Pro und Kontra Depression
Pro
Müssen wir als Gesellschaft über den Umgang mit depressiven Menschen neu nachdenken? (Frank Plasberg et al.) Ich sage: nein, totaler Blödsinn. Depression ist längst kein Stigma mehr, es ist heute Freifahrtschein für ein Leben ohne Sorgen. Sie lesen richtig! Wer an Depressionen "leidet", hat’s gut und macht alles richtig. Paradox? Ich huste Ihnen was: Der Depressive hat permanent die Aufmerksamkeit seines Umfelds. Alle versuchen, es ihm recht zu machen, pudern ihm, verzeihen Sie bitte!, den Arsch. Sie haben Depressionen? Bitte fahren Sie in den Urlaub, auf Kur. Unterbrechen Sie nur Ihre Berufsausbildung so lange sie wollen, kommen Sie einfach zurück, wenn es Ihnen besser geht. Kein Problem, wir bezahlen Sie weiter. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Lufthansa. Der Vorteil des Depressiven: Er will sich hundsmiserabel fühlen – und schafft das auch. Erfüllung als Dauerzustand. Der ach so "Gesunde" will glücklich sein, hat aber ständig noch irgendwelche ach so schlimmen Sorgen: Eheprobleme und Kinder, die Zigarette rauchen. Solche Kinkerlitzchen jucken den Depressiven überhaupt nicht mehr; er darf sich, von der Gesellschaft subventioniert, nur um sich selbst kümmern. Und der frenetische Applaus bei "Stern TV" gibt ihm Recht. Fazit: Glück ist ein Irrweg, Depression der anzustrebende Idealzustand in unserem kranken Land – der Depressive ist der Ausgeglichene und Gesunde.
Moritz Hürtgen, TITANIC-Redakteur, Hobbypilot
Kontra
Um eines vorwegzunehmen: Ich mache niemandem aus seiner Befindlichkeit einen Vorwurf. Es ist noch nicht lange her, da geriet ich selbst in eine schwere Lebenskrise. Morgens erwachte ich voller Tatkraft, Frohsinn bestimmte meinen Tag, ich fühlte mich prächtig. Trübsal und Tränen waren wie weggeblasen, keine Spur mehr von den schwarzen Schatten, die mir sonst so verläßlich auf der Seele lagen. Was war geschehen? In einer spontanen Jammerlaune war ich bei einem Nervenarzt vorstellig geworden. Die Diagnose: Depression. Der Doktor verordnete mir ein Vitaminpräparat namens Prozac, willig schluckte ich die Pillen. Daß ich damit nicht nur einen weiteren Klotz am Bein hatte, sondern zugleich meine düsteren Gedanken verfliegen sollten, verdrängte ich. Erst als ich plötzlich keinen Grund mehr zum Klagen hatte, wurden mir die Konsequenzen der Behandlung bewußt – zu spät. Ich konnte mich wegen meiner ausnehmend guten Laune nicht mehr darüber beschweren. Seit mir meine über die Jahre liebgewonnenen Sorgen per Tablette genommen wurden, sehe ich die krankhafte Melancholie in einem anderen, zweifelhaften Licht. Während die einen sich genüßlich in ihrem Leid suhlen, müssen die anderen mit den schönen Seiten des Lebens zurechtkommen. Klar, Depressionen machen Spaß – aber nur denen, die sie haben. Dem Rest der Bevölkerung gehen die Gemütskrüppel gehörig auf die intakten Nerven. Weil sie keinen Sinn in ihrem Leben sehen, versuchen die hirnsauren Heulbojen, auch allen anderen das Dasein zu vergrätzen, machen sich gar einen Schabernack daraus, deren Zukunftspläne krachend an die Felswand zu fliegen. Wenn ich eines gelernt habe, dann daß wir auf diese Weise keine Probleme lösen. Was zählt, sind positive Erlebnisse und frohe Gedanken. Jeder Mensch ist ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft, unabhängig davon, was er kann und was er leistet. Das sagt auch meine Therapeutin.
Valentin Witt, z.Zt. arbeitslos
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