Humorkritik | April 2010

April 2010

Was einfach rausgemußt hatte

»Ich finde es echt immer erstaunlich, daß es schon reicht, wenn man ein bißchen erzählt, woher man kommt und wie es da ist. Und schon ist alles klar. Man kann über irgendwas lachen. Und das finde ich gar nicht oberflächlich.« Also erzählt Jürgen Teipel resp. sein namenloser Ich-Erzähler ein bißchen – und schon bald reicht es einem tatsächlich, schon auf der ersten Seite, nur darüber lachen kann man nicht: »Ich hatte sowieso nicht wirklich etwas zu tun. Einfach nur so ein bißchen diese riesige Stadt erkunden. Ich war auch total froh, daß das alles so geklappt hatte. Ein paar Wochen vorher hatte ich noch von nichts gewußt. Ich hatte nicht gewußt, wie alles weitergehen soll. Aber ich hatte immerhin schon wieder so ein bißchen Vertrauen gehabt. Daß alles schon irgendwie wird. Schon so ungefähr: Die Dinge regeln sich von selber.« Dummerweise regeln sich die Dinge für den Rezensenten nie so einfach; nein, man muß das erst mal alles wirklich weglesen.

 

Teipels Alter Ego tourt mit zwei weiteren DJs durch Mexiko. Die Reise ist nicht spannungsfrei, weil Tommy und Tere ein Paar waren und Tere und der Erzähler eins werden sollen. Am Ziel der Reise, beim »Technotitlan«-Festival, das ein echter Triumph für das Trio wird, sind alle nur mehr ein Herz und eine Seele, und Teipel transzendiert dieses grandiose Kollektiverlebnis zu einer Art mystischem Glaubensbekenntnis aus dem Geiste des Techno. »Ich weiß nicht« (Dumont) ist eher eine kleine Reiseerzählung als ein »Roman«, aber nicht mal als solche taugt das Buch was, weil Teipel viel zuviel herumschwadroniert über das, was hier so gruppendynamisch in der Luft liegt und was das alles so zu bedeuten hat auch für das Miteinander der Menschen dieser Welt und so, ihm aber die Schauplätze ziemlich einerlei sind. Eine Handlung bleibt verborgen, Kolorit Fehlanzeige, das handelnde Personal bleibt vage, nicht mal die Haarfarbe weiß man hinterher, alles verschwimmt in einer trüben Sprachsuppe.

 

Noch ein Beispiel? Tere hat viel getanzt und muß dann prompt kotzen. »Dahinter steckte ganz viel Ärger mit Tommy … Sie hatte das Gefühl, das buchstäblich etwas hochgekommen war, was einfach rausgemußt hatte. Damit meine ich vor allem dieses Gefühl, daß Tommy an allem schuld war. Das war eigentlich ein Gefühl, das sie gar nicht mehr haben wollte. Aber in das sie total wieder hineingeraten war. Sie hatte sich die ganze Zeit gefühlt wie in ihrer Beziehung. Als ob Tommy verhindert, daß es ihr gut geht. Als ob er sie am Blühen hindert. Sie hatte ein Bild, das für sie total wichtig war. Sie wollte einfach blühen…« usw. usf.

 

Teipel hat sich als Protokollant des deutschen Post-Punks einen gewissen Namen gemacht, aber was in seinem »Doku-Roman« »Verschwende deine Jugend«, der auch schon kein Roman, vielmehr eine ziemlich gut geschnittene, sehr unterhaltsame und oft auch komische Interview-Collage war, in seiner Vielstimmigkeit funktioniert hat und auch eine innere Notwendigkeit besaß, die Betonung der sprechsprachlichen Diktion nämlich, klingt hier so aufgesetzt und peinlich, daß man im ersten Drittel des Buches ständig an eine Persiflage des kurrenten Club- und Afterhour-Idioms denkt, aber Teipel meint das leider alles ganz ernst: »Ich irgendwann so zu Rico: ›Ist das normal?‹ Und er so: ›Ja.‹« Und ich dann irgendwann zu mir so: Hat der Teipel eigentlich einen an der Waffel? Und hat die Hegemann auch bei Teipel abgeschrieben oder umgekehrt?

 

Hier mutiert ein ehemaliger Post-Punk zum Post-Hippie und kolportiert noch einmal völlig ironiefrei den alten Emo- und Eso-Schmonzes von der großen Zusammenkunft, von der heiligen »alltogetherness« und dem grundoptimistischen oder auch bloß debilen »alles regelt sich irgendwie«, und es macht irgendwie so echt total keinen Spaß, ihm dabei zu folgen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner