Müters Söhne #22
Restaurantbesuche
"Ich wollte die Tischdecke anzünden"
Thorben ist 5 Jahre alt. Seine Mutter Viola Müter schreibt hier im wöchentlichen Wechsel über ihn und ihre anderen zwei Söhne im Alter von 12 und 17 Jahren. Die Mutter nennt sie liebevoll ihre "Mütersöhnchen".
Wenn wir als Familie essen gehen, ziehen wir viele Blicke auf uns. Mal beschwert sich Gideon lautstark über die Tischmanieren der umliegenden Gäste, mal schmiert Henry verfassungsfeindliche Symbole in seine Bratensauce. Der eigentliche Grund ist aber immer Thorben. So war es neulich mal wieder seine Schuld, dass uns bei Vapiano ein Hausverbot erteilt wurde. Auch ich finde, dass seine Nudeln zu al dente waren. Während ich meinen Frust darüber aber eher in einer 1-Sterne-Bewertung ausgelassen hätte, hielt es Thorben für angemessener, den Koch mit einer Handvoll Spaghetti auszupeitschen.
Einsichtig zeigte sich Thorben danach nicht. "Ich wollte die Tischdecke anzünden, aber es gab keine." Er konnte sich noch nie in Restaurants benehmen. Man könnte sagen, so ist das eben mit Freigeistern. Bei Thorben liegt es aber daran, dass er ein Picky Eater ist. Es macht ihn wütend, dass er in Restaurants nichts findet, was er mag. Ich kann das nachvollziehen. Auch ich habe als Kind sehr wählerisch gegessen. Über Jahre hinweg nur rote Lebensmittel. Thorbens häufigste Forderung lautet: "Airfryer!" Zu Hause komme ich ihr gerne nach, selbst wenn er einen Feldsalat dampfgegart haben möchte. In Restaurants wird Thorben beigebracht, dass seine Wünsche nicht ernst zu nehmen sind.
Bei allem Verständnis habe ich aber in letzter Zeit gemerkt, dass auch ich an die Grenzen meiner Toleranz stoße. Ich verstehe, dass es Thorben unzufrieden macht, wenn die Karottenstückchen in der Gemüselasagne zu hart und dann auch noch unterschiedlich groß geschnitten sind. Früher landete das Gericht im Gesicht seines Bruders Gideon. Damit konnte ich gut umgehen. Weil es die letzte Eskalationsstufe war und ich sowie das gesamte Personal des Restaurants Gemüselasagne in Gideons Haaren sehr unterhaltsam fanden.
Mittlerweile bleiben Gideons Haare sauber. Dafür landet die Gemüselasagne auf der Kleidung der Kellner, der Tischdecke und den Sitzpolstern. Immer häufiger setzt er irgendwas in Brand. Die Folgen finde ich weniger unterhaltsam. Es ist schwierig geworden, im Umkreis Restaurants zu finden, in denen wir noch unbeschriebene Gäste sind. "Wann sind wir endlich da?" quengeln meine Söhne nun regelmäßig im Auto. Teilweise dauern die Autofahrten mehrere Stunden. Henry nervt dabei so sehr, dass ich ihn nur noch im Kofferraum mitnehmen kann.
Trotzdem möchte ich Thorben nicht das Gefühl geben, dass sein Ärger unberechtigt ist. Natürlich soll er immer und überall einfordern können, was er möchte. Ist er nicht sogar einer der wenigen Menschen, die in dieser verlogenen Welt noch ehrlich sind? "Ich bin feige und er ist ehrlich", sage ich mir jetzt immer, wenn Thorben seinen Teller ins Aquarium wirft. Immerhin hinterlasse ich eher eine schlechte Google-Rezension und höchstens 20 Cent Trinkgeld, anstatt offen zu zeigen, was ich über den zerkochten Brokkoli denke. Ich versuche, in Zukunft mehr zu sein wie Thorben. Das Feuerzeug darf er behalten.
Die Kolumne von Viola Müter erscheint jeden Donnerstag nur bei TITANIC.
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