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Vier Geier für Tatütata – Auf Streife mit der Gesundheitspolizei
Serengeti-Mitte, kurz vor halb drölf vormittags. Ein Löwenrudel verlässt den Tatort, an dem Stunden zuvor eine unschuldige Babygiraffe brutal ermordet und halb aufgegessen wurde. Jetzt gärt der zerfleischte Kadaver in der Sonne, die ersten Salmonellen machen es sich im Babyspeck gemütlich. Eine Gazelle, die alles aus sicherer Entfernung beobachtet hat, greift beherzt zum Hörer und alarmiert die Gesundheitspolizei. Nur wenige Minuten später sperrt ein Trupp Gänsegeier das Gelände ab. Denn Geier sind die Gesundheitspolizei der Savanne. In Windeseile legen die Beamten das Skelett frei und entsorgen das pathogene Giraffengewebe mit routinierten Schnabelhieben in ihren keimresistenten Spezialmägen. "Das war höchste Eisenbanane", schmatzt Oberinspektorin Anita Aas. "Ein paar Minuten später, und man hätte das tote Kalb gewissermaßen den Hyänen zum Fraß vorgeworfen, den 'Hyänen' nämlich!" Die "Hyänen"* – das ist die Gesundheitsrockergang der Savanne. Wo immer eine Leiche zu finden ist, versuchen die "Hyänen" sie sich unter die Kralle zu reißen. Was sie nicht selbst vertilgen, verkaufen sie – häufig mit Kot und Sägespänen versetzt – zu Blutmondpreisen an schwächere Serengetianwohner wie Schakale oder die Fantastischen Vier. "Schon deshalb interessiert die Hyäne Hygiene nicht die Bohne", konstatiert Aas. "Der Gesundheitsaspekt wird lediglich für ein positiveres Image vorgeschoben. Diesen kriminellen Clans geht es im Mark um die Mark, den Zaster, verstehen Sie, junger Mann?"
Bei den Hyänen bewertet man die Fronten naturgemäß etwas anders. Gesundheitspolizisten sind hier nicht gern gesehen. "Die trauen sich doch sowieso nicht in unsere Gegend", höhnt "Hyäne"-Hyäne Heino Hund. "Hier ziehen selbst 'Löwen' vor einer Hyäne Liane, verstehst wie ich mein?" Die "Löwen" – das ist die Pharmamafia der Savanne.
Die Geier kreisen indes schon zum nächsten Einsatz. Ein Flughund hat Durchfall und verteilt hochgradig ansteckende Viren im Gras. Während zwei mit spitzen Schnäbeln bewaffnete Geier ihn zum Landen zwingen (den Flughund, nicht den Durchfall), kreist die Oberinspektorin über dem Geschehen. "Flügel runter oder ich scheiße!", schreit Aas. Der geschwächte Flughund willigt ein, sich in bäumliche Quarantäne zu begeben, da löst sich ein Schiss und trifft das Tier im Auge. Es ist sofort tot und muss beseitigt werden, bevor die Öffentlichkeit davon Witterung bekommt. Solche Fälle von Gesundheitspolizeigewalt sind in der Savanne nicht gern gesehen.
Vertuschungsaktionen wie diese gehören deshalb zum Alltag von Anita Aas. Bei der Gesundheitspolizeigewerkschaft GEWALT (Gesundwerkschaft arbeitender Leistungstiere) jedoch bestreitet man eine systematische Gewaltanwendung im Dienst, leugnet auch den allseits ersichtlichen Pelzraub für die prachtvollen Uniformkragen der Beamten und spricht von bedauerlichen Einzelfellen. Doch die Zahl dokumentierter Sterbehilfen durch Geier geht mittlerweile in die Tausende. Und es ist nicht der einzige Kratzer am Bild der sauberen Gesundheitsrechts- und Ordnungshüter, das geierfreundliche Lobbyorganisationen seit Jahrzehnten pflegen. Erst vorletzte Woche flog eine Chatgruppe auf und davon, die Bilder verschiedener Krankheitserreger geteilt hatte, darunter auch die der Schweinepest und der Maul- und Klauenseuche. Konsequenzen: keine. Es sind solche Vorfälle, die das Vertrauen in die Geier untergraben und blutrünstige Problembestien wie Löwen und Hyänen wie Garanten der Gerechtigkeit wirken lassen.
Oberinspektorin Aas hat ihre Vesper derweil beendet und ist mit den Kolleginnen unterwegs zu einem neuen Fall: Eine Leopardin mit Jungtieren hat Missachtung der Corona-Regeln durch eine Horde Paviane gemeldet. Die Affen sitzen zu Dutzenden dicht an dicht im Gras und schnattern aufgebracht durcheinander. Dabei tragen die wenigsten einen medizinischen Mundschutz, geschweige denn eine FFP2-Maske. Man reicht geröstetes Buschfleisch herum, als Grillkohle dienen alte Autoreifen. Ein Anführer der Paviane zeigt sich uneinsichtig und diskutiert mit den Gesundheitspolizeibeamten. Plötzlich springt ein junges Männchen von hinten auf Aas' Kollegin Kathaverina und würgt sie am Hals. Auf einmal geht alles sehr schnell. Oberinspektorin Aas zückt einen Flammenwerfer und fackelt die Umgebung großzügig ab, nur wenige Paviane können dem Feuer entkommen. Es sind Reaktionen wie diese, die das Vertrauen in die Geier untergraben und Wilderer wie Granaten der Gerechtigkeit wirken lassen.
Zu befürchten haben die Geier kaum etwas. Die Rechtsprechung obliegt den Marabus – wie die Geier vorwiegend Aasfresser und entsprechend an reichlich Leichen interessiert. Prozesse enden in aller Regel mit Freispruch für die Angeklagten und Verurteilung der Geschädigten, ein leckeres Gericht fürs Gericht zu werden. Trotz all dieser Probleme ist ein Leben ohne Gesundheitspolizei in der Savanne auf absehbare Zeit nicht vorstellbar. Allein schon, weil sonst unzählige Dokumentarfilme umgeschrieben werden müssten.
* Als Mitglieder sind ausschließlich Hyänen zugelassen, daher der Name
Valentin Witt