Humorkritik | Oktober 2010
Oktober 2010
Zerstreutes
»Was dürfen Klappentexte? Alles.« So hat es Kurt Tucholsky bekanntlich nicht formuliert. Doch könne man bei nicht wenigen Anpreisungen auf Buchumschlägen vermuten, sie seien satirisch gemeint. So versucht sich das Unternehmen »Eichborn Hörbuch« in der Manier Guido Knopps an der deutschen Geschichte, indem es auf die Cover-Rückseite seines Hörwerks »Kurt Tucholsky: Ich vertreibe mir so mein Leben. Gedichte, Satiren, Chansons« so arg- wie ahnungslos draufschreibt: »Sein unbestechlicher Blick galt dem Leben in der Weimarer Republik, in der die Menschen Trost, Zerstreuung und Amüsement suchten. Kurt Tucholsky hat sie aufs Beste unterhalten – und sich trotzdem nicht über sie lustig gemacht.«
So waren sie, die Menschen in der Weimarer Republik: Nach den Plackereien des mehr oder minder erfolgreich verrichteten Tagwerks (Kapp-Putsch, Marsch auf die Feldherrnhalle, Ermordung Liebknechts, Luxemburgs, Rathenaus u.v.a.) suchten sie Trost, Zerstreuung und Amüsement – und fanden all das in den versöhnlichen Humoresken des unterhaltsamen Kuschel- und Konsenscomedians Kurt Tucholsky, der freilich niemals auf den Gedanken gekommen wäre, sich über die Menschen der Weimarer Republik, ihren Militarismus, Obrigkeitsfimmel, Antisemitismus, Chauvinismus usw. lustig zu machen.
Schrieb er doch, kurz bevor er sich im Dezember 1935 sein Leben per Suizid vertrieb, über jenes Deutschland, das bei diesem Entschluß eine Rolle gespielt haben dürfte, indem es der Weimarer Republik eine etwas andere Staatsform vorzog: »Ich hasse das Land nicht, ich verachte es.« Und ich hasse die Klappentexter nicht. Soviel dazu.