Nazis, das sind wir doch alle – eine Kolumne von Diana Kinnert
Es ist ein Dienstagabend in der Reichshauptstadt, liebe Teens von Zeit Hitlerjugend, als ich, seit zehn Jahren bescheuert, dazu ansetze, Euch diese Zeilen zusammenzuschmieren. Denn die Zeiten sind verwirrend geworden: Heterosexuelle, die schwul feiern gehen, weil sie halt nun mal schlicht weniger rülpsen, diese lieben Schwulis; linke Antisemiten, die dazu auch noch wagen, transsexuell zu sein (häh, fragt Ihr mit Recht, hatten wir die nicht schon längst aus dem Unterricht gemobbt?); CDU-Mitgliederinnen, die statt Stahlhelm schwarze Kappe tragen, weil das cool ist und so. Ganz eindeutig: Die politischen Fronten haben sich aufgelöst. Das bestätigt auch mein linksradikaler Freund aus Berlin-Kreuzberg Siegfried Rommel, der mir dankenswerterweise das Experiment mit der Apfelbatterie damals erklärt hat und nun meine Tastatur beleuchtet, weil, es ist ja Dienstagabend und ich sehe schwarz, also ja sowieso, wegen CDU und so, aber jetzt ist es ja auch noch dunkel, politisch und lichtmäßig, also wegen dieser ganzen Links-, Grün- und Querfrontfaschisten, wow, voll sprachgewandt, kraß.
Es ist Dienstagabend in der Hauptstadt der mordstoughen Stylegangster – und Ihr alle so: Geil, wo kauft diese Dimmert denn nur ihre Kappe*? Doch keine Sorge, dazu kommen wir noch. Schwarz ist die Kappe, wie die CDU und ja auch wie meine Haare. „Darum habe ich mich schon vor Jahren in Deine Wohnung erbrochen“, sagt mir Siegfried Rommel, und auch jetzt hängt es ihm sichtlich schief. Ich schätze seine Ehrlichkeit. Schließlich hängt der blöde Türke Deniz Yücel nun schon etwas länger über meinem Kopf, in einer meiner batteriebetriebenen Denkblasen, die es gratis zur Kappe dazu gab, und nervt auch mich ganz gewaltig – dieser blöde Yücel! Links UND Springer UND Türke. Prost! „Streuen wir noch ein paar Mal die Worte links und antikapitalistisch in den Text, dann wirkt es authentischer“, schlägt Rommel vor und beißt in ein völkisches Sojakeksstück. „Verdammte Linksfaschisten!“ Er hat Recht, nur so schaffe ich es wieder einmal in die „Bravo“ oder „bento“ oder „Wendy“.
Die Linksaktivistin echauffiert sich. Sie mag Putin, haßt TTIP und ist gegen die Privatisierung von Müllabfuhr, abgeranzten Hartz-IV-Empfänger-Wohnungen und Knaxx-Kinderklub-Sparbüchern. Was man früher von Rechten hörte, kam hier ganz selbstverständlich von links. Ich muß daran denken, wie ich einmal auf Facebook Bilder des herausgeschnittenen Prostatatumors meines Hundes Wilhelm teilte. Einen Like bekam ich dafür: von einem halbseitig gelähmten, schwarzen, ordoliberalen Busfahrer, der jeden kritisiert, der es wagt, nach Hannover zu fahren. Verrückt, oder nicht?
Es ist ein Dienstagabend im Gefängnis meiner Gedanken, und ich fühle mich frei, denn ich habe gerade eine Instastory von Julia Engelmann gelesen, als mein linksradikaler Freund Siegfried Rommel und ich getrennte Wege wanken, wuppen wollen fühlen tollen weilen teilen wanken tanken – alter, bin ich krass! Wankend bleibt das Weltbild: Denn mein Toaster ist verschwunden. Wo geht denn jetzt der ganze Strom hin von der Apfelbatterie? Apfelbatterie: eine wunderbare Metapher auf das Leben und seine Vielfarbigkeit, findet Ihr nicht? Gefährlich, denke ich noch beim Zubettgehen, beruhige mich aber sogleich: Nur gut, daß morgen der Gasag-Mann kommt. Oder ist der etwa auch schwul?
*bei Moleskine, Du Opfer, höhöhö!
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