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ExxonMenschen in der FDP

Das Internet strotzt vor Verschwörungstheorien. Verwirrte Cybertrolle behaupten etwa, die Erde sei flach. Oder unter der Stuttgarter Hauptbahnhofsruine hausten von syrischen Flüchtlingen im Kampf geschulte Echsenmenschen. Oder auch – völlig bekloppt –  es handle sich bei Olaf Scholz gar nicht um einen KI-gesteuerten Chatbot, sondern um eine reale Person. Am heißesten diskutiert wird unter den Verschwörungsfans derzeit aber diese Überlegung: Die FDP sei von sogenannten ExxonMenschen unterwandert. Merkwürdige Wesen – halb Mensch, halb Erdöl – die von Deutschland aus die ganze Welt in ihren aalglatten Bann ziehen und für Klimawandelleugnung begeistern wollen. TITANIC nimmt die sonderbare Theorie unter die Wahrheitslupe.

Wer ganz nach unten in die Archive steigt und nach dem Ursprung der ExxonMenschen sucht, findet einen Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1981. In diesem Text über Exxon, das "Parade-Unternehmen der kapitalistischen Zeit", findet der Begriff zum ersten Mal Erwähnung: "Der Exxon-Mensch ist eine konzerneigene Züchtung, der die geschriebenen, vor allem die ungeschriebenen Regeln des Trusts zu verinnerlichen hat, bevor er in New York, London, Hamburg oder anderswo in die oberen Etagen der Exxon-Verwaltung einziehen darf. Er ist, alles in allem, ein bewußtseinsgestalteter Mensch."

Ein bewusstseinsgestalteter Mensch? Klingt nach Gehirnwäsche. In der Tat heißt es dort weiter, der ExxonMensch sei "durch eine jahrelange Beurteilungs- und Gehirnwäsche gegangen, die ihresgleichen sucht und die für sensible Gemüter oder ungeduldige Führer-Typen mit Magengeschwüren enden müßte (was die Company nicht schätzt, denn sie braucht robuste, 'belastungsfähige' Gestalten)". Die Company, i.e. der Ölkonzern Exxon, kümmere sich "penibel, wenn auch nicht gerade rührend um die Züchtung ihrer Spezialrasse. Denn wenn der Exxon-Mensch erst entstanden ist, braucht die Company nicht mehr viel zu tun, ihn auch richtig zu lenken. Die Lenkung seines Tuns ist programmiert, wie bei einem Autopiloten der Luftfahrt: Exxon-Menschen funktionieren fehlerfrei - wenigstens im Sinne der Company." Zwosch! Alles für den Dackel, alles für den Club! Unser Leben für das Öl! Ö-ö-öl!

Das stand immerhin mal im Spiegel, und zwar noch bevor es wirre Internetforen überhaupt gab. Könnte also doch etwas dran sein an der Existenz von ExxonMenschen? Aber warum sollten sie sich in der FDP breitgemacht haben? Nur weil Lindner als Finanzminister einen staatlichen Tankzuschuss einführen wollte, um damit ganz direkt Steuergeld an Ölkonzerne umzuleiten, aber am Ende nur einen Tankrabatt in Form einer Energiesteuersenkung bekommen hat, die dann selbstredend auch den Profiten der Ölis zugutekam?

Schaut man sich in den Forenbeiträgen zur Theorie der ExxonMenschen um, gruselt’s einen schon nach wenigen Sekunden. Im bizarren Forum Kreiszeitung.de findet sich etwa ein Bericht aus dem Jahr 2017, der uns weismachen will: "Der FDP-Bundestagskandidat Christian Dürr hat sich bei 'ExxonMobil' in Sage für das Fracking stark gemacht."

Christian Dürr, der heutige FDP-Fraktionsvorsitzende? Der soll sich schon vor Jahren in Niedersachsen für die vermutlich schlimmste aller schlimmen Öl- und Gasgewinnungstechniken Fracking eingesetzt haben, um das deutsche Grundwasser zu gefährden, dafür aber Exxons Gewinne zu sichern? Haarsträubend!

Noch kurioser geht es in weiteren okkultistisch anmutenden Foren mit skurrilen Namen wie FAZ oder Süddeutsche zu. Dort liest man, FDP-Verkehrsminister Volker Wissing habe das Aus des PKW-Verbrennungsmotors auf EU-Ebene verhindert und dabei auf die Möglichkeiten sogenannter "eFuels" verwiesen, ein enorm ineffizienter Spritersatz, der aufgrund seiner Knappheit und exorbitanter Herstellungskosten niemals im Tank eines Alltags-PKW landen wird. Getrieben worden sei Wissing von einem Lobbyverband namens "eFuel Alliance", dessen größter Sponsor – und jetzt kommt’s – wiederum Exxon sein soll! Unser Verkehrsminister – ein ExxonMensch! Hahaha!

Aber es geht noch abgedrehter, zumindest im durch und durch dubiosen Forum Handelsblatt.com. Dort behaupten die durchgeknallten User, der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler schreibe in einem Gastbeitrag ganz offen den Satz "Ich bekenne hiermit: Ich bin ein Klimaskeptiker" und sei Gründer der Denkfabrik "Prometheus – Das Freiheitsinstitut", welche Umweltschutz als "Bedrohung der Freiheit" ablehne und Partner eines sogenannten "Atlas Networks" sei, das wiederum, na klar, finanziert werde von Exxon. Diesen Internetfreaks ist auch nichts zu blöd.

Gerne führen die Weirdos im Netz auch an, dass Springer-Chef Mathias "Please stärke die FDP" Döpfner, der laut eigenen Aussagen "sehr für den Klimawandel" ist, den wir "nicht bekämpfen, sondern uns darauf einstellen" sollten, das mächtigste Medienimperium Europas erwiesenermaßen dafür einsetzt, die FDP vor Bundestagswahlen in Umfragen nach oben zu schreiben. Aber was, bitte schön, kann die FDP dafür, dass sie Klimawandelbegrüßer anzieht? Oder für den blöden Zufall, dass Christian Lindners Ehefrau Franca Lehfeldt "Chefreporterin Politik" (Eigenangabe) bei Döpfners Welt-Nachrichtensender ist, während Lindners Ex-Frau Dagmar Rosenfeld bei Döpfners Welt am Sonntag als Chefredakteurin fungiert? Oder dafür, dass ebenjener Springer-Verlag gut zur Hälfte der Beteiligungsgesellschaft KKR gehört, eine der größten der Welt, deren Eigentümer Henry R. Kravis nicht nur Trump-Unterstützer, sondern seiner Investmentstrategie zufolge auch großer Fan von Öl und Gas ist? (Trump hatte den langjährigen Exxon-Geschäftsführer Rex Tillerson, der seit 1975 als Stammvater aller ExxonMenschen bei Exxon arbeitete, im Jahr 2017 zum Außenminister der USA gemacht - aber er hat ihn dann ja ein Jahr später auch wieder gefeuert, also was?)

Ihren Höhepunkt erreicht die Abstrusität jedoch in den Foreneinträgen zur FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Diese veranstalte Konferenzen gemeinsam mit dem Europäischen Institut für Klima und Energie (EIKE), einem Verein, der den menschgemachten Klimawandel leugnet und auch die Klimapolitik der AfD prägt. Der EIKE-Vorsitzende Holger Thuß sei zudem Mitgründer von CFACT Europe gewesen, dessen US-amerikanische Mutterorganisation CFACT (Committee for a Constructive Tomorrow) eine Lobbyorganisation organisierter Leugner des menschgemachten Klimawandels sei – bezahlt von Exxon! Prust! Der Referent für Klimapolitik in der FDP-Fraktion, Steffen Hentrich, soll zudem im Namen von CFACT zu Klimakonferenz der UN gegangen sein. Als ob die FDP so jemanden zu ihrem Klimaexperten ernennen würde!

Fazit: Irre, was sich manche Leute im Internet zusammenspinnen! Die FDP unterwandert von ExxonMenschen? So ein Quatsch. Jeder weiß doch, dass die entscheidenden Schnittstellen in der FDP längst besetzt sind mit PorschePeople.

 

Julian Graichelt

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella