Meditation und Markt mit Dax Werner
Die Dax-Werner-Berlin-Tagebücher
Kennt Ihr das auch? Es ist mal wieder einer dieser leicht angegeilten Septembersonntagmorgen in Berlin, die Sonne schießt ihr komplettes elektromagnetisches Spektrum auf die Erdoberfläche, und seit mir der Kellner, der als Pullover die abgeschnittene obere Hälfte eines Achtziger-Jahre-Skianzugs trägt und dessen Jeans kurz unter der Kniescheibe endet, die selbstgemachte Pfirsichlimonade in einem blauen 6-Liter-Putzeimer ("So 2018!") serviert hat, warte ich erst zweieinhalb Stunden auf mein Frühstück ("So Berlin!"). Auf dem Bürgersteig vor dem Café steht eine Frau, die aussieht wie Nana Mouskouri, mit einem "Mehr KITA-Plätze jetzt!"-Transparent; ein offenbar betrunkener Mann fragt mich, ob er mir einige selbstausgedachte Gedichte vorlesen dürfe. Im Hintergrund läuft – und ich weiß leider nicht mehr, auf welchem Ironie-Layer – die CD "Brille" von Heinz-Rudolf Kunze.
Doch just als ich mich durch die Timeline des Social-Media-Accounts der Berliner Polizei LOLe, zieht ein Schwarm seltsamer Vögel am Himmel fast warnend seine magischen Kreise. Ich mache intuitiv nochmal einen deep dive in den ersten Absatz dieses Textes und recognize plötzlich, wie sich dieser üble, nach schwerem ekligen Männer-Fragrance stinkende BERLINHASS Bahn zu schlagen droht. Ich empfange ein wichtiges insight: nämlich, dass ich nur noch eine Berlin-Pointe – oder überhaupt mal irgendeine Pointe – davon entfernt bin, mir ein Rennrad zuzulegen und komplett würdelose Fotos in sehr spack sitzenden Fahrradtrikots auf Twitter zu posten – oder mich in die Gebüsche des Görlitzer Parks zu rollen, um Drogendealer zu fotografieren.
Liebe Freunde, mir wird mit einem Mal schlecht. Ich will das nämlich nicht: Lieber zahle ich 35 Euro für 2 Miniaturscheiben selbstgemachtes Sauerteigbrot und eine Messerspitze Camembert oder erkenne in dem stark von Altkleidercontainern geprägten letzten Neuköllner fashion turn ein grandioses modekritisches Meta-Statement, lieber herzel ich BVG-Content auf Facebook und schreibe unironische "Dit is Berlin <3"-Tweets ins Twitter rein und, jawohl, lieber höre ich mir einen Sarah-Kuttner-Podcarst an, als mich auch nur eine Sekunde an berlinhassende Babyboomer-Kolumnisten anzubiedern.
Liebe Grüße aus der wunderwunderwunderschönen Hauptstadt,
Euer Dax Werner
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