Inhalt der Printausgabe

Klop op de deur van de hemel

Von Ella Carina Werner 

Wenn sie eines Tages sterbe, twitterte kürzlich die blutjunge Journalistin einer überregionalen Tageszeitung, wolle sie, dass niemand auf ihrer Beerdigung trauere, sondern alle fröhlich seien. Die Angehörigen sollten in farbenprächtiger Garderobe antanzen, Konfetti schmeißen und nicht den Tod betrauern, sondern »das Leben feiern«.

Schön klingt das und überaus nobel, aber ist natürlich nicht wahr. Niemand, nicht einmal ein Sonnengemüt wie Barbara Schöneberger oder ein selbsterklärter Menschenfreund wie Joachim Gauck will im tiefsten Inneren des Herzens, dass irgendwer auf seiner oder ihrer Beerdigung fröhlich ist, ja noch ein Quäntchen Lebenslust verspürt, weder an diesem Tag noch zwanzig Jahre später. Auf einer Beerdigung muss ordentlich getrauert werden mit allem Drum und Dran.

Die Luft muss kalt sein. Der Himmel muss grau sein. Dazu Nieselgepiesel und hier und da eine schöne Schwade Nebel, kurz: ein Wetterchen wie bei der Schlacht von Waterloo. Und da schleppen sich auch bereits die ersten Trauergäste herbei, super. Nicht in den Farben des Regenbogens, sondern der Finsternis: tiefschwarz vom Trauerflor bis zum Bademantel, denn zum Umziehen hat der Lebenselan bei dem ein oder anderen nicht mehr gereicht. Gallenschwarze Samtfräcke, berüschte Röcke in Gothic Black sowie endlose Spitzenschleppen, die wunderbar über die matschigen Gehwege schleifen. Ferner viel zu enge Schlauchkleider und Plateau-Stiefel, in denen man nur humpeln und taumeln kann. Hinein in das Kirchenschiff. Ein monumentales Kirchenschiff, damit auch alle geladenen Gäste hineinpassen. Und die Uneingeladenen, das ist wichtig: die anonymen Bewunderer und namenlosen Sandkasten- und Bumsbekanntschaften, die Arbeitskollegen, und die Freunde der Arbeitskollegen auch, die mit gesenktem Haupt in den – sagen wir – Kaiserdom zu Speyer schlurfen, weil der so wunderbar bedrückend und ungemütlich ist, nicht so ekelhaft lichtdurchflutet wie diese neumodischen Gotteshäuser. Für Atheisten gibt’s alternativ eine grausige Architekturruine, z.B. die Rhein-Ruhr-Halle in Duisburg, mehr Endzeit-Stimmung geht nicht.


Begarfenis feest, lekkerpartii, gratis-buffetje:
niederländische begriffe für den Leichenschmaus. 

Durch das Eingangsportal hallt Gemurmel im Grabeston (»Schockschwerenot«, »Das darf doch nicht wahr sein«), dann nehmen die Hineingewankten auf den brettharten Holzbänken Platz. Eine Stimmung wie in der Weimarer Fürstengruft. Natürlich sollen die Augen der Trauergäste gerötet sein wie die Hinterbacken nach einem missratenen Fruchtsäurepeeling. Mundwinkel hängen herab wie schwere, faulige Früchte. Anders gesagt: Alle Anwesenden sind am Ende, und am zerstörtesten ist der Trauerredner – oder er tut zumindest so. So verheult und gebrochen, dass man kaum eines seiner Worte versteht: »Herr, warumhassuunssasannetan?«, unverständlicher Singsang wie ein gregorianischer Choral. Dazwischen ein paar apokalyptische Passagen aus dem Alten Testament, bis auch den letzten Standhaften (»Außer bei E.T. habe ich noch nie geweint«) die Tränen kommen. Nicht tropfend, sondern strömend, spritzend, bis hoch zum Jesulein am Altar, bis das Taufbecken überläuft, bis der Klingelbeutel durchsuppt, großzügig stimuliert von der Musik. Die Musik ist wichtig. Die Musik ist alles. »Das Leben ist schön« von Sarah Connor, wie auf neumodischen Beerdigungen gern gespielt? Niemals! Lieber freudlose Kantaten, in denen die Molltöne auf der schlecht gestimmten Orgel richtig reinknallen, sowie ein bisschen Zwölftonmusik, dass die Gäste gleich doppelt losheulen. Und zeitgenössische Downer-Hits, die schlimmsten und grausamsten, »Mad World« von Tears for Fears, »My Heart Will Not Go On« oder »Klop op de deur van de hemel«, was die niederländische Coverversion von »Knockin’ On Heavens Door« ist, denn von allen deprimierenden Sprachen ist die niederländische die deprimierendste. Der Höhepunkt: »Hallelujah«, aber nicht aus dem tröstlich brummelnden Munde eines Leonard Cohen, sondern intoniert durch einhundert blecherne, leiernde Spieluhren, die zwischen den Bankreihen verstreut stehen. Vanitas total.

Nach vier Stunden schleppen sich sämtliche Trauergäste wieder ins Freie, reihen sich ein in die endlose Prozession, um noch eine Schleife um den Kirchparkplatz zu drehen, an den angrenzenden Lokalen vorbei, »Zur Linde«, »Le coq est mort« und wie sie alle heißen, die sich unverhohlen an die Friedhofsmauern schmiegen, wartend auf Leichenschmausgäste. Und noch mehr Regen rauscht vom Himmel, dass niemand mehr weiß, was Niederschlag, Tränen oder Schnaps ist, den einige der Trauerklöße bereits im Laufen kippen. Einander stützend, zockeln alle dem Sarg hinterdrein durch den Dauerregen, so tränenblind, dass manche übereinander purzeln, vom Weg abkommen, gegen Friedhofseichen rennen und sich danach auf allen Vieren fortbewegen, auf Teufel komm raus bis zum Ziel.

Der Sarg wird abgestellt. Die Gäste stehen drumherum. Durch die Luft wehen Krähengeschrei und erneut »Hallelujah«: Der Trauerredner legt ein klagendes Sax-Solo hin, zum Niederknien, was jetzt in diesem Moment auch alle tun. Jetzt gibt es kein Halten. Hände recken sich gen Himmel. Rufe werden laut: »Jetzt ist alles aus!« und »Da legst di nieda!«, aus dem Munde des bayerischen Vetters, und wirklich legt er sich darnieder, in die morastige Erde zum Gewürm. Manche Gäste wehklagen besonders laut, das sind die Klageweiber, die hinzugebucht sind, um die allgemeine Stimmung noch weiter anzuheizen. Gott, klagen die gut, man mag gar nicht hinhören: »Verdammte Axt!« oder »Ach du liebes Herrgöttle!«, wie ein schwäbisches Exemplar krakeelt, das besonders inbrünstig zetert und sich die Augen aus dem Kopf heult, sie am Ende aber auch wieder hineintut, so viel Professionalität muss sein.

Herabgefallene Äste und Friedhofsharken werden vom Wegesrand geklaubt. Ruten, Nägel und Hämmer werden hervorgeholt, die man vorne beim Friedhofspförtner ausleihen kann. Dann beginnt die Trauerschar, zu geißeln und zu kasteien, sich selbst und einander, ja einander ganz besonders, bis ein herrliches, tropfnasses Trauerknäuel entsteht, aus dem einzelne Rufe dringen (»Aua«, »Du stehst auf meiner Schleppe«). Doch ehe das Ganze in eine Massenschlägerei mündet, beginnt die Schar, sich mit letzter Kraft zu einem Tanz zu formieren und auf Knien rückwärts um die Grube zu bewegen, die Hände auf den Schultern des Vordermannes, auf den Lippen eine düstere Melodei: »Dood, dood, dood!« Ein alter, flämischer Trauerbrauch, ein Brauch, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt, aber schön vorstellbar ist er doch.

Die Stimmung befindet sich mittlerweile auf dem Tiefpunkt, so wie drunten in der Grube der Sarg, auf den keine farbenfrohen Rosenblätter niederprasseln, sondern Talismane, guter Schmuck, Geld, goldene ADAC-Karten, ausgerissene Haarbüschel und Fetzen vom Trauerflor. Und noch mehr Regen strömt vom Himmel. Einziger Lichtblick: dass irgendwo im Anschluss noch ein zünftiger Leichenschmaus stattfindet, als entlastendes Moment. Aber es gibt kein entlastendes Moment. Es gibt keinen Leichenschmaus, weil das nie klappt, weil das die Stimmung immer wieder unnötig anhebt, weshalb dieses stillose Gefresse im Volksmund auch »Tröster« heißt. Weil die Leute dann immer launig werden, unterhaltsame Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen auspacken, unweigerlich zu wiehern beginnen und die ganze schöne Scheißstimmung wieder kaputtmachen, und genau das will man nicht.

Also kein Leichenschmaus. Außer, er ist richtig schön deprimierend. Nur Kotzessen wird gereicht, das mieseste und trostloseste: »Subway«-Sandwiches für alle, Labberfritten von »Peter Pane« und Dosenravioli, so erkaltet wie die Seelen der Gäste. Dazu süßer Tafelwein und Kopfweh-Korn. Zum Nachtisch gibt es irgendwas Geeistes mit Pansen, worauf manchen Gast der sog. Kleine Tod ereilt, d.h. eine Durchfallattacke bis zum Morgengrauen, während im Hintergrund schon wieder »Hallelujah« aus der JBL-Box dudelt, diesmal als ozeanischer Walgesang, so schwermütig, so ohrenbetäubend, dass er jedes Geplauder im Keim erstickt. Am Ende dann wanken alle wieder nach Hause, um sich am Carport zu erhängen. 


Totentanz in Solingen

Das ist es, wovon jeder Lebende träumt, außerdem von einer namentlichen Erwähnung in der Tagesschau. Anfang dieses Jahres ereignete sich auf diesem Feld ein Kulturskandal sondergleichen, der für große Empörung sorgte, leider jedoch nur bei mir selbst sowie drei, vier anderen Twitter-Berserkern (»Was soll der Käse? It’s so #awkward!«). Die internationale Presse hat das schmachvolle Ereignis verschlafen, denn die internationale Presse guckt nur noch »Zervakis & Opdenhövel«. Am 11. Januar wurde in der Tagesschau der Tod des Wimmelbild-Erfinders Ali Mitgutsch verlesen, auf dem Bildschirm hinter der Nachrichtensprecherin wurde jedoch nicht ein freches, wuseliges Bild des Verstorbenen gezeigt, sondern eines seines ewigen Erzfeindes, Antipoden und »Wo ist Walter?«-Wimmelbild-Stümpers Martin Handford! Niederträchtiger kann man einen Künstler nicht entehren. Es ist, als ob man das Werk Gerhard Richters mit einem Gemälde von Uli Stein illustrieren würde. Es ist, als ob die Tagesschau-Sprecherin vom Teleprompter abläse: »Der Autor Martin Walser ist tot. Er schrieb so bedeutende Romane wie ›Die Blechtrommel‹ und ›Zweiundzwanzig Zentimeter Zärtlichkeit‹.« Es sollte bitte jemand ein Wimmelbild im Mitgutsch-Stil malen, darauf Aberdutzende freche, teigartige Lachgesichter und Knopfaugen, die frappierende Ähnlichkeit mit sämtlichen Verantwortlichen der Tagesschau haben. Das frechste und knopfäugigste Teiggesicht muss ganz dringend auf Klo und zieht schon mal die Buchse herab, und dieses Teiggesicht ist das von Constantin Schreiber, der an jenem 11. Januar übrigens gar nicht Dienst hatte, egal. In der Mitte des Bildes befindet sich ein schrottreifes, windschiefes Häuschen, das gerade in sich zusammenkracht und auf dem in ungelenken, schwarzen Lettern »ARD-Anstalten« steht. Drum herum ein Regen aus Konfetti, Leutchen tanzen in farbenprächtiger Garderobe im Kreis und feiern das Leben, denn hier und da ist überbordende Heiterkeit durchaus stilvoll und erlaubt.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt