Inhalt der Printausgabe
Juni 2001
TITANIC vs. CDU
Großes Schwarzgeldtreffen in Luzern
Protokoll eines spontanen Betriebsausfluges (Seite 2 von 2)
Freitag, 11. Mai 9.00 Uhr: Luzern Ein herrlicher Sommertag in der Schweiz. Die Redakteure stellen den Wagen ab, spazieren ein wenig an See und Altstadt herum und dann zur "Credit Suisse", Schwanenplatz 8. Fotoreporter Nagel drückt sich mit seiner Kamera konspirativ in eine dunkle Ecke, Rürup kauft sich zur Tarnung ein paar Kilo Toblerone und lungert so unauffällig, wie es ihm mit seinen zwei Metern und fünf roten Bärten möglich ist, auf dem Platz herum, Sonneborn sitzt mit zwei leeren Schwarzgeld-Aktenordnern demonstrativ auf einer Bank vor der Bank und hält Ausschau. Der verrückte Plan der drei: Wenn Klaeden und Ahrens wirklich auftauchen, soll Sonneborn mit den Ordnern auf die CDU-Abordnung zuspringen, Nagel und Rürup das Ganze fürs TITANIC-Fotoalbum fotografisch dokumentieren. Während sie warten, mehren sich Fragen und Zweifel: Sollte der Vollblutnachwuchspolitiker Klaeden wirklich extra von Berlin nach Luzern brettern, um sich zwei leere Leitz-Ordner in die Hand drücken zu lassen? Wenn er die wirklich will, warum fährt er dann nicht einfach nach Frankfurt? Und: Kommt er bei Sonneborn mit seinem Personalausweis überhaupt durch? |
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10.55 Uhr: Luzern Das Warten und Zweifeln hat ein Ende: Drei Männer gehen in die Bank. Sonneborn glaubt, Klaeden erkannt zu haben, ist sich jedoch nicht sicher: Er ist viel kleiner als auf Bildern! Aber neben ihm, der Mann mit dem zerknautschten Gesicht, war das nicht Willi Hausmann? Der Bundesgeschäftsführer der CDU, der einiger Lügen in der Spendenaffäre verdächtigt wird und im März versucht hat, aufgeflogene parteieigene Schwarzgelder den Herren Weihrauch, Kiep und Lüthje unterzuschieben? Er sieht ganz so aus! Schnell berät sich der TITANIC-Chefredakteur mit seinen Kollegen und spurtet dann allein in die Bank, um sich zu vergewissern. Als ihn eine Empfangsdame nach seinem Namen fragt, sucht er sämtliche Schweizer Sprachkenntnisse zusammen und antwortet: "Widmer!" Freundlich und ein wenig vorwurfsvoll wird ihm entgegnet, man erwarte ihn bereits im 1. Stock, wo er denn bliebe? Der Neu-Banker fährt mit dem Fahrstuhl nach oben, wird von einer Assistentin der Geschäftsführung in Empfang genommen, hört sich selber zum zweiten Mal an diesem Tag "Widmer" murmeln und wird dann mit einem herzlichen "Schön, daß Sie da sind!" zu den drei Wartenden geführt. |
11.03 Uhr: Luzern Eine nicht ganz unproblematische Situation: Zu dunkel zum Fotografieren, und Sonneborn kann kein Wort Dialekt! Zum Glück arbeitet sein Hirn unter Druck am besten, und im letzten Moment kommt er auf eine brillante Lösung: Er behauptet einfach, ein ganz anderer Widmer zu sein! Als die CDU-Politiker in geheimer Mission diese glaubwürdige Geschichte in bestem Hochdeutsch hören, reagieren sie sehr verschieden: Von Klaeden rauscht sekundenschnell in einen Nebenraum, Hausmann drückt sich noch tiefer in seinen Sessel und vergräbt das Gesicht in den Händen, Ahrens geht in die Offensive und fragt, was hier eigentlich vorgehe. Der falsche Widmer behauptet, keine Ahnung zu haben, stattdessen aber einen Termin mit Dr. Hürlimann. Er geht auf die Sekretärin zu und flüstert hinter vorgehaltener Hand: "Bitte rufen Sie Dr. Hürlimann an, aber so, daß diese drei Herren es nicht hören! Bankgeheimnis! Nummernkonto! Ich warte unten. Guten Tagi!" Dann verläßt er die Bank und drei extrem verstörte Herren. |
12.35 Uhr: Luzern Über 90 Minuten bleiben die Spitzenpolitiker in der Bank. Kein Wunder eigentlich: Da steht der Bundesgeschäftsführer einer politischen Partei in Deutschland mit zwei Parteikollegen und einem schlecht gefälschten Kontoauszug in einer bis dahin angesehenen Schweizer Bank und will einen Direktor sprechen, den es nicht gibt, um knappe 3 Millionen Franken abzuholen, die nur in seiner Vorstellung existieren! Und möglicherweise ist darüber hinaus noch Klärungsbedarf vorhanden, denn seit 1999 sitzt Helmut Kohl im Beirat der "Credit Suisse". Anschließend geht alles ganz schnell: Durch den Lieferanten- eingang verläßt die CDU das Haus, ohne zu ahnen, daß ihnen fünf rote Bärte mit Toblerone-Tüten unauffällig folgen. Über Handy werden in einer kurzen Schnitzeljagd Nagel und Sonneborn herangeführt, und kurz nachdem Klaeden, Hausmann und Ahrens sich zur Beratung in einem nahegelegenen Restaurant niedergelassen haben, sind auch Nagel und Rürup mit ihren Fotoapparaten gut positioniert. Als Sonneborn mit den zwei CDU-Ordnern um die Ecke biegt, ist das Foto fürs Erinnerungsalbum nur noch Formsache. Daß Klaeden sich vor Schreck sein Bierglas über Tisch und Hose kippt, ist eine kurze Randnotiz der Weltgeschichte; ohne zu murren bringt der Ober ein neues Tischtuch. Während die TITANIC-Redakteure Platz nehmen, verschwindet Hausmann, um per Handy den Rest der Partei zu informieren. |
Epilog 12.45 Uhr: Luzern Trotz des herrlichen Wetters will keine richtige Feierstimmung aufkommen. Die Parteifreunde sind gezeichnet von den letzten 24 Stunden, und es ist schwer zu sagen, welche Gefühle bei ihnen überwiegen: die Erleichterung, keine 10 Millionen Franken verschwinden lassen zu müssen, oder der Ärger, sich nach allen vorangegangenen Ereignissen plötzlich auch noch mit TITANIC-Redakteuren an einem Tisch wiederzufinden. Auf jeden Fall ist letzteres eine schöne Gelegenheit, noch einige freundliche Gehässigkeiten auszutauschen. Und weil die feixenden Redakteure wohl nicht lange auszuhalten sind, ziehen die griesgrämigen Politiker auch bald von dannen. Allerdings erst nachdem von Klaeden, der TITANIC nach eigenen Angaben kennt und schätzt, betont hat, wie stolz er darauf ist, daß er "von Anfang an mißtrauisch gewesen" sei. Sonneborn bedankt sich höflich, daß die CDU die beschwerliche Reise trotzdem nicht gescheut hat, dann geht jeder seiner Wege. Vor der Grenze erwerben die Redakteure zum Andenken noch einen Züricher Tagesanzeiger; eine Zeitung, die der Schweizer schon mal liebevoll "Tagi" nennt. Mitunter auch auf der Überweisung, mit der er sein Abo bezahlt. P |
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