Vom Fachmann für Kenner | Januar 2011


Aus einer chinesischen Enzyklopädie

Von den Schneeflocken aber zählt das Buch der Wesenheiten nur zweimal sieben Arten: a.) die sechseckigen, b.) die achteckigen, c.) die kleinen, d.) die in der Hand schmelzen, e.) die im Mund schmelzen, f.) die dem Staat gehören, g.) einbalsamierte, h.) gezähmte, i.) die in diese Gruppe gehören, j.) die den Wasserkrug zerbrochen haben, k.) die von weitem wie Federn aussehen, l.) die den anderen ähneln, m.) mit denen sich der Himmlische Jadekaiser nicht so viel Mühe gemacht hat wie mit den anderen, n.) die die verdammte Einfahrt vollmachen, verdammt noch eins.

Leo Fischer

Kinderarmut 2011

An wildfremde Kinder, die dich auf dem Weihnachtsmarkt anquatschen, ob du ihnen Geld fürs Karussell geben kannst, hat man sich ja schon gewöhnt. Neu sind hingegen wildfremde Kinder, die dich anquatschen, ob du ihnen beim Karussellfahren zuwinken kannst.

Thorsten Mausehund

Der Feierabend (IV)

Setzen Sie sich im Schneidersitz auf den Boden und biegen Sie den rechten Fuß auf den linken Schenkel und den linken Fuß auf den rechten Schenkel. Stellen Sie sich nicht so an, die Yogis verharren jahrelang in dieser Position. Schließen Sie nun die Augen, und denken Sie an nichts. Stellen Sie sich vor, in einen Canyon zu fallen, dessen Grund so tief ist, daß Sie ihn nicht erkennen können. Öffnen Sie nun die Augen, und konzentrieren Sie sich einzig auf Ihren Atem, aber so, als säßen Sie in Ihrem Kopf und würden auf Ihren Atem herunterblicken – und als würde Ihr Atem das nicht wissen. Verharren Sie 55 Minuten. Beißen Sie sich immer dann fest auf die Zunge, wenn Sie sich selbst dabei ertappen, mit Ihren Gedanken abgeschwiffen zu sein. Suchen Sie nach dem Fehler in diesem Text.

Vera Henkel

Freiluftbühne

Das Nashornschutzgebiet am Nakurusee in Kenia sollte endlich Ionesco-Weltkulturerbe werden.

Torsten Gaitzsch

Tun und beschreiben

Daß viele Dinge leichter gesagt als getan sind, gilt nach meinen Erfahrungen leider nicht für die polnische Sprache.

Jürgen Naumann

Späte Erkenntnis

Fliegen sind zu klein, als daß man Angst vor ihnen hätte, aber auch zu groß, als daß man sie einfach ignorieren könnte. Sie werden von jedem Mist magisch angezogen, und nach einem kurzen Leben voller Bedeutungslosigkeit verlassen sie diesen Planeten, ohne daß irgend jemandem aufgefallen wäre, daß sie da waren. Vielleicht hätte ich mich damals bei meinem Kinderpsychologen doch nicht als Katze malen sollen.

Christian Martin

Für Kristina Schröder

Frauen aus meinem Bekanntenkreis, die sich in jener Zeitspanne des Lebens befinden, die man gemeinhin als »mittleres Alter« bezeichnet, verspüren seit neuestem den Drang, mich darüber zu informieren, daß meine Brüste früher oder später auch der Schwerkraft zum Opfer fallen werden. Obwohl ich dies niemals in Zweifel gezogen habe! Durch diesen meinen Makel – und das lassen sie mich spüren – bin ich ihnen nie ganz zugehörig, er macht mich zur Außenseiterin. Simone de Beauvoir sagte: »Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.« Offenbar durch hängende Brüste.

Saskia Wagner

Virtuelle Hoffnung

Ich bin mir über die Auswirkungen von Datenmißbrauch und -austausch durchaus im klaren, aber solange beim Online-Kraken Amazon Programmierer am Werk sind, deren Software mir Werke wie »Deutschland schafft sich ab«, »Das Ende der Geduld« und »Der kleine Drache Kokosnuß und die starken Wikinger« empfiehlt, bin ich optimistisch.

Michael Höfler

Beutels Kern

Über Frauen und Handtaschen, genauer: deren ominösen Inhalt, gibt es die krudesten Spekulationen. Mir wurde ein kleiner Einblick gewährt, als eine adrett gekleidete Blondine sich auf den Bürgersteig kniete und begann, ihren prallgefüllten, zierlichen Lederbeutel auszupacken, wobei sie bei jedem Utensil laut, vernehmlich und immer verzweifelter »Mist, Mist, Mist!« rief. Ein Blick auf den ausgebreiteten Tascheninhalt bestätigte mir dieses selbstkritische Urteil.

Maik Hölzel

Zwei stimmige Thesen

Ich schwöre hiermit hoch und heilig, weder einen Eishockeyspieler noch einen Feldhockeyspieler persönlich zu kennen oder je gekannt zu haben. Dennoch stelle ich die These auf, daß Eishockeyspieler Feldhockeyspieler für schwul halten und Feldhockeyspieler Eishockeyspieler für dumm. Als zweite These möchte ich der ersten anfügen, daß beide wohl recht haben.

Christian Widder

Ewige Worte

Von Zeit zu Zeit lese ich Sätze, die ich am liebsten aus ihrem Zusammenhang gerissen in steinernen oder hölzernen Buchstaben in einem eigens dafür geschaffenen Park der Öffentlichkeit zugänglich machen würde. Mein aktueller Favorit stammt von Jared Diamond: »Die Theorie der Hodengröße ist einer der Triumphe der modernen Anthropologie.« Aber vielleicht tut es ein einfacher T-Shirt-Aufdruck ja auch.

Karsten Wollny

Schnelle Hilfe

Bei Koranverbrennungen eventuell wirksame Gegenmaßnahme: Einmal pro Brand den Koran über islamisches-zentrum-muenchen.de/quran01.pdf als PDF herunterladen, auf Platte speichern und anschließend löschen.

Nathan Brosius

Ausgerechnet

Letztlich spart Zigarettenrauchen doch Geld: Man trinkt seine Biere merklich langsamer.

Harald Wurst

Wohnung zu besetzen

An die dreißig Punks, die für eine Nacht das leerstehende Wohnhaus gegenüber besetzt und dieses laut Polizei blitzsauber geputzt wieder verlassen haben: Könntet ihr bitte auch mal für eine Nacht meine Wohnung besetzen? Zumindest das Bad?

Jürgen Marschal

Deutsche Frage

Als ich in der Inszenierung von Peter Hacks‘ »Die Sorgen und die Macht« des Deutschen Theaters Berlin die absolute Bühnenblödheit einer Reich-Ranicki-Parodie erleben mußte, habe ich mich zum ersten Mal gefragt, ob Marcel Reich-Ranicki – gerade als Opfer des Nationalsozialismus! – eigentlich stolz darauf ist, als am einfachsten zu persiflierende Figur des deutschsprachigen Raumes niemand Geringerem als Adolf Hitler den Rang abgelaufen zu haben.

Martyn Heyne

So gesehen

Das Tolle an einem Regenschirm ist, daß man ihn nie waschen muß.

Tina Wirtz

Anhaltspunkt

Jeder kennt diese Fragen: Wie groß ist deine Liebe? Wie tief ist dein Schmerz? Denjenigen, die sich, allgemein formuliert, mit der Quantifizierbarkeit emotionalen Erlebens beschäftigen, kann ich mit diesem Hinweis vielleicht weiterhelfen: Das Völlegefühl, das mich über die Festtage plagte, läßt sich mit ungefähr sechs Pfund bemessen.

Helge Möhn

So geht’s auch

Wer sich keine Spielekonsole leisten kann oder will, dem bietet sich als Ego-Shooter folgende Alternative: beim Bäcker um die Ecke günstigen Pflaumenkuchen vom Vortag kaufen und diesen in der heimischen Küche vor einer hell gefliesten Wand plazieren. Einige Minuten abwarten, flache Hand in Stellung bringen, dann eine Obstfliege nach der anderen killen.

Bernhard Löwenberg

American Airsleep

In Flugzeugen kann ich nicht gut schlafen. Beiläufig erwähnte ich das beim Thema Platzwahl, als ich bei American Airlines eincheckte. Die Frau am Schalter versuchte mich zu beruhigen: »You will sleep like a baby in our aircraft.« Was wollte sie mir damit sagen? Daß ich alle zwei Stunden aufwachen und schreien würde?
In etwa so war’s dann auch.

Volker Surmann

Jude und ich

Ich steige in die Tube und brause durch London. Draußen herrscht kaltes Dezemberwetter, die Leute sitzen mit gesenkten Köpfen da. Ich hebe nur kurz den Blick, sehe den Mann gegenüber und zucke zusammen: Es ist Jude Law. Tief läßt er mich in seine grauen Märchenaugen sinken und – lächelt. Kein Wunder, ich sehe heute wie immer umwerfend aus! Selbstbewußt strahle ich zurück. Eine Weile verbringen wir wild flirtend, und dann, das sieht man deutlich, möchte er mich ansprechen, er überlegt noch, aber gerade will er den Mund aufmachen, da hält die Tube, wir stehen auf und ich sehe: Er ist gar nicht Jude Law, sondern einen halben Kopf kleiner als ich, und ich bin immer noch in Bielefeld.

Anna Leuschner

E-Heizdecke

Vielleicht sollten wir wegen unserer kaputten Heizung doch mal den Installateur anrufen: Inzwischen schalte ich unbewußt den Laptop ein und stelle ihn auf meinen Schoß, nur um nicht mehr zu frieren.

Sebastian Klug

Büro-Knigge

Zwei Männer biegen aus unterschiedlichen Richtungen um die Ecke. Der eine führt seinen Hund, der andere raucht. Ich werde unfreiwillig Zeuge des folgenden Dialogs. Mann mit Hund: »Hey, Kollege.« Mann mit Zigarette: »Meinst du mich oder deinen Hund, Chef?« – »Ich mein schon dich, Meister, ob du eine Zigarette für mich hast!« – »Kein Problem, Kumpel!«  Ende der Konversation. In welcher Branche auch immer sie tätig sind: Jedenfalls sind die beiden extrem flache Hierarchien gewohnt, Alter!

Theobald Fuchs

Krebsübel

Großes Flußkrebsessen in der WG. Nach einer Stunde mühsamen Scherenpanzerknackens und Schwänzepulens häufen sich in den Abfallschalen die Schalentierschalen. Ein Mitbewohner: »Mann, dauert das lange! Gut, daß wir dabei was essen, sonst würde ich allmählich Hunger kriegen.«

Katharina Greve

Hauptsache kritisch

Titel von Aquarellen bei einer Vernissage in Rönkhausen:

  1. »Sonnenaufgang im Mekongdelta I«
  2. »Der Eingang des Geburtshauses des Dichters Friedrich Wilhelm Weber«
  3. »Kritische Afrikanerinnen«
  4. »Sonnenaufgang im Mekongdelta II«

 

Peter Neuhaus

Logisch

Die einzige Gelegenheit, den ubiquitären Jauchzer »Wo wären wir nur ohne sie?« noch sinnvoll auszustoßen, ist beim Lobpreisen von Navigationsgeräten.

Tina Manske

Psychologie der Technik

Öfter schon beobachtete ich mit einer gewissen Irritation, wie in Autowerbungen die Scheibenwisch- und -waschanlage präsentiert wird. Pralle Geländewagen gleiten da durch Schlammlöcher und spritzen sich danach mächtige, schäumende Fontänen aufs Glas. Auflösung meiner Irritation war folgende Erklärung: Wenn Autos, wie man sagt, Phallussymbole sind – dann ist das Scheibenwasser das Ejakulat.

Robert Friedrich von Cube

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 Du, »MDR«,

gehst mit einer Unterlassungserklärung gegen die sächsische Linke vor, weil die im Wahlkampf gegen die Schließung von Kliniken plakatiert: »In aller Freundschaft: Jede Klinik zählt.« Nun drohen juristische Scharmützel nebst entsprechenden Kosten für beide Seiten. Wie wäre es, wenn die Linke ihr Plakat zurückzieht und im Gegenzug nur eine einzige Klinik schließt? Die Ersparnisse dürften gewaltig sein, wenn die Sachsenklinik erst mal dichtgemacht hat.

Vorschlag zur Güte von Deinen Sparfüchsen von Titanic

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster