Humorkritik | April 2015

April 2015

»Das Amüsante signalisiert bei uns ja immer: Jetzt kann dir nichts passieren, jetzt gibt’s nur Witze. Und ich nutze diese Arglosigkeit des Lesers, ich serviere diese Situationen immer mit einer Beilage, die unverdaulich ist.«
Timur Vermes

Nabokovs Erzählungen

Von den Erzählungen Vladimir Nabokovs, die sein verdienstvoller deutscher Herold und Mit-Übersetzer Dieter E. Zimmer in zwei Bänden im Rowohlt Verlag herausgegeben hat, ist mir jene am allerliebsten, in der einem jungen Mann namens Erwin ein überraschendes Angebot unterbreitet wird: Der Teufel persönlich eröffnet ihm die Möglichkeit, in den Stunden von Mittag bis Mitternacht aus allen Frauen, die ihm auf der Straße begegnen und ihm gefallen, einen Harem zusammenzustellen. »Bevor ich gehe«, sagt der Teufel, »bringe ich sie zusammen und stelle sie Ihnen zur beliebigen Verfügung. Sie behalten sie, bis Sie alle durchhaben. Wie gefällt Ihnen das, amico

Die einzige Bedingung, die der Teufel daran knüpft, ist die, daß die Summe der Erwählten eine ungerade Zahl ergeben müsse – und nun ahnt man vielleicht schon, was dem törichten Erwin blüht. Es ist so ähnlich wie in Johann Peter Hebels schrecklicher und amüsanter Kalendergeschichte »Drei Wünsche«, die auf die Moral hinausläuft: »Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen.« Nabokov wandelt diese alte Fabel jedoch viel durchtriebener ab als der brave Hebel, und in Zimmers Übersetzung entsteht daraus ein ganz eigenes sprachmusikalisches Kunstwerk. Kurz vor Mitternacht ist unser Erwin der dreizehnten Frau auf den Fersen: »Was reizte ihn? Nicht ihr Gang, nicht ihre Figur, sondern etwas anderes, behexend und überwältigend, so als sei ein spannungsgeladenes Flimmern um sie her: bloße Phantasie vielleicht, der Taumel, die Verzückung der Phantasie, oder vielleicht war es auch das, was mit einem einzigen göttlichen Schlag das gesamte Leben eines Mannes ändert – Erwin wußte es nicht, er eilte ihr nur nach über Asphalt und Stein, die in der schillernden Nacht ebenfalls unkörperlich schienen.«

Ich weiß zwar, wie dieses Märchen ausgeht, aber mir ist unklar, weshalb mich Nabokovs Gedankenspiele über das Unglück, die Tücke, das Pech und das Scheitern erheitern. Die reine Schadenfreude kann es nicht sein, denn ich hätte Erwin seinen Harem ja durchaus gegönnt. Hier muß ich, meinerseits behext und überwältigt, die humorkritischen Waffen strecken, doch andernorts kann ich sie wieder aufnehmen. In der Erzählung »Der Drache« beobachtet ein Kneipenwirt, wie sich der hungrige Titelheld auf die Belegschaft einer Tabakfirma stürzt: »Ein Ungeheuer, das in der Finsternis wie ein nasser Berg schimmerte, verschlang mit weit zurückgelegtem Kopf gerade etwas Großes, das im Hinunterrutschen den weiß schimmernden Hals mit fließenden Beulen aufblähte; danach leckte es sich die Lefzen, schüttelte sich von Kopf bis Schwanz kräftig und ließ sich gemächlich in der Mitte der Straße nieder.«

Hier kann ich genau bestimmen, was mich erheitert: Es sind die sinnfällig »fließenden Beulen«, die den Hals des Drachen bei seiner Mahlzeit aufblähen. Wenn ein Naturschauspiel, und mag es auch ein grausames sein, so anschaulich beschrieben wird, tritt mein Mitleid mit den Opfern hinter das Entzücken an einer gelungenen Formulierung zurück, und das ist eine Diskrepanz, die mich unwillkürlich zum Lachen reizt.

In einer anderen Erzählung ist von einer Straßenbahn die Rede, die einen mit Stiefmütterchen bepflanzten Platz in der Stadt »mit gellender Mißbilligung umfuhr«. In jeder Silbe dieser meisterlichen Übersetzung einer vermutlich auch im Original äußerst klangvollen Stelle höre ich die »Elektrische« kreischen, und es belustigt mich, wenn ich beim Lesen zum Ohrenzeugen der Klagelaute eines anthropomorphisierten Verkehrsmittels werde. So anschaulich sollten, wie ich meine, Erzähler erzählen. Und wer’s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner