Inhalt der Printausgabe

Januar 2006


Humorkritik
(Seite 5 von 7)

Anthony Kiedis
Zur Unterzeichnung des Plattenvertrags bei EMI nackt auf dem Tisch tanzen, dem Produzenten einen Kackhaufen im Pizzakarton präsentieren, den Kindern zum Geburtstag eine Vorstellung mit Spice-Girls-Imitation geben: handelt es sich hierbei um das neue Programm eines x-beliebigen katholischen Gemeindefaschings oder um die raren Details der Anthony Kiedis-Autobiographie, die im weitesten Sinn unter Ulk verbucht werden könnten? Leider handelt es sich um Kiedis, der als mopsfideler Sänger eines Sacks voller Flöhe mit Namen Red Hot Chili Peppers zu Ruhm gelangen konnte.
Diese spezifisch popmusikalische Art Übermut wird nur zu gern mit Komik verwechselt, aber aus seinen witzig gemeinten autobiographischen Schilderungen (»Give It Away«, Kiepenheuer&Witsch) geht höchstens hervor: Alles ist seiner Ansicht nach Teil eines geheimen Plans, den das Schicksal an ihm vollzieht. Vom Punkimitator zum angesagten Trendrestaurantbesucher – anders geht es nicht. Auch den Damen dieser Erde bleibt keine Wahl: Sie alle müssen seine Gespielinnen werden. Keineswegs und rein überhaupt nicht spürt man die einst so gerühmte Unberechenbarkeit dieser Band, und wenn, ist Anthony Kiedis an ihr nicht (mehr) beteiligt: Er ist einfach Herr Pop persönlich, ein Drogenarsch, aber doch nur einer unter vielen. Und geizig obendrein, weswegen er einen Billig-Ghostwriter angeheuert hat, dem die Sätze aus dem Häcksler in die Tastatur gepurzelt sein müssen und der Kiedis Passagen in den großen Mund legt wie: »Ich hatte schon Visionen, mich wie Mowgli aus dem Dschungelbuch von Liane zu Liane zu schwingen, mit Orang-Utans abzuhängen, Beeren zu essen, nackte Eingeborenenmädchen zu treffen und wie ein harter Naturbursche zu leben« – dabei geht’s nur um einen geplanten Borneobesuch. Außerdem bezweifle ich sehr, daß ein vierzigjähriger amerikanischer Popstar im Ich-so-und-er-so-Slang eines deutschen Hauptschülers mit RTL2-Diplom redet. (Diesen Slang, das nicht nur nebenbei, hat übrigens Uli Hannemann vor einiger Zeit im Berlinteil der taz in bravouröser Form für die Nachwelt festgehalten.)
In der Übersetzung Axel Henricis ist das Buch ein grunderbärmliches Kurzsatzgeholpere mit einer verworfen dummen und wiederholungsreichen Lexik (»Kult«, »Ikone«, »in keinster Weise«, »Flieger«), die entweder aus einem antiquarisch erworbenen Szenedeutschwörterbuch oder dem Bravo-»Stargeflüster« stammt. Dafür würde ich dem Übersetzer am liebsten eine reinhauen – wäre ich nicht Unterzeichner der Übersetzer-Artenschutz-Konvention von 2001.

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg