Humorkritik | Juni 2013

Juni 2013

Ein Herz für Dittrich

Wenn das deutsche Feuilleton etwas einhellig feiert, dann muß man was? Genau: skeptisch sein. »Olli Dittrich demaskiert und dekonstruiert das Sendegeschehen«, behauptete der Tagesspiegel, und »Spiegel online« ging sogar weit über diese Behauptung hinaus: »›Frühstücksfernsehen‹ geht weit über die reine TV-Parodie hinaus – es ist Gesellschaftskritik im Kleid einer TV-Parodie.« Laut Süddeutscher sahen wir »ein Werk von großer Wucht. Weil es in seiner Detailverliebtheit so absurd echt wirkt, daß man schon zweimal hinschauen und hinhören muß, um den Wahnsinn zu entlarven.« Und das erinnert uns doch unweigerlich an – na, wen wohl? Genau: »Der neue Geistesblitz von Olli Dittrich, meisterlich in die Tat umgesetzt mit der kongenial aufspielenden Cordula Stratmann … erinnert unweigerlich an Loriot«, so die Frankfurter Rundschau. Bzw.: »Wer nicht herzlich über ›Frühstücksfernsehen‹ lachen kann, hat höchstwahrscheinlich gar kein Herz« (nochmals »Spon«).

Da muß der Mentz nun so alt werden, um zu erfahren, daß er höchstwahrscheinlich gar kein Herz hat. Denn über Dittrichs »Frühstücksfernsehen« konnte ich nicht herzhaft lachen, bestenfalls gelegentlich sympathisierend mitschmunzeln. Woran lag’s? Vor allem an der Unentschiedenheit des Sendungskonzeptes. 

Für eine Parodie, erst recht eine, die für Demaskierung oder Gesellschaftskritik gehalten werden will, fehlte der Pilotfolge die nötige Überzeichnung. Die Marotten und Mechanismen des seichten TV-Betriebs einfach zu doppeln bringt weder Lust- noch Erkenntnisgewinn. Wer Bräsigkeit verlängert, erzeugt eben nur noch mehr Bräsigkeit; bei der man dann tatsächlich zweimal hinschauen und hinhören muß – und zwar, um den komischen Gehalt entdecken zu können. Und muß gestandenen TV-Kritikern das Frühstücksfernsehen wirklich erst von Dittrich nachgespielt werden, damit sie dessen Schwachsinn erkennen? Reicht es nicht, einfach mal morgens den Fernseher anzuschalten? Für eine Sketchshow wiederum, die sich im Gewand eines anderen Formats präsentiert, fehlte es an Tempo und Pointen; was besonders bei den »Kurtsnachrichten« (der Moderator heißt Kurt) deutlich wurde. Weil Dittrich offenbar seiner stillen »Wahrheitsfälschung« (FAZ) nicht ganz vertraute, nutzte er den Nachrichtenblock für eine Sorte Kalauer, die bereits zu Zeiten von »Rudis Tagesshow« ranzig gewirkt hätten.

Wieso dann das viele Lob? Weil die Kulturredakteure der Republik in ihrer ewigen Sehnsucht nach Loriot Langsamkeit mit Subtilität verwechseln und gute Ausstattung mit präziser Beobachtung. Dabei sind Loriots verdienstvolle TV-Shows nach über vierzig Jahren nun auch schon reichlich angestaubt, seine Fernsehparodien indes noch immer pointierter als das »Frühstücksfernsehen«.

Freilich begrüße ich grundsätzlich jeden Versuch, sich vom üblichen TV-Comedy-Trash abzuheben. Auch gehört Olli Dittrich durchaus zu den Guten, ist Cordula Stratmann eine sehr fähige parodistische Darstellerin. Weswegen ich dem »Frühstücksfernsehen« eine zweite Chance gebe. Und mir im Gegenzug mehr Überraschendes wünsche, mehr Abgrund. Vielleicht gelingt es sogar, den Selbstekel, der hinter den Grimassen der echten Frühstücksfernsehmacher lauert, zum Vorschein zu bringen – wie das im Trailer zu Dittrichs Show wesentlich besser gelang als im fertigen Produkt. Womöglich entdecke ich dann doch noch mein Herz für diese Sendung.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann