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Wenn Klöster sterben
… stirbt immer auch ein Stück abendländischer Kultur. Der Mönch ist zum Mangelberuf geworden, immer mehr Stifte und Abteien stehen leer. Was tun mit den verwaisten Klöstern – abreißen, plattwalzen oder niederbrennen?
Bim-Bim-Bim! Die kleine Totenglocke am Westturm läutet aus voller Brust. Leises Weinen dringt aus dem Karner. Dann spült ein Orgelschwall die Trauergemeinde aus dem finsteren Kreuzgerippengewölbe in den Klostergarten, ganz vorne der Sarg von Bruder Ambrosius, dahinter sieben tanzende Klageweiber und Mitbruder Sebaldus. Sebaldus hält den Kopf gesenkt, traurig wippt seine Kapuze. Er ist jetzt der letzte Einwohner von Sankt Pankraz.
Melancholisch betrachtet der 84jährige, wie das Weibsvolk den Sarg ins Zömeterium schiebt. Eine Fledermaus flattert aus dem frisch ausgehobenen Arkosol. "Armer Ambrosius", seufzt Sebaldus und schlägt ein Kreuz, "nun ist er tot. Gerade rechtzeitig für den Einstieg in diesen Artikel." Als der gewesene Mitbruder sicher verstaut ist, zieht Sebaldus den Rollbalken vor der Grabnische runter, sprüht Weihwasser gegen die Fliegen, dreht das Licht ab und wendet sich mit einem Seufzer hinüber ins Sapperlotium.
"Auch uns holt der Schnitter ein", erzählt er eine halbe Stunde später bei einem nachdenklichen Cappuccino mit Schaum. "Das vergisst man oft hinter diesen verschwiegenen Klostermauern. Und dann? Wenn ich auch einmal tot bin – wie soll es hier weitergehen?"
Risse in der Tapete des Sozialgeflechts Weltkirche
Eine gute Frage. Kaum jemand versteht heute noch, wozu es Orden und Klöster überhaupt braucht. Dabei nahmen Mönche früher wichtige Aufgaben wahr, etwa Beten, Jäten und in der Fastenzeit Spanferkel und Wachteln durch den Dorfweiher scheuchen, damit diese als "Fische und Meeresgetier" durchgingen. "So leicht ließ sich Gott damals an der Nase rumführen", schmunzelt Bruder Sebaldus. Aber auch das Unterrichten fiel in den Zuständigkeitsbereich der Brüder, das Messen lesen, Suppe brauen, Bier ausschenken. Und: am Stehpult dicke Bücher abschreiben. "Heute, in Zeiten von Plagiatsjägern, ein absolutes No-go", bedauert Bruder Sebaldus. Er kopiert inzwischen nur noch für den Eigenbedarf, z.B. alle Romane von Rita Falk, "davon hab ich inzwischen einen ganzen Stoß, das ist besser als jede Selbstgeißelung."
Die Regeln des Klosters sind so streng wie ehedem. Jeder Mönch muss ein Keuschheitsgelübde ablegen, sich dem Prinzip der Zöliakie unterordnen und seinen bisherigen Namen ablegen. "Nichts Weltliches darf uns anhaften", weiß Bruder Sebaldus, der vor seiner Weihe unter dem bürgerlichen Namen Dr. Lovehole für eine Sexhotline arbeitete. Der Tagesablauf im Orden ist eintönig, die Richtschnur lautet "ora et labrador", bete und arbeite. Zweimal am Tag ist ein Hofgang erlaubt, einmal im Monat ist Besuchstag, an dem Sebaldus mit seiner Mutter hinter einer dicken Glasscheibe telefonieren darf. "Viele junge Leute halten das nicht durch", berichtet er. "Ich hatte schon Mitbrüder, die solche Methoden als Verbrechen gegen die Mönchlichkeit betrachteten. Sorry, Kalauer sind hier drin natürlich auch verboten", seufzt er und greift zum Bußgürtel.
Jahrhunderte voll historischer Geschichte
Mehr als 600 000 Klöster gibt es in Deutschland. Schuld an der Überklosterung ist der Heilige Bonifatius: Der gründungssüchtige Märtyrer (8. Jahrhundert) war besessen davon, immer neue Bistümer und Abteien zu eröffnen. Überall in Mitteleuropa versteckte der "Klosterhase" (Kollegenspott) neue Gotteshäuser, überzog den Kontinent mit einem dichten Netz von Monasterien. Die Expansion blieb nicht ohne Folgen: Bereits in der Reformationszeit kam es zum Bruch, der Papst stieß die Hälfte seiner Filialen ab, teilte sich das Imperium mit Martin Luther ("Kirche Nord"/"Kirche Süd"). Heute wohnen in Deutschlands Ordensgemeinschaften noch ca. elf Mönche – Tendenz negativ. Die meisten von ihnen sind deutlich über 65 Jahre alt.
Mit den Mönchen aber sterben die Klöster. Und die sind nicht so einfach beizusetzen wie Bruder Ambrosius: Um ein totes Kloster zu beerdigen, braucht es ein riesiges Grab, zwei vollgetankte Schaufelradbagger zum Ausheben und die passende Trauermusik (Claude Debussy, "La cathédrale engloutie"). Was bleibt, ist eine kulturelle Wunde. Und eine jährliche Grabpacht, die dem Heiligen Vater die Tränen in die Hose treibt.
Sollte unser Kloster sterben, will ich deinen Toaster erben
Leise geht der Tag zur Neige, der Mond klettert behände über den Himmel. Nachdenklich trommelt Bruder Sebaldus auf seine Tonsur. "Das mit dem Nachwuchs ist ein Riesenproblem", gesteht er. "Ambrosius und ich waren ganz besessen von dem Gedanken, kleine Mönche zu zeugen. Dreimal pro Woche trafen wir uns im Homophilium, immer dann, wenn Gott schon eingeschlafen war. Vergebens. Jetzt ist Ambrosius tot, und alles, was ich von ihm habe, ist sein Toaster."
Sebaldus’ letzte Hoffnung: künstliche Intelligenz. "Robotermönche, das wär’s doch!" sagt er, und seine Oculos beginnen zu leuchten. "Oder dressierte Kapuzineräffchen! Oder" – sein Zingulum dreht sich lustig im Kreis – "wir werben Frauen an! Ach nein, das wäre Nonnsens."
Michael Ziegelwagner