Artikel

Gnadenhof war gestern

Gequälte Gurken, schreiende Schweine und hitlergrüßende Hühner: Dieses Bild bietet sich auf dem Anti-Bio-Bauernhof des Erfolgslandwirts Herbert Kiefer, der sich mit seinem Betrieb stolz gegen die "grünversiffte Wellness-Landwirtschaft" stemmen möchte. Zum ersten Mal gewährt er Einblicke in sein revolutionäres Konzept und verrät sein Geschäftsgeheimnis – gnadenlose Gewalt.  

Es ist ein stinknormaler Dienstagmorgen am Bahnhof Siegburg-Bonn. Anzugträger mit Umweltbewusstsein steigen in die Bahn in Richtung Arbeitsstelle, Anwohner sammeln die Kacke ihrer Tierheimhunde in kleinen Plastiktüten und werfen sie neben die Mülleimer, und ein TITANIC-Rechercheteam zieht Google Maps zu Rate, denn die preisgekrönten Investigativjournalistinnen (Henri Nannen, Toggo-Publikumspreis) haben sich verfahren. Irgendwo hier, im Herzen der Bonner Vorstadt soll sich ein Bauernhof befinden, wie ihn die deutsche Öffentlichkeit noch nie zu Gesicht bekommen hat – so versprachen es zumindest die Informanten Tabea Kiemendorf und Moritz Schrader, die gerne anonym bleiben möchten. Das Konzept, das hinter Herbert Kiefers landwirtschaftlichem Betrieb stehen soll, ist atemberaubend – zumindest für die dort lebenden Tiere. Wenn die Gerüchte stimmen, hat Kiefer sich in den vergangenen Jahren auf eigene Faust einen Bauernhof der besonderen Art aufgebaut: Im Kampf gegen Trends wie Hafermilch, Tierwohllabel und "allgemein nicht so viel Fleischessen und wenn, dann nur Bio", wird auf dem Qualhof Kiefer noch richtig geschändet. Bisher hat noch kein Journalist und auch kein BILD-Reporter das Gelände betreten – das ändert TITANIC nun.  

Die letzten 500 Meter bis zum Betrieb machen unsere Journalistinnen ohne Handy-Navigation; sie können sich einfach von den Schreien der Schweine leiten lassen. Vorsichtig nähern sie sich der Eingangspforte des Höllen-Hofs, die verdächtig an den Zugang zum Gelände des Metzgergesellen Stefan Raab in Köln-Hahnwald erinnert. Jetzt bloß nichts falsch machen. Was würde Wallraff tun? Richtig, Schnurrbart ankleben, Tor aufstoßen und so tun, als wäre man hier richtig. In dem Moment poltert ein grobschlächtiger Latzhosenträger die Auffahrt zwischen zwei Scheunen herunter. "Da sind Sie ja", brüllt er über die Tierlaut-Kakophonie hinweg. "Kiefer der Name. Ich hab schon auf Insta gesehen, dass Sie unterwegs sind zu mir. Hammer! Kommen Sie, ich zeig Ihnen alles. Geile Schnurrbärte übrigens."  

Etwas verdutzt wackeln die Reporterinnen dem Mitt-Fünfziger hinterher und verstauen ihr Spionagewerkzeug (Micky-Maus-Heft 49) in den Taschen ihrer langen beigen Mäntel. Begeistert dahinplappernd führt Herbert Kiefer über den gesamten Hof und erzählt: "Mich hat das einfach genervt, diese grünversiffte Bio-Scheiße, da wollte ich mal zeigen, dass es auch ganz anders geht." Alles habe damit begonnen, dass er bemerkt habe, dass ihm das Billo-Fleisch aus der Discounter-Theke besser schmeckte "als diese demeter-Scheiße". Und dann habe er das Konzept einfach weitergedacht. Auf Herbert Kiefers Qualhof Kiefer gibt es die Tiere nicht nur zum Anfassen, sondern auch zum Zuschlagen. "Man muss den Schmerz im Tier schmecken, das gibt dem Fleisch eine ganz andere Note", erklärt er, während er fröhlich-pfeifend mit einem Baseball-Schläger auf ein kleines Lamm eindrischt.  

Er bediene sich allen Instrumenten, die das moderne Folter-Repertoire zu bieten habe: Gaslighting, Bodyshaming, manchmal spiele er den Tieren sogar Songs von Mathias Schweighöfer vor – über Handylautsprecher. "Aber das ist eigentlich selbst mir zu krass." Inzwischen sei er ein echter Tierwohl-Tyrann, der an allen Ecken und Enden Leid in den Alltag seiner Hofbewohner integriert. "Wussten Sie, dass Schafe weinen können?" fragt er, während er behände seinen bereits humpelnden Hofhund aus dem Weg kickt und ihn segelnd in Richtung Misthaufen befördert. Bei den Milchkühen sei seine "Qual der Wahl" indes, dass er ihnen beim Zwangs-Besamen Bilder ihrer eigenen Väter vor die Nase halte. "Das ist perfide, das geht tief, da bin ich wirklich ein bisschen stolz auf mich", strahlt er. Inzwischen steht er in der zugegeben sehr hygge eingerichteten Hofküche, Beil in der Hand und tote Ferkel kleinhackend, die er unter das Futter für die Säue mischt. Es seien eben die kleinen Dinge.  

Bei den Hühnern sei er irgendwann mal falsch abgebogen, das gibt Kiefer selbst zu, denn die seien inzwischen stramme Nationalsozialisten. "Ich weiß auch nicht genau, was da passiert ist. Ich hab ihnen beim Eierlegen nur manchmal Musik von Andreas Gabalier vorgespielt, und dann gingen die Hitlergrüße los". Immer noch sichtlich verdutzt kratzt sich der Hobby-DJ am Kopf. Das sei hier eben alles ein Prozess, er wachse ja auch selbst an seinen Aufgaben. "Aber keine Sorge, die Hühner haben keinen Internetzugang. Sie können also keinen weiteren Schaden anrichten." Alle anderen Tiere seien politisch aber auf Linie, versichert Kiefer und sprüht "One Million"-Parfüm in den Ziegenstall.    

Es mag albern klingen, aber es gibt Studien, die naheliegen, dass auch Pflanzen fühlen können. Herbert Kiefer, nach eigenen Angaben ein Mann der Wissenschaft, geht zumindest auf Nummer sicher und verpasst auch seinen Gurken jeden Tag einen ordentlichen Klaps. "Aber nicht so, dass es ihnen gefallen könnte", betont der Brutalo-Bauer. Auch seine Zucht-Tomaten züchtigt er mit Leidenschaft, die Leiden schafft. So oft habe er sie schon verdroschen, sie seien inzwischen ganz rot, scherzt der mehrfache Familienvater, der zu keinem seiner Kinder Kontakt hat. Das alles sei Teil seines ganzheitlichen Ansatzes, für den er mit seinem Namen stehe.  

Inzwischen ist es nach 17 Uhr, um Punkt 18 Uhr macht Kiefer Feierabend, denn eine gesunde Work-Life-Balance ist ihm wichtig. Aber man solle sich bloß keine Sorgen machen, sagt er, für die Tiere sei "gesorgt". Mit diesen Worten drückt er auf die Play-Taste einer verstaubten Stereo-Anlage, verschmitzt grinsend – dieser Mann weiß, was er tut. Und schon schallt seine Stimme aus Lautsprechern, die auf dem gesamten Hof verteilt hängen. "Richard David Precht: Freiheit für alle", hallt es vom Band. Mit leuchtenden Augen blickt er in die Runde: "Alle 402 Seiten habe ich eingelesen, das war ne Heidenarbeit, aber es hat sich gelohnt."

Mit diesen Worten begleitet er das Rechercheteam von seinem Hof, die sich – bepackt mit frischen Erzeugnissen vom Qualhof Kiefer – zurück in Richtung Bahnhof aufmachen und in eine der selbstgemachten Sadisten-Salamis reinbeißen. Sie schmeckt hervorragend.  

Antonia Stille 

 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg