Inhalt der Printausgabe

Die neue Rechtrechnung kommt

 

 

Man hätte es ahnen können: Nachdem sogar die FAZ sich dem Diktat der neuen Rechtschreibung gebeugt hat, um an der spaßgesellschaftlichen »Flussschifffahrt« ins Reich der Zukunft teilnehmen zu dürfen, scharren auch die Mathelehrer ungeduldig mit den Hufen.

»Wir brauchen jetzt die Rechenreform«, sagt z.B. Wolfgang Müller-Krämer (48),  Algebra-Sachverständiger der muffigen Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), im großen TITANIC-Interview.

 

 

TITANIC: Herr Müller-Krämer, Sie befürworten eine radikale Vereinfachung des Rechnens. Wollen Sie das Einmaleins beseitigen?

 

Müller-Krämer: Zunächst einmal möchten wir die Mathematik im Unterricht auf gegenständliche Formen zurückführen. Auf Äpfel und Birnen, wenn Sie so wollen.

 

Weil das Rechnen mit Obst glücklicher macht als eine Gleichung mit Unbekannten?

 

Jein. Was wir Lehrer uns wünschen, ist eine Umkehr zum Natürlichen und Anschaulichen, also gewissermaßen…

 

Reden wir Klartext. Verkürzt man die längere Seite eines Rechtecks um drei Zentimeter und vergrößert die kürzere Seite um zwei Zentimeter, so erhält man ein Quadrat mit dem gleichen Flächeninhalt wie das gegebene Rechteck. Wie lang ist die Quadratseite?

 

Seien Sie nicht albern. Das weiß doch jedes Kind.

 

Da täuschen Sie sich. Wie lang sind die Seiten des ursprünglichen Rechtecks?

 

Was soll das? Ich dachte, das wär hier so ’ne Art informelles Gespräch, und jetzt führen Sie sich auf, als ob Sie mich zu einer Disputation eingeladen hätten…

 

Einem Eckpunktepapier aus Ihrem Haus ist zu entnehmen, daß Sie die negativen Zahlen abschaffen wollen. Was versprechen Sie sich davon?

 

In der Tat erwägen wir, ob wir uns im schulischen Sektor nicht vielmehr mit positiveren Elementen der Mathematik befassen sollten als mit negativen Zahlen. Aus minus zwei Äpfeln, minus dreihundert Gramm Mehl und minus drei Eiern kann man nun mal keinen Kuchen backen, und das merken auch die Schüler jetzt verstärkt.

 

Können Sie erste Zwischenerfolge Ihres ungewöhnlichen Projekts verbuchen?

 

Warum ungewöhnlich? Überall mehren sich die Stimmen derer, die auf eine kompaktere Fassung des Lehrstoffs drängen. Selbst der Musikpauker meiner jetzigen Penne läßt seine Klasse inzwischen lieber MTV kucken, statt sie mit Informationen über die Tonleiter zu belemmern.

Konservative Pädagogen haben Ihren Kurs mit scharfen Worten kritisiert…

 

Das ist mir neu. Wer soll das getan haben?

 

Nun, zum Beispiel die Studienräte Gählig und Schrader in ihrem Aufsatz »Wolfgang Müller-Krämer – Quacksalber und Milchmädchen in Personalunion«, den die Autoren in der angesehenen Fachzeitschrift Kopfrechnen Today veröffentlicht haben.

 

Die beiden Pfeifen sind einfach nur neidisch! Die haben schon als Studiker ausgesehen wie von Elstern zerrupfte Kolkraben in der Mauser. Das ist das ganze Geheimnis. Die haben nie eine Freundin gehabt.

 

Wikipedia zufolge ist Herr Gählig Vater von fünf Kindern, und Herr Schrader lebt in dritter Ehe mit einer russischen Ballerina in einem Schloß in der Nähe von Genf.

 

Die hat er sich in Petersburg gekauft, das alte Schwein. Heiratslustige Primaballerinen, die eine gute Partie machen wollen, gibt es da zu Schleuderpreisen. Und der Gählig hat von seinem Alten eine argentinische Fischotterzuchtstation geerbt. Da brauchen Sie nur eins und eins zusammenzuzählen.

 

Tun wir das. Im letzten Quartal hat eine Primaballerina auf dem Petersburger Heiratsmarkt umgerechnet durchschnittlich 11285 Euro gekostet. Bei einer öffentlichen Versteigerung weißrussischer Tänzerinnen, die sich auch als Putzfrauen eigneten, belief sich das Höchstgebot am Neujahrstag 2007 laut Economist auf 966 Euro. Zeichnen Sie ein Kreisdiagramm. Sie haben zehn Minuten Zeit.

 

Fangen Sie schon wieder an? Wenn Sie sich einbilden, jetzt noch an den Eckpfosten der neuen Rechtrechnung rütteln zu können, liegen Sie schief. Die Rechenreform wird kommen, ob Sie wollen oder nicht.

 

Aber halten Sie es denn selbst für richtig, die Reform mit einer persönlichen Abrechnung zu verquicken?

 

Was diese Widerlinge angeht, halte ich es mit Plutarch: »Zur rechten Zeit zu schweigen ist ein Zeichen von Weisheit.« Es wäre unter meinem Niveau, »olle Gählig«, wie wir ihn an der FU genannt haben, auf einer persönlichen Ebene anzugreifen, zumal er jetzt an Hodenkrebs erkrankt sein soll. Da gebietet es schon der Anstand, einen Mann, der seinen Lebensabend als frühvergreistes Wrack im Rollstuhl verbringt, schonend zu behandeln, auch wenn er sich in den Tagen vor seinem Unfall rüpelhaft aufgeführt haben mag.

 

Sie spielen hier auf Ihre Kabbelei mit Herrn Gählig in einem Wiesbadener Spielcasino an.

 

Mein Taktgefühl verbietet mir, hier mit näheren Einzelheiten aufzuwarten.

 

Man erzählt sich, daß Sie von Herrn Gählig auf der Damentoilette zum Verzehr eines hochwertigen Jetons gezwungen worden sein sollen.

 

Was man sich erzählt, ist mir egal. Ich weiß nur, daß der saubere Herr Gählig 1982 in Tübingen aufgrund einer Salmonellenvergiftung behandelt werden mußte. Aber wie gesagt, ich möchte darüber nicht sprechen, auch nicht über den Gehirntumor, den man damals bei Herrn Gählig diagnostiziert hat. In eine Auseinandersetzung unter Intellektuellen gehören solche Dinge nicht hinein.

 

Wie groß war der Tumor?

 

Es heißt, daß er die Größe eines Rugby-Balls besessen und speziell das Rechenzentrum im Gehirn des Patienten lädiert habe. Genaueres ist mir nicht bekannt. Da müßten Sie in der Klinik nachfassen. Soll ich Ihnen die Durchwahlnummer geben?

 

Ersparen Sie sich die Mühe. Herr Müller-Krämer, welche drei Gegenstände würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?

 

Einen Rechenschieber und die Skalps der Studienräte Gählig und Schrader.

 

Letzte Frage: Ein geschiedener Hausmeister sagt zu seinem Sohn: »Ich habe in der rechten Rocktasche dreimal so viel Nüsse wie in der linken. Nehme ich aber dreißig Nüsse von der rechten Tasche in die linke, so befinden sich in der linken Tasche dreimal so viel wie in der rechten.« Ob der Mann noch mal heiraten wird?

 

Was weiß denn ich, Sie Dämelklaas!

 

Herr Müller-Krämer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Gerhard Henschel

 

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