Inhalt der Printausgabe

Heinz Strunk
Intim­scha­tulle 54

»Düfte sind die Gefühle der Blumen«

1.8. Gegen Morgensteifigkeit Turnübungen. Zum Frühstück Süßes. Cranberry-Walnuss-Plätzchen, Schokocreme, Kakao. Vormittags am Roman, mittags ins Café Diverso, nachmittags mit Bertram Leyendieker auf eine »schnelle Wurst« zu Willis Schwenk Grill. Willi hat einen neuen Schnack parat: »Pass auf, dass du nicht pleitegehst beim Versuch, reich auszusehen.« Abends noch in Elias Canettis Aufzeichungen 1992-1993 gelesen: »Man muss in der Zukunft so lächerlich erscheinen, wie man ist.«

2.8. Liste von Dingen, mit denen ich im Moment zufrieden sein könnte:

  • das neue dunkelgrüne Küchenmesser
  • dass ich ein »UHU« bin (Gewicht unter 100 Kilo)
  • dass ich mein Abi schon in der Tasche habe
  • dass ich nicht Verkäuferin geworden bin
  • dass ich in »Fritz Veranstaltungstipps« (Hessen) als Cross-over-Orakel bezeichnet wurde

3.8. 1) SCHATULLE FÜR KINDER. Ältere Tiere im Herbst ihres Lebens: Eine Ente geht in Rente. Ein Elefant im Ruhestand. Ein Skorpion in Pension. 2) Noch etwas diffuse Idee: Umgekehrte Beweislast im Schnellrestaurant. Dem Gast wird ein Eierwecker auf den Tisch gestellt, der nach vier Minuten klingelt, bis dahin muss er aufgegessen haben, sonst wird abgeräumt. Tja. Unausgereift, aber »da geht was«.

4.8. Zu neuen Qualen ruft ein neuer Tag! Bereits um 8.45 einchecken am Schreibtisch. Dienst nach Vorschrift quälend, unlustig und zerstreut. Abbruch. Nachmittags beim »Dösen« kommt mir folgende Frage in den Sinn: Das Gesicht voller Semikolons. Wie sähe das wohl aus? Abends Martini-Cocktails und leichte TV-Kost: »Arme Ritter mit Süßstoff«. Helmut Zierl spielt einen Restaurantbesitzer, dessen neue Spülhilfe sich als seine Tochter entpuppt. Mimus vitae.

5.8. Klassentreffen »Abi 83« im Festsaal des Gasthauses Voss in Harburg-Langenbek. Mittlerweile sind wir nur noch sieben Ehemalige, Übriggebliebene, Versprengte, Sentimentalis (abgeleitet von sentimental, selbst ausgedacht, geil). Das Treffen ist aus gesundheitlichen Gründen bereits um 14.30 anberaumt. Es gibt Pflaumenschnitten und Käsekuchen. Statt Kaffee/Tee ist mir nach der Kombi Bier/Linie-Aquavit. Der herzkranke Andy Vosskuhle wird um 17.00 von seiner Frau abgeholt, Dieter Zurwehme macht als letzter Mohikaner eine Stunde später die Biege. Da ich sauftechnisch den Überblick verloren habe, mache ich mit dem Dräger Alcotest 3000 einen Atemalkoholtest. Ergebnis: 2,36 Promille, also absolut fahruntüchtig. Ich bin gezwungen, im Gasthaus Voss zu übernachten. Esse im verwaisten Gastraum Pellkartoffeln mit Speck und Zwiebeln, dann mit einer Flasche Dornfelder halbtrocken aufs karge, schmuddelige Fremdenzimmer (Bett misst lediglich 1,70 m, Schlaf nur mit angezogenen Beinen möglich). Im Mini-Fernseher zunächst die Siebziger-Jahre-Italo-Komödie »Ciri di Nervi«, dann »Bevor der Sack endgültig zu ist – RTL-2 erfüllt Wünsche Todkranker«. Déprime.

6.8. Kater bis in die Nachmittagsstunden, danach überraschend gut gearbeitet, abends alleine im Restaurant Diverso Rinderzunge mit Madeirasauce, Champagner und Schlagrahm-Kaffee.

7.8. Vormittags gearbeitet, aber zweifelhaft, Apfel Mülleimer. Nachmittags ins Café 2 Talk. Schlagzeilen in den ausliegenden Zeitungen: SUPER–BAGGER FRISST ATOMKRAFTWERK // CHINESEN KAUFEN UNSER GRILLFLEISCH WEG // BAUER (54) BRINGT FRAU (51) MIT GÜLLE UM.

8.8. Alkoholikerfragebogen Teil 3

  • Schämen Sie sich, wenn Sie Alkohol verdünnen?
  • Haben Sie Verständnis für Menschen, die alkoholfreien Sekt trinken?
  • Nehmen Sie Alkohol auch mit ins Freie
  • Tauschen Sie andere Flüssigkeiten gegen Alkohol aus?
  • Freuen Sie sich im Urlaub immer schon auf den Alkohol?

9.8. Wenn Sie zufällig Lamm heißen und ein Heim für Jugendliche aus »prekären Verhältnissen« betreiben: Schwererziehbaren-Heim Lamm – Zöglinge so brav wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank.

10.8. Wieder mal Burning-feet-Syndrom. Wegen unerträglich heißer Füße als letztes Mittel nasse Socken angezogen.

11.8. Nachmittags wieder ins Café 2 Talk. In »Motivation heute«: Wenn du es dir nicht zweimal in bar kaufen kannst, kannst du es dir auch nicht leisten // Plane deinen Erfolg, oder du planst dein Scheitern // Das Geld muss aus dem Fenster raus, damit es durch die Tür wieder hereinkommt.

12.8. Tagsüber nichts. Gute Stimmung trotz Rheuma. Abends Sauerkrauteintopf, Bierbrot. Lecture Briefwechsel Paul Auster/ J.M. Coetzee (»Von hier nach da«). Nachtgedanke: Erstens brauche ich kein Geld, und zweitens habe ich nichts zu sagen.

13.8. Vormittags Turnübungen, Massage, Schlammbad. Streicheleinheiten für Körper & Seele, tut richtig gut. Danach Arbeit (am Roman) recht flüssig, netto vier und eine Viertelstunde. Abends zum Dinner mit Meyer-Schulau in Manuels Taverne (Karpfen in schwarzer Sauce).

14.8. Durchfall.

15.8. Brainstorming: Die Eselsbrücke ist die Brücke des kleinen Mannes // Popcorn auf Fehmarn // Blitz und Dollar.

16.8. Heute nichts.

17.8. Google-Suchverlauf August: astra brauerei hamburg – totes meer – zwangsversteigerungen hamburg – wutzrock 2019 – gerd mausbach – gert mausbach tot – kitchenaid – kitchenaid black Friday – wolfram kons – the nottwist – maike von bremen – allgemeinarzt stresemannstraße hamburg – chonquin größte stadt der welt – chongqing – stage club – regent berlin – gebratene tauben in den mund fleigen – vitello tomato – entfernung laatzen hannover.

18.8. Da mir der Coffee-Song (siehe Juli-Schatulle) so gut gelungen ist, versuche ich mich an einem Wine-Song.

Vers 1 Heute ist Wochenstart, alles gut, läuft. Okay, du bist ein klein wenig zittrig vom vielen Kaffee, aber um Punkt 18.00 läuft der erste, erlösende Schluck Weißwein durch deine Kehle, vielleicht ein ...

Refrain 1 Sauvignon Blanc, Rivaner, Muskateller, Grauburgunder, Chardonnay, Riesling, grüner Veltliner oder schöner Schoppen Müller-Thurgau

Vers 2 Das war gestern ’ne ganz schöne Sause, irgendwann hast du aufgehört, die Flaschen zu zählen, aber, hey, man soll die Feste feiern wie sie fallen, und heute abend geht es weiter, diesmal mit leckerem Roten, vielleicht ...

Refrain 2 Montepulciano, Pinot Noir, Beaujolais, Tempranillo, Chianti, Dornfelder, Zinfandel oder schönem schweren Spätburgunder

Bridge/Mittelteil Die Uhr tickt, der Countdown läuft, du zählst die Minuten bis zum erlösenden Ploppen, was darf es denn heute sein? Edelwein, Tafelwein, Landwein, oder zur Abwechslung mal die süße Rutsche, Portwein, Madeira, Trockenbeerenauslese, eben echter Schlabberwein … Feeling happy, feeling fine, und die ganze Schnauze voller Wein usw.

Der Titel könnte auch Rebengold heißen.

19.8. BRAINSTORMING: Athleten und Oblaten // Schnabeltassenlampe // Düfte sind die Gefühle der Blumen.

20.8. Mittags Kartoffel-Pudding mit Schinken, Abends Glücksspiel. Zum ersten Mal wurde mir im Casino Esplanade UNAUFGEFORDERT ein doppelter Cointreau und Bier (mein Stammgedeck) hingestellt. Bezahlen musste ich auch nicht. Selten habe ich mich willkommener gefühlt. Ein Gast, den man ehrt und schätzt, bevor er abgemolken wird. Schön, dass es so was noch gibt. Die 2200 Euro Verlust habe ich gerne in Kauf genommen.

21.8. Dann doch sehr geärgert über den hohen Verlust. Doppelter Cointreau und Bier kosten im Esplanade 12 Euro. Ich hingegen habe 2200 bezahlt. So muss man es sehen. Getriezt, gepiekt & abgemolken.

22.8. 8.15 hoch. Scrambled eggs mit baked tomatoes und Nordseekrabben. Sehr heiße Füße schon morgens, deshalb lauwarme Beinbrausung. Gesichtsatrophie tagsüber, abends nichts.

23.8. Am Schreibtisch »eingelocht«. Arbeit in peinlichem Schneckentempo, wie ein Viertklässler, ein einziges Gestottere, es gelingt höchstens mal ein Absatz. Erschreckend geringe, uninspirierte Textproduktion. Nachmittags zur Hühnerjagd.

24.8. Alltagsfrage: Warum kriegt man eigentlich Falten, wenn man Getränke mit dem Strohhalm trinkt?

25.8. Wieder mal die »Pierre M. Krause Show« geschaut. Moderator Pierre M. Krause entert mit seltsamen Sprüngen die Bühne, dabei hält er sich zwei Zwiebeln vor die Augen.

Der dazugehörige Gag: »Das ist der Zwiebel-Look.« Weiter geht’s. Im Eingangs-Stand-up verbrät er jede Menge Premium-Witze: »Veganer-Kinder sind kleiner, man spricht auch von sogenannten Fruchtzwergen.« Und so weiter. In einem Interview sagt er, sein später Sendeplatz sei kontraproduktiv, er könne ein viel breiteres Publikum erreichen. Der gelernte Bankkaufmann ist ein Tausendsassa und als solcher auch Buchautor. Sein aktueller Streich: »Hier kann man gut sitzen – Geschichten aus dem Schwarzwald«. Laut Verlagswerbung »wunderbare Geschichten, direkt aus dem Leben gegriffen«. Leserstimmen:

  • »So schnell hatte ich noch kein Buch gelesen. Wenn man anfängt, kann man gar nicht mehr aufhören.«
  • »Das Buch wurde mit sehr viel Humor geschrieben. Und macht einfach nur Spaß.«
  • »Ich bin so ein kleiner Fan von Pierre M Krause, weshalb ich mir das Buch einfach mal kaufen musste.«
  • »Mit seinem Wortwitz und den lustigen Geschichten trifft Pierre M Krause genau meinen Humor.«

26.8. Prothese gebrochen.

27.8. In Manuels Taverne am Nebentisch einen Witz aufgeschnappt: »Was ist der Unterschied zwischen Jesus und einem Holländer? Jesus hat aus Wasser Wein gemacht, der Holländer aus Wasser Tomaten.« Leise glucksend gelacht.

28.8. Im Bassin gebadet. Zum Dinner Roastbeef garniert, versch. Törtchen mit süßer Füllung. Abends chess against (the) computer.

29.8. In den Tagebüchern 1974 –1978 von Martin Walser: »Ich leide so wenig, dass mir öfter etwas wehtun muss. Es müssten noch ganz andere Schmerzen kommen. Ich leide viel zu wenig. Das ist eine Überzeugung, die ich fanatisch aufsage. Ich bin ein großer Heuchler. In jeder Hinsicht. Es gibt keine Hinsicht, in der ich nicht ein Heuchler wäre.«

30.8. Warum gibt es die Schatulle jetzt bereits seit einer »gefühlten Ewigkeit«? Weil sie immer neu, immer überraschend, immer fresh und immer innovativ ist, eben einfach geil. Damit das auch so bleibt, gibt es ab heute den brandneuen Schatullen-Service Lebensoptimierende Maßnahmen:

  • Reservieren Sie im Restaurant stets auf den Namen Bismarck
  • Begleichen Sie Forderungen sofort ohne Abzug und Skonto
  • Besorgen Sie sich einen Wasserkocher mit Temperaturanzeige
  • Nehmen Sie sich für Telefonate, Nachrichten, E-Mails und Briefe nicht mehr als eine halbe Stunde täglich
  • Ein Bademantel macht das Leben süß

31.8. Anfrage aus Leipzig, ob ich als Dozent einen Wochenend-Workshop creative writing geben möchte. Titel des Seminars: »Schreiben in Scheiben«. Was kommt als nächstes? Lehne entrüstet ab.

Nach Notat im Bett.

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Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg