Inhalt der Printausgabe

Heinz Strunk
Intim­scha­tulle 53

»Eine Tuba geht nach Kuba«

Mit zwölfteiligem Alkoholikerfragebogen

1.7. 8.00 auf, Kniebeugen, Kerze. Zum Breakfast Spiegeleier, doppelt gebutterter Toast. Schlechte-Laune-Attacke wg. ewiger Brillensuche. Idee (noch Kladde): Nachdem ich Juli 2018 deutsche Autobahnkirchen »unsicher« gemacht hatte (eine Art moderner Pilgerreise, die mich zu sämtlichen Autobahnkirchen Deutschlands führte, treue Schatullenleser erinnern sich), möchte ich heuer immer mal wieder für ein, zwei Tage ausschwärmen, mir schweben Abstecher in – zumindest mir – unbekannte Regionen vor; Orte erkunden, die selten oder nie »stattfinden«. Wer weiß, ob nicht das eine oder andere unentdeckte Juwel dabei ist. Motto des Vorhabens: »Deutschland, wie es niemand kennt.«

2.7. Kaffee-Frühstück im Sitting Room, danach bis 12.30 an den Schreibtisch, aber zweifelhaft. Apfel Mülleimer. Zum Dinner in Manuels Taverne (Saure Fleischklöße mit Pellkartoffeln), später noch ins Café 2 Talk. Schlagzeilen in den ausliegenden Zeitungen: HEIM NIMMT HARTZ-IV-EMPFÄNGER VENTILATOR WEG // RANDALIERER GREIFEN BUS MIT KREBS-PATIENTEN AN // BULLDOGGE FRASS 19 SCHNULLER.

3.7. Um 9.00 von heißen Füßen und Sodbrennen geweckt. Tagsüber quälender Dienst nach Vorschrift, Stichwort »Augen zu und durch«. Abends Brainstorming: Toter in Rückenlage/Von der Sonnenbank aufs Sterbebett/Eine Tuba geht nach Kuba.

4.7. Es wird Zeit, dass ich mein Vorhaben »Deutschland, wie es niemand kennt« angehe. Mit geschlossenen Augen werfe ich aus geringer Entfernung einen Dartpfeil auf eine 1,5 mal 1,5 m große Deutschlandkarte. Er bleibt im von Hamburg etwa 400 Kilometer südlich gelegenen Dührndorf stecken. Also (wie immer im MB SL 350) auf nach Dührndorf! Beeindruckende Endmoränenlandschaft (Dührndorfer Moor). Noch immer kommen hier trotz vieler Warnhinweise jährlich vier bis fünf Menschen zu Tode. Gänsehaut. Steige ab in der Pension Famos (seltsamer Name, aber sonst nichts zu mäkeln). Dinner im Restaurant Stutenbiss (auch etwas seltsam, aber so sind sie wohl, die Dührndorfer), Filet vom Hammerhai, Edelreis, zum Nachtisch Gefrorenes. Kurz vor dem Einschlafen fällt mir noch ein guter Titel für ein Motor Magazin auf RTL2 oder D-Max ein: Turboloch.

5.7. Hohes Wichsaufkommen. Abends Lecture Peter Sloterdijk. Was hängen bleibt: »Der weltweite Erfolg der Psychoanalyse beruht nicht zuletzt auf der mutwilligen Ignorierung des Satzes: Frühe häusliche Vertrautheit zwischen Personen blockiert erotisches Begehren.«

6.7. Alltagsfrage: Warum sind wir eigentlich so oft überrascht?

7.7. Unerwartete Gute-Laune-Attacke. Schreibe deshalb mal einen »positiven« Songtext:

Vers 1 Der Wecker klingelt, die Sonne lacht, geil, du bist voller Energie, und freust dich schon auf den herrlichen Duft von frisch aufgebrühtem

Refrain 1 Cappuccino – Café Crème – Americano – Espresso Doppio – Wiener Melange – Café au lait – Ristretto – Schöne Tasse Mocca

Vers 2 Starte den Tag und denk dran: Es wird ein guter Tag. Ein erfolgreicher Tag mit heißen Flirts und erfolgreichen Abschlüssen. Doch das Beste ist

Refrain 2 Latte Macchiato – Café con leche – Großer Brauner – Turkish Coffee – Caffè Latte – Eiskaffee – Flavoured Coffee – Schöner starker Mocca

Bridge/Mittelteil Das braune Gold, wie oft hat es dich durch den Tag gepusht, die Laune gerettet. Heiß und frisch gebrüht, mit Sahne oder Milchschaum, Süßstoff oder Zucker, völlig egal. Coffee Black Cigarette, wie einst schon Kojak alias Telly Savalas sagte. Und weißt du was? Er hatte so was von recht … usw.

Mögliche Songtitel: Braunes Gold, oder ganz einfach Coffee-Song.

8.7. Tagsüber am Roman, abends TV, zur Primetime strahlt die ARD wie so häufig im Sommer eine Komödie als sog. »re-run« aus: In »Dinner für Spinner« spielt der beliebte Mime Helmut Zierl einen alternden Unternehmer, der versucht, sich als Hobbykoch ein zweites Standbein zu schaffen und auch wieder mehr soziale Kontakte zu knüpfen. Turbulent!

9.7. Groteske Erscheinungen: Harald Lesch, Frauke Ludowig, Markus Söder.

10.7. Gedanke: Ich führe ein vorübergehend aufregendes Leben. Zum Dinner mit Bertram Leyendieker ins Restaurant Diverso, gebackene Rindszunge mit Brunnenkresse, Sauerampferpudding. Später noch Weißwein, Schnaps.

11.7. Der Dartpfeil schickt mich heute ins 100 km östlich von Bielefeld gelegene Gramschatz. Erkunde auf eigene Faust die historische Altstadt, danach enervierende Suche nach einem Zimmer, einzig in »Maik & Mike’s Motel« ist noch eine Juniorsuite frei, die allerdings ihren Namen nicht verdient. Muffig, heiß, spakige Matratze mit Flecken unklarer Herkunft. Abends werden hier anscheinend die Bürgersteige hochgeklappt, denn nur ein einziges Restaurant mit dem unsäglichen Namen Klapsmühle hat geöffnet. Wie der Name, so das Essen: Tomatensuppe (aus der Dose), altes Brot, (alkoholfreies) Weizenbier, in dem eine Made schwimmt. Werde als einziger Fremder misstrauisch beäugt, es herrscht eine ausgesprochen feindselige Stimmung. Suppe schmeckt widerlich, offenbar »gekippt«. Aber wenn ich mich beschwere, bekomme ich wahrscheinlich »aufs Maul«. Sehe zu, dass ich Land gewinne. Im Zimmer Notration (Salami, Knäckebrot).

12.7. Während der Rückfahrt Leibschmerzen, leichte Übelkeit, Bauchkrämpfe. Die Suppe!

13.7. Brainstorming: Ich bin ein Gockel und trotzdem lieb ich dich/Perverse Schaffner/Auktionshaus Herpes.

14.7. Schatulle-Umsonst-Service. Slogans zur freien Verfügung: Falls Sie zufällig Schnabel heißen, und ein Elektrogeschäft betreiben: Elektroschnabel – verbrenn dir bloß nicht den Schnabel.

15.7. Durchfall.

16.7. Tag des Korbmachers.

17.7. Tagsüber nichts, abends in Walter Kempowskis »Hamit« gelesen: »Dann raste ich über die wildbewegte Autobahn nach Hause, hinter mir aufblendende Autofahrer, obwohl ich doch auch meine 140 fuhr und immer brav Platz mache. Die Leute müssen doch sehen, dass man selbst auch gerade jemanden überholt. Ich zittere immer davor, dass sie aufblenden, weil ich ihnen gerne freiwillig Platz machen möchte. Wenn sie mich nötigen, bin ich aufgrund komplizierter innerer Seelenvorgänge gezwungen, langsamer und immer langsamer zu fahren, und das tut mir in der Seele weh.«

18.7. Zwölfstufiger Alkoholikerfragebogen
(Auflösung im hinteren Schatullenteil)

  1. Suchen Sie die Gesellschaft von Personen, die mehr Alkohol vertragen als Sie?
  2. Verzichten Sie bewusst auf Alkoholpausen?
  3. Würden Sie trotz starker Nebenwirkungen ein Medikament einnehmen, das Ihre Alkoholfahne mindert?
  4. Sind Sie neidisch, wenn jemand mehr Alkohol im Glas hat als Sie?
  5. Verschmähen Sie auch kleinere Mengen Alkohol nicht?
  6. Etikettieren Sie Alkohol um?
  7. Ist Ihnen Alkohol mehr wert als der tatsächliche Anschaffungspreis?
  8. Telefonieren Sie oft privat, wenn Sie Alkohol getrunken haben, sonst aber nie?
  9. Trinken Sie lieber alleine, weil Sie sich dann besser auf die Wirkung konzentrieren können und nicht von Gesprächen abgelenkt werden?
  10. Halten Sie die mit Alkohol angeblich verbundenen Risiken für übertrieben (marktschreierisch) dargestellt?
  11. Interessieren Sie sich für neue Herstellungsverfahren von Alkohol?
  12. Träumen Sie gelegentlich davon, in den zweistelligen Promillebereich vorzudringen?

Sie dürfen lediglich mit ja oder nein antworten. Die Beantwortung dieses Fragebogens ist nur dann sinnvoll, wenn Sie absolut ehrlich zu sich selber sind und nicht »mauscheln«.

19.7. Durchfall.

20.7. Durchfall.

21.7. Heute nichts.

22.7. Recht spannende Reportage bei RBB: »Messen, zählen, wiegen – Wieviel ist dir dein eigenes Leben wert?«

23.7. Impulskauf von Schüßler-Salz Nr. 12 (angeblich Wundermittel gegen »Burning-Feet-Syndrom«). Leibschneiden beidseitig, deshalb mit Wärmflasche früh zu Bette, Lecture Elias Canetti: Aufzeichnungen 1992-1993.

24.7. »Kranke« Bandnamen: Contergan, Malad, Bleibende Schäden.

25.7. Heute lotst mich der Dartpfeil nach Brehna in der DDR. Beziehe im klitzekleinen Hotel Thun (4 Zimmer) ein etwas beengtes Einzelzimmer. Nach dem Besuch des Fahrzeug- und Industriemuseums Brehna-Schwolwo (untergegangene Arbeitswelten) Abendessen im Restaurant Fröschle. Ausgezeichnetes Ragout von Rebhühnern mit Parmesan. Zurück im Zimmer noch eine halbe Flasche alkoholfreier Sekt, Lecture von Peter Handkes »Gestern unterwegs«: »Was du im Furor von dir gibst, wirst du auf diese Weise nicht los, sondern es rotiert danach nur noch wüster in dir und wird dich, jedenfalls für eine Zeit, nur noch mehr quälen als zuvor das Nicht-Ausgesprochene.«

26.7. Spät auf (10.30), gebadet, im winzigen Handwaschbecken die Haare gewaschen. Auf der Rückfahrt halbstündige Rast auf dem Parkplatz »Bretthäuser Wisch«. Für mich der beste Parkplatzname aller Zeiten. Einfach magisch.

27.7. Interview mit Herbert Grönemeyer in der »Herforder Allgemeinen Zeitung«. Berichtet über seinen Vater, dass der »ins Leben gebissen hat wie in ein Vollkornbrot«. Wie kommt man auf eine solche Formulierung? Abstoßend. Widerlich.

28.7. Morgens nässendes Ohr. Im Waschraum rasiert, danach wieder lange Fuß- und Beinbrausung. Vormittags konzentriert am Schreibtisch. Nachmittags Leerlauf, dafür abends richtig geile Idee: Alte E-Mails beantworten, z.B. welche aus dem Jahr 2007. Schaue in meinen Ordner, finde tatsächlich ein paar »Liegengebliebene«, u.a. die (noch) unbeantwortete Nachricht einer gewissen Greta Schuster (keine Ahnung, wer das ist/ sein könnte): »Liebe Grüße aus Berlin von mir der alten Wachtel. Hamburg vor drei Wochen war für mich der absolute Reinfall. Mir hamse das Auto geklaut in St. Georg und ich bin erst mal wieder durch mit der Stadt. Na ja, bis bald mal wieder. Greaz, Greta.« Erkundige mich, ob das Fahrzeug inzwischen wieder aufgetaucht sei. Mal sehen, was da so kommt. Ob die Mail-Adresse noch stimmt?

29.7. Schatulle für Kinder: Wenn ein Gericht (Essen) nicht schmeckt, dann gibt es eine Gerichtsverhandlung vor dem Schmorgericht.

30.7. Der letzte Dartpfeil führt mich ins nordhessische Rosdorfsand. Ödes Städtchen, auch das Umland hat wenig zu bieten. Steige ab in der Pension Worms. Frage die Inhaberin Frau Worms, ob man im Ort noch irgendwo etwas zu essen bekomme. Sie empfiehlt mir den Italiener Da Carlo, scherzhaft »Trattoria mia is jetzt schon schlecht«. Verdrücke Caprese und eine wirklich exzellente Margarita. Nachtgedanke: Madam I am Adam.

31.7. Auflösung Alkoholikerfragebogen

Eine bis drei Ja-Antworten

Drei bis sechs Ja-Antworten

Sechs bis neun Ja-Antworten

Neun bis elf Ja-Antworten

Zwölf Ja-Antworten

Nach Notat im Bett.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg