Vom Fachmann für Kenner | Januar 2008
Verdacht
Im Kühlschrank fand ich eine »Milchschnitte«, deren rot-weiße Plastikverpackung so stark aufgebläht war, daß sie einem Daunenkissen mit dem blauen Aufdruck »Milchschnitte« glich. Das auf dem Kissen aufgedruckte Haltbarkeitsdatum unter dem Hinweis »Bitte zügig aufbrauchen« war schon seit Monaten überschritten, und jetzt habe ich einen schrecklichen Verdacht: Kann es sein, daß in »Milchschnitte« tatsächlich Milch enthalten ist?
Nils Heinrich
Sprachexperiment
Wenn man noch konsequenter als der Autor Wolf Haas die Verben einfach. Dann man doch, daß irgendwas.
Michael Höfler
Machiavelli
Machiavelli für Frauen, Machiavelli für Manager – wo bleibt der Nischen-Niccolò für mich? »Machiavelli für Antriebslose« fände meinen begeisterten Zuspruch. Nun ja. Eventuell würde ich den Kauf erwägen. Denn siehe: Ein weiser Fürst kennt zweierlei Formen klugen Einkaufens. Die eine, welche hmpf. Und dann noch die andere.
Leo Fischer
Mein Ödipus-Komplex
Der Vater, sonst ein eher humorverständiger Mensch, konnte so recht nicht drüber lachen, als ich ihn an seinem Geburtstag besuchte, welcher in diesem Jahr etwas ungünstig auf den Tag vor der längst fälligen Darmspiegelung fiel, ihm artig gratulierte – und anschließend die hinter mir wartende Gästeschlange mit einem an Dutzenden amerikanischen Polizeiserien erübten lakonischen Wink aufforderte: »Abführen!«
Frank Schäfer
Ellenbogenpessimismus
Heutzutage muß jeder selbst schauen, wo er auf der Strecke bleibt.
Matthias Sohr
Kultureller Unterschied
Während meines Studiums half ich gelegentlich in einem kleinen chinesischen Restaurant aus. Nach der Schicht wollten mich die Köche regelmäßig in die Disco einladen. Aber nicht mit mir! Ich halte nämlich überhaupt nichts von diesen Afterwokpartys.
Thea Unangst
Gegen die Langeweile
Wenn mir langweilig ist, rufe ich gelegentlich Freunde an und schreie aufgeregt in den Hörer: »Du, ich sitze hier gerade im Quiz-Taxi von Kabel 1!« Im Anschluß stelle ich eine beliebige Frage, die mir auf der Seele liegt. Mehr Aufmerksamkeit geht nicht!
Max Holzgraf
Unbequeme Wahrheit
Langsam reicht’s aber mit der Al-Goreisierung der Gesellschaft: Als neulich irgendwo der Song »Stand By Your Man« lief, dachte ich sofort: »Das ist doch Stromverschwendung!«
Sven Sakowitz
Alltagsmathematik
Ein lieber Bekannter berichtete mir , daß er im örtlichen T-Punkt in einen unerklärlichen Kaufrausch verfallen sei und ein Heidengeld für irgendwelchen T-Schnickschnack ausgegeben habe. Feixend fügte er an, daß er sich hinterher nicht einmal mehr eine der osteuropäischen Prostituierten hätte leisten können, die, wie Ortskundige wissen, in einer nahegelegenen Seitenstraße ihren Dienst verrichten. Mir führte dieser Bericht vor Augen, wie einfache mathematische Regeln unseren Alltag bestimmen: Punktrechnung geht nun mal vor Strichrechnung.
Thorsten Mausehund
Bärenspaß
Wenn man, wie ich, einem Studentenjob im Servicebereich einer Luxusherberge nachgeht, bemerkt man schnell, wie viele Manager-Typen Stofftiere aller Art ins Schlafgemach mitnehmen. Neulich kam ich auf der vorabendlichen Tour in ein Zimmer mit laufendem TV-Gerät. Davor thronten, auf zwei Sitzmöbel verteilt, ein ganz großer Elch, ein mittelgroßer Elch, ein kleiner Teddy auf dem Kopf des ganz großen Elchs und artig nebeneinanderhockend etwa zwei Dutzend unterschiedlich große, aber eindeutig der gleichen Familie angehörige Teddybären mit verschiedenfarbigen Zipfelmützen und gestreiften Strickschals. Sie sahen sich einen Film auf Premiere an, der mir für Teddys allerdings nicht geeignet schien. Wenigstens hatte ihr Besitzer ihnen die Fernbedienung griffbereit plaziert; nebst einigen Schoko-Riegeln, maulgerecht in Reiter zerteilt und vom Papier befreit. Und einem Zettel, der sich offenbar an mich richtete: »Den Fernseher bitte anlassen, wegen der Bären!«
Melanie Kranz
Erfahrungswerte
Die von Jugendlichen mit Dreadlocks gegenüber Polizeibeamten an der deutsch-holländischen Grenze getätigte Aussage »Ich hab keine Drogen bei mir, Sie können mich ruhig durchsuchen« zieht in der Regel eine Durchsuchung nach sich. Die Aussage »Natürlich habe ich Drogen bei mir! Ich komme schließlich aus Amsterdam!« übrigens auch.
Moritz Veltmann
Abstinenzler
»Ich heiße Friedrich und bin Workaholic.« Das sage ich jedesmal wieder, Woche für Woche, obwohl ich seit Jahren keinen Handgriff mehr getan habe. Aber Workaholic bleibt man ein Leben lang; man hat eine äußerst verwundbare Stelle, derer man sich jederzeit bewußt sein sollte, wenn es wieder einmal gilt, der Versuchung zu widerstehen.
Friedrich Krautzberger
Schock
Eines meiner äußerst ausgewaschenen T-Shirts ist, warum auch immer, rückseitig mit der sensationellen Erkenntnis »IMPOSSIBLE IS NOTHING« bedruckt.
»Paßt zu dir«, meinte neulich ein Bekannter und bemerkte schnell das totale Entsetzen, das sich ob seiner Bemerkung in meinem Gesicht breitmachte. Hastig ergänzte er: »Nach unten, meine ich, nach unten ist alles möglich bei dir!«
War das eine Erleichterung! So sehr hatte ich mich lange nicht erschrocken!
Dirk Warnke
Zu Hause glaubt’s wieder kein Schwein!
Auch wenn es sich auf den ersten Blick wie schlechte Provence-Folklore nach Art des Peter Mayle liest: Das folgende Miniaturdrama zwischen mehreren Sicherheitsfachkäften (Spezialgebiet Handgepäck) und einer deutschen Reisenden (die einem 600-Gramm-Stück Hartkäse die Welt von oben zeigen wollte) hat sich, am Flughafen Marseille, tatsächlich so zugetragen. Der Autor hat es lediglich mitangesehen und fachmännisch übersetzt.
Sicherheitsfachkraft: Ja, was haben wir denn da?!
Reisende: Käse.
Fachkraft: Ziemlich groß. Da könnten Flüssigkeiten drin versteckt sein.
Reisende: Und nun?
Fachkraft: Den müssen wir zerschneiden!
(Ein Messer wird herbeigeschafft und der Reisenden überreicht)
Reisende: Wie soll ich denn schneiden?
Fachkraft: Na, in Würfel halt.
(Die Reisende tut wie befohlen, auf dem unter den Messerschnitten leidenden Einwickelpapier entsteht eine kleine Käsepyramide)
Reisende: Und jetzt?
Fachkraft: Jetzt haben wir Käsewürfel. Und Sie ein Verpackungsproblem. Am besten, wir essen sie auf.
Reisende: Das glaub’ ich auch.
(Der Strom der übrigen Passagiere wird kurzfristig in die nächste Schlange umgeleitet, mehrere Fachkräfte und die Reisende entsorgen gemeinsam das Gefahrgut)
Ende
Hans Kantereit
Yakultbuch
»Ein Buch mit Yakultpotential: wäßrig, säuerlich und macht irgendwas Seltsames mit der Verdauung.« Suche für diese von mir verfaßte Rezension noch das geeignete Werk.
Ernstgemeinte Angebote bitte an die Redaktion, z. Hd.
Mark-Stefan Tietze
20 Kreuze zuviel
Eine Freundin gab mir aus dem Sekretariat des Professors die Fragen des Multiple-Choice-Tests frisch von der Kopiervorlage durch. Im Nachhinein hat mich nur geärgert, daß ich mir das lästige Ankreuzen ebenfalls hätte sparen können, da just diese Freundin das Geschmiere letztlich auch korrigierte.
Florian Haymann
Guido Knopp
Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft also wieder eine Fernsehserie im ZDF und das passende Buch bei C. Bertelsmann. Folgende Titel vermisse ich allerdings sogar im gut sortierten Buchhandel: »A. Hitler, J. Goebbels, H. Himmler u.a.: Guido Knopp – Eine Bilanz«, »Knopps Manager«, »Knopps Helfer«, »Knopps Frauen« etc.
Daniel Nierwetberg
Für alle Winterdepressiven
Bevor die ägyptischen Zwillingsgottheiten Schu und Tefnut die Erde und den Himmel hervorbrachten, wurde der erstere vom höchsten Schöpfer Atum ausgeniest, wohingegen letztere von Atum ausgespieen wurde. Und jetzt sehen Sie sich doch bitteschön mal um: Eigentlich gar keine so schlechte Welt, wenn man bedenkt, daß sie aus Rotze und Auswurf gemacht wurde.
Thomas Winkler
Kunstszene aktuell
In meinem jüngsten Werk überwinde ich die Grenzen zwischen Rauminstallation und Malerei. Der malerische Gestus läßt den abstrakten Expressionismus wieder aufleben, es finden sich aber auch Anklänge an die schwungvollen Rakelzüge eines K.O. Götz: »Stochastische Farbverteilung«, in Dispersionsfarben auf Heizkörpern, Möbelstücken und Teppichen; wäre mit einer handelüblichen Abdeckfolie (Baumarkt, € 1,99) vermutlich leicht zu vermeiden gewesen.
Helge Möhn
Öhm
Ein Bekannter führt eine Nervenarztpraxis und heißt Dr. Öhm. Wenn er in seinem picobello eingerichteten und das offene Wort geradezu herausfordernden Sprechzimmer einen neuen Patienten empfängt, beginnt er das Gespräch mit den Worten »Öhm. Was führt Sie zu mir?« oder »Öhm. Was kann ich für Sie tun?« Nahezu jeder Patient fragt ihn höchstens zwei Sätze später, wie er denn eigentlich heiße. Jetzt überlegt er, den Namen seiner Frau anzunehmen.
Christof Goddemeier
Nichts dazugelernt
Mittlerweile ist mein knapp zweijähriger Sohn in der Lage, sämtliche ihm gestellten Fragen zumindest mit »Ja« oder »Nein« zu beantworten. Daß er sich, laut eigener Aussage, eine spätere Tätigkeit als Jurist bei einem großen Chemiekonzern genausogut vorstellen kann wie das Entfernen großer, dampfender Kothaufen aus dem Elefantengehege eines bekannten norddeutschen Zoos: Damit kann ich umgehen. Daß er aber, wie er mir heute früh um sieben Uhr versicherte, immer noch uneingeschränkte Sympathien für Kaiser Wilhelm II. und die Monarchie als solche hegt, hat mich dann doch wütend gemacht.
Jörg Schedlinski
Tutorium für Ethnologen
Bei der Abfassung einer wissenschaftlichen Arbeit zum Thema Wahrsagerei sollte im Literaturverzeichnis auch der Kaffeesatz eingeklebt werden, und zwar unter Angabe der Sorte, des Anbaugebiets und des Jahrgangs; und in genau dieser Reihenfolge.
David Schaible
Groovy
Als meine Freundin heute morgen die Treppe im Hausflur runterfiel und auf jeder dritten Stufe mit dem Kinn aufschlug, klang das erfreulicherweise wie der Anfang von »We Will Rock You«.
Frank Scheller
Praktisch
Natürlich sind die dicken Staubflocken, die sich in jeder Ecke meiner kleinen Wohnung befinden, nicht unbedingt eine Augenweide. Macht man aber mit einem großen Glas und einem Blatt Papier Jagd auf eine Spinne, die sich auf ihrer Flucht in immer dickeren grauen Flusen verfängt und somit so langsam wird, daß sie problemlos einzufangen ist, dann muß man schon zugeben: Ganz schön praktisch, so Hausstaub!
Christian Martin
Erinnerungsarbeit
Ich hasse es, unleserliche Schrift entziffern zu müssen. Darum finde ich es wirklich gut, daß in Berlin nun endlich der Bau der Gedenkstätte »Typographie des Terrors« beginnt.
Katharina Greve