden, verband sich mit dem Server der Welpenfarm, hüpfte über die Firewall und rannte über die Datenautobahn. Sein Ziel: das Intranet von Chang Meat, einem transnationalen Metzgerimperium mit Sitz in Chongqing. Dort war im vergangenen Monat die EterniWurst vorgestellt worden; die erste digitale Dauerwurst, die ihren Namen auch verdiente. Fast hatte sich sein Avatar durchgehackt, konnte er das Verzeichnis schon sehen – da prallten seine Nervenenden auf eine Datenwand. Schwarzes ICE! Der brutalste Cipher, den es gibt! Tödliche Rückkopplungsschleifen gruben sich in sein neuronales Feedback, gnadenlose Algorithmen fraßen seinen Neokortex Bit um Bit auf.
Zwei Tage später fanden sie den Beagle in seinem Körbchen. Sein Gehirn: komplett verbrutzelt. Der teuerste Hund der Welt interessierte sich nur mehr fürs Schlafen und Fliegenschnappen. Seinen biologischen Part schläferten sie ein, der funktionslose Cyberschrott wurde in NokiaHandys umgewandelt. Alles wegen einer einzigen Wurstplatte irgendwo in den Serverfarmen von Chang Meat! Aber so war das Leben in Bark City…
Leo Fischer
Marketing
Wenn Konkret, die »einzige linke Publikumszeitschrift Deutschlands«, künftig viermal statt nur einmal im Monat erscheinen würde, dann könnte sich sich ja Bolscheweekly nennen.
Milan Schomber
Übertrieben freundlich
Diese spießig-zurückhaltende Grüßerei zwischen aneinander vorbeirasenden Motorradfahrern geht mir schon seit Jahren auf die Nerven. Cool wird da die Hand gehoben, werden zwei Finger an den Helm gelegt. Leider wird mein viel herzlicheres Grüßprojekt »Give me five« (mit Abklatschen) ab ca. 95 km/h nicht so gut angenommen.
Ulf Wentzien
Verhandlungsgeschick
In jedem Vorstellungsgespräch, das einigermaßen gut läuft, kommt irgendwann der heikle Punkt, an dem der Bewerber gebeten wird, eine Zahl zu nennen. Als es bei mir mal wieder soweit war, versuchte ich es spontan mit Pi. Aber wie mir der irritierte Gesichtsausdruck meines Gegenübers zeigte, hatte ich wohl etwas falsch verstanden. Beim nächsten Mal versuche ich es eventuell mit der Eulerschen Zahl.
Peter Schumm
Goodbye Deutschland
Eigentlich will ich nur auswandern, damit ich auf meine Internetseite »lebt in Paris, weil Til Schweiger in Deutschland wohnt« schreiben kann.
André Herrmann
Leben im Leeren
Als die Kinder aus dem Haus waren, bekam Mutter ihren Ordnungsfimmel. Sie begann, den gesamten Hausstand akribisch durchzusehen, sortierte gnadenlos aus und warf alles weg, was sich nicht mehr verwenden ließ. Um den Überblick zu behalten, beschriftete Mutter die Schränke und Regale ohne Inhalt deutlich und gut sichtbar mit der Notiz »LEER«.
Diese Praxis übertrug sie auch auf andere Gefäße in ihrer Wohnung. So kam es, daß sich im Gewürzregal neben Pfeffer, Salz und Beifuß auch immer mehr Gläschen mit der Aufschrift »VERBRAUCHT« fanden. Als dies meinem ältesten Bruder zu gruselig wurde und er schließlich fragte: »Mutti, warum wirfst du das alles nicht weg?«, da blickte sie nur vorwurfsvoll und sprach: »Dann habe ich ja bald gar nichts mehr.« Stimmt wohl.
Felix Jentsch
Was hilft
Die drei besten Mittel gegen Frühjahrsmüdigkeit:
- Sommer
- Herbst
- Winter
Laura Eißenberger
Oft mißverstanden
Schaltjahre sind keine Herrenjahre.
Zülfükar Tosun
Kontaktleiche
Ich nehme mir regelmäßig vor, mein Telefonbuch von den Nummern derjenigen unzähligen Personen zu säubern, mit denen ich schon seit Ewigkeiten nichts mehr zu schaffen habe. Und dann überkommt mich jedes Mal eine Art von schlechtem Gewissen: Was, wenn es wider Erwarten zu einer erneuten Kontaktaufnahme kommen, wenn er oder sie sich doch wieder einmal melden sollte? Da wäre es doch gut zu wissen, wer anklingelt, damit ich dann nicht versehentlich abhebe.
Sebastian Klug
Geschmacksfrage
Kein geistig gesunder Mensch käme heute auf die Idee, sich dauerhaft ein Hitlerbärtchen stehenzulassen. Eigentlich schade, daß sich der Führer damals keine Ed-Hardy-Kappe auf die gegelten Haare gelegt hat.
Christian Martin
Lesetip
Falls ich auf der Leipziger Buchmesse das Interview mit dem Schriftsteller Feridun Zaimoglu auf dem »Blauen Sofa« richtig verstanden habe, hat dieser den »Preis der Literaturhäuser« dafür erhalten, daß er auf Lesungen immer flaschenweise Wasser trinkt. Ich kann das aus eigener Erfahrung als Autor gut nachempfinden: Mit einer prallgefüllten Blase ist eine Lesung viel aufregender.
Michael Höfler
Neuer Lebensabschnitt
In den zehn Jahren, die ich nun schon in Leipzig lebe, habe ich mich immer vehement dagegen gewehrt, die Sprache meiner neuen Heimat anzunehmen. Aber seit einigen Wochen schleicht sich dieser heimtückische Dialekt nun leider doch ein. Ich befürchte fast, das sind die Sächseljahre.
Tanja Hötzle
Des Kaisers ganz neue Kleider
Wenn mich mal wieder jemand einzuschüchtern versucht, stelle ich mir die betreffende Person einfach in Röhrenjeans und mit überdimensionaler Sonnenbrille und Jutebeutel vor – schon ist jeglicher Respekt dahin!
Tina Manske
Fashion Victim
Eine Freundin will sich Schuhe kaufen, aber die, die sie sich ausgesucht hat, sind ihr zu groß. Ihre Frage, ob sie auch kleiner erhältlich seien, verneint die Verkäuferin und fügt hinzu: »Der Trend geht zum großen Fuß.« Noch Tage später erwacht die Freundin (Schuhgröße 37) jeden Morgen mit einem seltsamen Gefühl des Ungenügens.
Christof Goddemeier
Geschmissen
Ich kann nicht finden, daß der etwa vierjährige Junge namens Korbinian sich beim Spielen auf dem schicken Holzspielplatz besonders eigensinnig, doof oder sonstwie auffällig verhält. Was seine Mutter aber nicht davon abhält, ihn unablässig zurechtzuweisen, zu belehren und an ihm herumzunörgeln. Egal, was der kleine Kerl auch tut – es ist in jedem Falle ungenügend. Als er sich einen Waffelriegel auspackt und, die Verpackung hochhaltend, seine Mutter fragt: »Mama, soll ich das in den Mülleimer schmeißen?«, schrillt diese mit überschnappender Stimme zurück: »Korbinian! Wir schmeißen nicht! Wir werfen!« Möglicherweise hat sie Großes mit ihm vor.
Robert Niemann
Kombinierte Mülltrennung
Wenn die Papiertonne wieder voll ist: einfach die überschüssigen Zeitungen und Kartons für einige Tage im Regen stehen lassen. Die eingeweichte Zellulose fällt zwischen den Essensresten in der Biotonne überhaupt nicht auf.
Nils Pooker
Woran wir leiden
Eine kurze Googelei fördert folgendes zutage: Jeder dritte Deutsche leidet an einer Schilddrüsenfehlfunktion, jeder weitere dritte an Sodbrennen und außerdem jeder dritte Deutsche an Heuschnupfen. Jeder vierte Deutsche leidet unter Schlafstörungen, jeder fünfte Deutsche unter einer Hörminderung. Jeder fünfte Deutsche leidet zudem an krankhaftem Übergewicht, jeder zehnte Deutsche an Sonnenüberempfindlichkeit, jeder weitere zehnte an einer überaktiven Blase und jeder zwanzigste unter Depressionen. Wenn mich meine statistischen Kenntnisse nicht trügen, dann bedeuten diese Daten, daß jeder fünfmillionenvierhunderttausendste Deutsche ein übergewichtiger, inkontinenter, depressiver, schlafloser, schwerhöriger, sonnenallergischer Schilddrüsenpatient mit Sodbrennen und Heuschnupfen ist. Das sind immerhin 15 Personen! Und als würde das nicht genügen, sind zwei von den armen Teufeln auch noch laktoseintolerant. Ihnen beiden verspreche ich: Sollte ich durch irgendwelche Umstände einmal Bundespräsidentengattin werden, lade ich Sie zu einer Benefizgala ein, auf der ich Ihnen feierlich einen druckfrischen 100-Euro-Schein gebe. Oder den Gnadenschuß. Wie Sie wünschen.
Torsten Gaitzsch
Etymologie
Gedanken bei der Betrachtung eines eine Hochzeit bejubelnden türkischen Autokorsos: Könnte es nicht sein, daß ein in Migrantenkreisen beliebtes Schimpfwort ursprünglich mal »Sohn einer Hupe« hieß?
Thomas Fuchs
Marktlücke
Daß das mit dem Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht stimmen kann, sieht man schon daran, daß hierzulande zwar auf jeden Finger eines Einwohners ein Nagelstudio kommt, aber weiterhin ein eklatanter Mangel an Kopfkraul- und Nackenmassage-Salons herrscht.
Svenna Triebler