Inhalt der Printausgabe

März 2002


Humorkritik
(Seite 2 von 7)

Schwer verliebt

Zwei Dinge sind charakteristisch für das filmische Oeuvre der Brüder Bobby und Peter Farrelly ("Verrückt nach Mary"): zum einen der zwanghafte, zwar liebevolle, aber unsentimentale Blick auf das Andere, will sagen auf alle und alles, was der Norm nicht entspricht oder nicht entsprechen kann: Krüppel, Fette, Verwachsene, Amish, Alte und Hunde etc.; zum anderen das geschickte und inventive Kombinieren und Unterlaufen von Standardsituationen des Hollywood-Unterhaltungskinos, und zum noch mal anderen die fehlende Scheu vorm Banalen, Drastischen und Dreisten.
Das sind natürlich schon drei Dinge, und alle drei finden sich in geradezu archetypischer Kombination bereits in der Eingangssequenz von "Schwer verliebt", dem aktuellen Werk des Brüder-Duos: Der krebskranke Vater erteilt seinem adipösen neunjährigen Zögling einen letzten Rat fürs Leben, doch vom Morphium beflügelt greift er in Tonfall und Gehalt - zumal für einen Pfarrer - voll daneben und postuliert reichlich unweihevoll: "Gib dich nie mit Standard-Bumserei zufrieden! Mach es nicht wie ich! Such dir junge, geile Dinger mit einem knackigen Arsch und dicken Titten!" Darauf stirbt der Vater, und der Zuschauer mit ihm, allerdings vor Lachen; derart erschütternd ist die komische Wirkung, die von diesem unverhofften Zusammenprall von Tragik, milde ironisiertem Kitsch, tatsächlicher Lebensweisheit und handfester Fickgesinnung ausgeht.
Hal (Jack Black), inzwischen erwachsen und noch immer etwas dicklich, versucht nun nach Kräften, dem letzten Willen seines Erzeugers nachzukommen, mit wenig Erfolg, bis ihn der Zufall (ein steckengebliebener Fahrstuhl) mit Amerikas populärstem Selbstfindungsguru zusammenbringt (Anthony J. Robbins, Amerikas populärster Selbstfindungsguru, der sich schön schmierig selbst spielt). Dieser "therapiert" ihn kurzerhand, und Hal sieht fortan in jeder Frau eine Schönheit, nämlich ihre innere Schönheit.
Auf diesem grundsolide küchenpsychologisch unterfütterten Dreh aufbauend, macht der Film sogleich die größtmögliche Schere auf: Hal verliebt sich in Rosemary, denn ihm erscheint sie schlank und schön, kurz: wie Gwyneth Paltrow; alle anderen jedoch sehen klar und eine unglückselige Fette, kurz: Gwyneth Paltrow in überzeugender Maske. (Bemerkenswert übrigens, daß diese komödiantische Grundkonstruktion zugleich als einleuchtende Metapher für den psychotisch idealisierenden Blick der "Liebe" überhaupt funktioniert.) Aus der klaffenden Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit zahllose heillos alberne Funken zu schlagen, gelingt den Farrelly-Brüdern mühelos; so bricht die selbst so zerbrechliche Dame (nachdem sie überraschend ausufernde Essenbestellungen aufgegeben hat) wiederholt und unvermittelt mit schweren und schwersten Stühlen zusammen, sehr zur Empörung ihres verblendeten Galans, der sich umgehend beim verblüfften Personal beschwert: "Woraus sind denn diese Stühle gemacht?" - "Ähm… Edelstahl?" Ebenso mühelos gelingt es ihnen jedoch, und das ist schön, ans Sentiment zu appellieren.
Noch schöner freilich, wie sie die Geschichte auf der Schlußgeraden mehrmals in die weit offenstehenden Arme der Zuschauererwartung hinein- und wieder hinausmanövrieren, am allerschönsten schließlich, daß sich alles zu einem wirklich ergreifenden und anrührenden Finale rundet, das zwar ein Happy End, doch auch ein ziemlich dickes Ende ist. Möglicherweise läßt sich Gefühlskino heute überhaupt nur noch so machen, so grotesk verzerrt und fett.



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg