Inhalt der Printausgabe

Es brennt noch Licht in der Russendisko

Es brennt noch Licht
in der Russendisko

Über das Russlandverständnis
der Ostdeutschen

von Korrespondent
Paula Irmschler

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns alle, wenn wir die Zeitung oder das Internet aufschlagen und dort etwas darüber steht. Viel wird im ganzen Land diskutiert über Kriegsstrategien, aber auch ob der Krieg überhaupt sinnvoll oder gut ist. Dabei wird mal wieder offenkundig, dass Deutschland auch über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ein gespaltenes Land ist, zum Beispiel weil man immer wieder Statistiken dazu macht. Man ruft einmal im ehemaligen Westdeutschland an und dann noch mal im ehemaligen Ostdeutschland und schreibt sich auf, was die Leute gesagt haben, und ordnet es der Herkunft zu. Oder man macht eine Internetabstimmung, wo als letzte Frage gefragt wird: Sind Sie aus den neuen Bundesländern oder den alten? Wenn die Person weiß, was das bedeutet, also alte = BRD und neue = DDR, dann kann sie es dementsprechend angeben und wir haben Ergebnisse, über die wir diskutieren können.

Ich kenne mich gut aus, habe ich doch auch jahrelang in Ostdeutschland (DDR, neue Bundesländer) gelebt, daher auch dieser Text. Dafür gebe ich vor, mich brennend dafür zu interessieren, wieso »meine Landsleute« ein »anderes Verhältnis« zu Russland, Putin und Krieg haben als die normalen Deutschen. Woher kommt das Russlandverständnis, welches aus den Umfragen hervorgeht, in denen mit Prozentzahlen nur so um sich geworfen wird? Unter anderem, weil die Ostdeutschen Russisch gelernt haben und die Wörter ihnen etwas sagen.

Doch da muss noch mehr sein, Kultur … Und tatsächlich: Die Ostdeutschen sind aufgewachsen mit Russendisko, Matjroschkas, Fondor, Russisch Brot und dem völlig geisteskranken Film »Das singende, klingende Bäumchen«. Der hat gar nichts mit Russland zu tun, aber damit sind die halt aufgewachsen! Meine Vorfahren. Nicht zuletzt lebte Putin eine Weile lang in Dresden, eine Anekdote, die schon in ostdeutschen Hortschulen ständig erzählt wird, aß Eierschecke, trank Radeberger, who cares. Viele fühlen sich Russland auch heute noch deswegen sehr nah, weil sie die Länder zwischen Deutschland und Russland nicht kennen. Aber das ist alles nur Theorie, die uns nicht weiterbringt.

Ich habe also meine Eltern im Namen des Journalismus besucht. In den vergangenen Jahren wurden ständig ostdeutsche Eltern von Journalisten besucht; quasi alle Ostdeutschen, die heute im Westen wohnen, sind Journalisten, ergab eine Studie. In der Nähe von Cottbus wurde ich irgendwann fündig, da leben wohl meine Eltern mittlerweile, und ich habe mich ihnen schließlich, trotz einstweiliger Verfügung, doch näher als 50 Meter nähern dürfen. Sie nennen in der brandenburgischen traurig-grauen Ödnis mittlerweile einen Bungalow ihr »Eigen«. Dort sitzen sie den lieben langen Tag arbeitslos im Garten, Vati wäscht seinen Trabant Sun Star 601, Mutti löffelt Bautz’ner Senf aus dem großen Topf. Ich schluchzte ob ihrer süßen Erbärmlichkeit. Ihre Hände sind grob, ihre Gesichter arm, sie tun abgehängt.

Zum Thema Russland sagten sie scheinbar ganz normale Dinge, wie dass sie halt beigebracht bekommen haben, dass Russland der »große Bruder« sei, sie es aber oft eher bevormundend fanden und sie nicht so viel Ahnung von allen möglichen internationalen Konflikten haben, aber eben Angst vor weiteren Eskalationen dieses Krieges und zumindest gern darüber reden wollen, wie es so weit kommen konnte und ob und wie man verhandeln könnte. Komplett verblendete Querdenker saßen da also vor mir; ich hätte wohl viel eher mal bei ihnen vorbeikommen sollen, um diese Entwicklung zu verhindern. Ich fühlte plötzlich diese Wessischuld und ging.

Um also zu erfahren, was Sachsen, Brandenburger und Co. politisch wirklich von Putins Regime halten, ganz ohne Verklausulierungen wie bei meinen problematischen Eltern, muss man mit einem Kamerateam auf eine Versammlung von rechtsradikalen Neonazis gehen, die ganz offen Russland in diesem Krieg unterstützen. Was da für Aussagen fallen, wenn man den Leuten direkt mit dem Gerät in die Augen blendet, schockiert. Noch besser wird’s, wenn man das Licht an- und ausschaltet, hahaha, an, aus, an, aus, an, aus, da drehen die durch. Ich schreibe die Wortmeldungen nicht alle mit, aber Sie können es sich ja denken. Die Linie wird noch immer zwischen Ost und West gezogen, da können wir ihnen noch so viele Einwilligungserklärungen für die Anfertigung und Veröffentlichung von Videoaufnahmen reichen.


Aber jetzt noch mal kurz zurück zum »singenden, klingenden Bäumchen«. Ganz im Ernst, der Film ist nicht normal. Ein Prinz wird wegen einer hochmütigen Prinzessin zum Bär, verschleppt sie dann an einen Ort, wo ein Zwerg sie hässlich macht, bis sie sich mit einem riesigen Fisch anfreundet und wieder schön wird. In England wurde der Film sogar als »one of the most frightening things ever shown on children’s television« bezeichnet. Ich meine, wie wären Sie denn da geworden???

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg