Inhalt der Printausgabe

Der Februar ist kein Nazi

Eine vielleicht ja doch mal fällige Monatsbetrachtung

von Stefan Gärtner

 

Er ist der kleinste von allen, der schüchternste, der durchaus prominenzfernste. Keiner, an den sich je wer erinnern würde oder auch nur wollte, keiner, den man herbeisehnt; Karnevalisten allenfalls, aber dann lieber gar keine Fans. Man könnte sagen, er sei so etwas wie das Hannover unter den Monaten: Er hat kein schlechtes Image, er hat gar keins. Es gibt ihn, und leben kann man da auch, aber wenn es ihn nicht gäbe, wär’s auch nicht schlimm. Die Rede ist vom Februar.

Ach Februar, ach Februar, wie bist du da und doch nicht da: Der Januar ist Primus, der März ein Wildfang, der April die Diva, der Mai die Liebe selbst; Juni tönt wie Abendhimmel und Lindenblüten, und das Handicap, so zu heißen wie eine dumme deutsche Schriftstellerin mit Vornamen, steckt der heiße Juli locker weg. Und der August erst: Welch Monat! Große Männer wie Goethe, Hegel, Michael Jackson und ich sind ihm entsprungen, und wie feinwürzig-melancholisch er zwischen Lebensfülle und weher Abschiedsahnung zittert! »Einsamer nie als im August«, da krieg ich gleich das Heulen, und das geht mit dem drögen Februar natürlich überhaupt nicht: »Einsamer nie als im Februar«, das klingt nicht nur falsch, das ist sogar gelogen. Man kann sehr gut einsamer als im Februar sein, z.B. im August oder im Leistungskurs Torfofenbau, aua…

 

Der blaue Mond September, der goldene Oktober, der scheiß November – der Februar kennt, zurückgeworfen auf sich selbst, kein Epitheton, nicht einmal ein Adjektiv mag sich ihm beigesellen; und vor dem zaubrischen Dezember, der ihn mit Nikolaus, Weihnachten, Silvester und dreizehntem Monatsgehalt schon geradezu demütigt, wird er endgültig zum Klassenküken, dem auch der freche April, wenn er will, jederzeit das Pausenbrot wegfressen kann. Februar, Nullum im Jahreslauf, ein kalendarischer Kleinstaat, dessen neunundzwanzigste Provinz auch noch regelmäßig und auf Jahre abgetrennt wird und der weder Hitler noch Roland Koch noch auch nur Hans Meiser zu seinen Eingeborenen rechnen kann; sondern »nur« (lies: nur) Hansi Hinterseer, Hella von Sinnen und Hansi Horkheimer. Und Mark-Stefan Tietze! Der, nebenbei, auch jedes Jahr älter wird. Kein schöner Anblick!

 

Mit Februar, dem ewigen Zweiten, kann man’s halt machen: »Der Einzelhandel will ab Februar (sic!, S.G.) ein Drittel der Mehrwertsteuererhöhung über Preisaufschläge an die Kunden weitergeben« (Tagesschau); und wer liegt, wird noch getreten: »Allen mit einer Schwäche für gute Literatur und einem feinen Gaumen bietet Lübeck im Februar ein ganz besonderes Wochenende: Die ›Lesezeit Lübeck‹ bringt vom 16. bis 18. Februar«, genau, »den anheimelnden Charme des Vorgelesenbekommens und guten Essens in die triste Jahreszeit. Die Schauspielerinnen Anna Thalbach, Hannelore Hoger und Inga Busch sowie die Autoren John von Düffel, Wladimir Kaminer, Steffen Kopetzky und Hanns-Josef Ortheil lesen, während sich die Gäste von den drei Lübecker Hotels Mövenpick, Radisson SAS sowie dem Scandic einen blasen«, nicht ganz: »verwöhnen lassen. Schirmherr ist der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen« – derlei per weichstem Wortgehäufel beworbene Blöd-Events für hanseatische Halbbildungsbürger werden wie selbstverständlich dem armen Februar aufgedrückt, der sich auch das, weil er’s halt nicht anders kennt, widerstandslos gefallen läßt. Und letztlich lassen muß. Und daß die Internationale Süßwarenmesse in Köln direkt februarverhöhnend am punktgenau 31. Januar endet, mag nur den überraschen, der sich nicht für Astrologie interessiert und also auch nicht weiß, daß späte Steinböcke im Tierkreis als faul, doof und beratungsresistent, frühe Wassermänner hingegen als ausgleichend und blutrünstig gelten.

 

Es gibt, wenden die Toleranten und bei Gott absenten Februarfans ein, aber auch harte Fakten, die für den Februar als Monat und am Ende gar Haltung sprechen, und weisen darauf hin, daß der Februar im Elsaß »Hornung« heiße und in Nicht-Schaltjahren mit demselben Wochentag wie der März und der November beginne; und zwar immer (!) mit demselben Wochentag wie der Juni des Vorjahres! Und das sei doch geil! Und 28 geteilt durch 4 Wochen gibt nun mal die Buchstabenzahl von: Februar…

 

Auf einen zu kurz geratenen Zahlenmystiker namens Hornung fallen aber allenfalls New-Age-Hexen mit Helfersyndrom rein; und der WM-Juni des Vorjahres wird sich schön bedanken, daß er mit einem Softielangweiler mit Hang zu Kabbala-Esoterik den ersten Tag teilen muß. »Viel Regen im Februar / viel Regen im ganzen Jahr« (Bauernregel) – der Februar ist halt stets der Depp; und drum auch allen Übels schuldig (R. Beckmann, *23.2.).

 

Sexy geht mithin restlos anders, und das lebenslange Februaropfer Thomas Bernhard (»Porno-Bernhard«) hat es schon gewußt: »In Österreich mußt du entweder katholisch / oder nationalsozialistisch sein«, halt, das war’s nicht; aber hier: »Schon nach kurzer Zeit stellt sich heraus / es ist ein Nazi« – starker Toback; aber halt auch übertrieben und am Thema einigermaßen vorbei. Ein Monat, der im süddeutschen Sprachraum ungefähr wie »Fieber« gesprochen wird und früher »Schmelzkäsemond« (oder eigentlich »Schmelzmond«) genannt wurde, in dem kein einziger Weltkrieg begonnen oder wenigstens aufgehört hätte und der so verhuscht im ersten Jahresdrittel hockt wie ein für sein Alter viel zu kleiner pubertierender Priestersohn mit extrem dicken Brillengläsern und kratzigem Wollpulli in einem nach Testosteron und Scheibenkleister riechenden Schulbus: ein solches Extrembeispiel peinlichsten Monatsversagertums ist aber weder »rechts« noch, trotz Bernhard, das Rindvieh des Jahres (das arbeitet nach wie vor als Bundesinnenminister); sondern nur das zwölfte Rad am Wagen. Und wird folgerichtig im Zuge der allg. Klimaumwandlung auch bald mit März und April zu August zusammengelegt.

 

Indes: »Wer immer nur Trümpfe hat, mit dem will ich nicht Karten spielen«, so recht unwiderleglich Friedrich Hebbel, und im Zuge der simplen Dialektik, daß Verlierer via Empathie meist doch noch zu Gewinnern werden (Nationalmannschaft, Stoiber), sollten, ja dürfen wir den Februar nicht einfach abschreiben. Schon gar nicht, wenn wir uns sonst immer über den allgemeinen Radau beschweren und das Glück im stillen Jahreswinkel ja nicht a priori verachten. »An allen Fronten nichts Neues«, notiert Reichsminister Dr. Goebbels am 8. Februar 1941 zufrieden in sein Tagebuch, und mit ein bißchen Abstand können wir gerade das schön finden: daß einmal nichts ist. Und nichts erwartet wird. Einfach Ruhe! Wie ein öder Wintersonntag, an dem absolut nichts zu tun ist und uns keine Verpflichtung oder Verabredung oder gutes Wetter daran hindert, einmal ein paar Stunden still auf dem Sofa zu sitzen und in uns hineinzuhorchen. Und mal so richtig über alles nachzudenken. Und ganz gemütlich, bei Keksen und einer guten Tasse Tee, zu woxeln. Ah! Ah ja!

 

Das ist Februar nämlich auch.

 

»Der Februar baut manche Brück’ – der März bricht ihnen das Genick« – die Dichotomie, die nachgerade brutale Manichäik könnte nicht augen- und sinnfälliger, aber auch nicht holpriger vorgetragen sein: Seit wann kann man einer Brück’ das Genick’ brechen! Das geht doch gar nicht! Hahaha! Oder meint ihnen am Ende – uns? Uns von rücksichtslosester Dezivilisierung und Formatfernsehen gefährdete oder wenigstens gebrochene Konkurrenzkrüppel? Sind wir nicht alle (aufgepaßt): Märzgefallene…?

 

Auch. Sicher aber ist: Mit dem Februar ist kein Unrechtsstaat zu machen, denn, und das ist das eigentlich Überraschende: er baut Brücken, wo andere (März, Klitschko; Kohl früher) brutal zuschlagen. »Über die Brücke geh’n / andere Menschen versteh’n /andere Lieder / andere Länder der Erde / Über die Brücke geh’n / hinter die Mauer zu seh’n / gute Gedanken / schmelzen das Eis in den Herzen unsrer Welt« (Ingrid Peters 1986). Und wo sich Blödis wie April oder Oktober alleweil dicktun und präpotent aus dem Fenster lehnen und am Ende auch noch weltgeschichtliche Bedeutung reklamieren (30. April, 3.10.), bleibt der Februar sympathisch bodenständig und schmilzt, ohne großes Aufhebens davon zu machen, in aller Bescheidenheit und mit guten Gedanken das Eis in den Herzen unserer Welt. Eine keinesfalls leichte Aufgabe, für die sich die oberen elf Zwölftel des Jahres natürlich zu fein sind; die aber gleichwohl erledigt werden muß.

 

Der Februar – eine tendenziell bi-, ja polyvalente Angelegenheit also? Nicht zufällig mehren sich die Zeichen, daß der ungeliebte Zwerg- und Pißmonat vor einem fulminanten Comeback steht. Der bekannte Dichter Dr. Michael Lentz (»Hunderttausend Rosen«) hat, mit notabene voller Rückendeckung von Literaturpapst »Hupsi« Spiegel, vorsichtshalber vorgelegt und übers Feuilleton der FAZ folgendes Gedicht lanciert: »Tirilii, tiri- / laa, der Februar ist / endlich // (wieder) da :-))« – eine glasklare »Renaissance des Naturgedichts in der Tradition Oskar Loerkes« (Leserzuschrift von Dipl.-Ing. Heinrich von Afterdingen, Kronberg/Ts.); wie des Februars, wenn wir das anmerken dürfen, sowieso. Der anno ’45 immerhin das doofe Dresden tiefergelegt hat. Und noch wird zwar allerorten »And when the saints / go marching in« gesungen; aber ist es nicht längst vorstellbar, daß in näherer, ja allernächster Zukunft daraus ein »… go februaring in« werden wird…?

 

Spekulation? Wunschtraum? Rhetorik? Eins steht immerhin fest: Mit der gemeinen und letztlich feigen Februar-Diskriminierung dürfte langsam Schluß sein, spätestens seit dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens. Die europäische Wertegemeinschaft, ruhend auf den Pfeilern Biedersinn, Gier und Eigenverantwortung, muß endlich für (wenigstens annähernd) gleiche Lebensverhältnisse in allen Bereichen des Jahres sorgen und durch möglichst teure Förderprogramme Geld für einen von uns allen verkannten Monat verbrennen, das anderswo dann fehlt, bei der Behindertenverarsche oder wo immer sonst es nicht so drauf ankommt.

 

Denn er kommt, der stille, bescheidene, ein bißchen behinderte Februar. Schon bald. Freuen wir uns drauf; der 9. wird am Ende richtig prima.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Hä, »Spiegel«?

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