Liste eines Aufschreis
- Dies ist ein sogenannter Fließtext, weil er ein ebensolcher sein will.
- Er möchte ein, nein: Hunderte Zeichen setzen, und zwar zusammenhängende, gegen die degenerierte Listenwut der heutigen Zeit.
- Immer muß alles in mundgerechten Häppchen serviert werden, ideal konsumierbar zur Mittagspause. Aber warum denn nur? Wir haben doch alle Zeit der Welt, wir müssen sie uns nur nehmen.
- Mal ehrlich: Was gibt es Erquicklicheres, als eine gigantische Bleiwüste zu durchwandern? Das war eine rhetorische Frage, die Antwort lautet: nichts. Und an das wunderschöne Erlebnis erinnert man sich noch in hundert Jahren.
- Eine schnöde Liste hingegen: in dreißig Sekunden gelesen, in vierunddreißig Sekunden vergessen.
- Zugegeben, beim Einkaufen etwa braucht man durchaus eine Liste, sofern die Zahl der einzukaufenden Produkte höher ist als, sagen wir, sieben, je nach kognitiver Verfassung freilich.
- Der Gegner des Fließtextes arbeitet mit schmutzigen Tricks: Wegen der – angeblich – besseren Lesbarkeit werden Prosatexte in Gedichtform veröffentlicht ("Was gesagt werden muß"), werden einwandfreie Fließtexte von leitenden Redakteuren brutal
- zerstückelt und schamlos und ohne Rückfrage beim Autor im ach so trendigen Listenformat veröffentlicht. "Der Konsument will das so", ist die arrogante Replik, wenn man sich
- beschwert. Auch sie kommt, aus reiner Bosheit vermutlich, als Liste.
- Aber irgendwann reicht's auch mal, und man muß sich wehren. Dieser Fließtext soll ein Anfang
- sein.
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