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Die Suppenbar – Geschäftsidee aus der Hölle
Zwischen Organic Food Stores, Vintage Shops, Vinotheken, wo gerade ein alter Buch- oder Dönerladen schließen musste und weinende Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden, da nistet sie sich ein: die Suppenbar. Jessica Ramczik geht der Schüssel auf den Grund.
Suppenbars kennt man unter Namen wie "Bei Om A‘s", "Suppentempel" oder "Rucksack voll Lauch". Zwischen Midcentury-Möbeln und Siebdruckplatten wird in den unscheinbaren Eckläden geröstet, gehackt, aber vor allem: püriert. Denken Menschen an Suppenbars, denken viele an San Francisco oder New York, an New Age und an ein neues Gesundheitsbewusstsein. Doch da ist mehr: "Ungefähr alle zwei Jahre gebiert ein in Blüte stehendes, von Aufwertungsprozessen längst heimgesuchtes Stadtviertel das, was gemeinhin als Suppenbar bezeichnet wird", sagt Kulturwissenschaftlerin Susanne Schmäling.
Franziska Lehmann eröffnete 2019 eine Suppenbar. Der kleine Laden, den sie durch dauerhafte Minikredite bei Freunden finanziert, ist ihr ganzer Stolz. "So eine deftige Suppe, das ist doch was. Suppe. Das ist Trinken und Essen zugleich, das ist Genießen und Schlemmen, Einkuscheln und trotzdem vital sein." Der Laden scheint gut zu laufen. Ihr Résumé? Franziska schluckt. "Wissen Sie, wie sich Kauen anfühlt? Das Gefühl, herzhaft in ein schönes Sandwich zu beißen? Feste Materie in Ihrem Mund? Ich weiß es nicht mehr. Ich habe es längst vergessen." Sie beginnt zu weinen. Während wir in unserer Tomaten-Ingwer-Suppe rühren, starrt sie auf den Tisch. Als wir den letzten Schluck Suppe aus der Tasse schlürfen, beginnt ihr Auge zu zucken.
Auch im Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler Jens Garting tritt Bitteres zu Tage. "Die Wahrheit ist doch: Nichts rechtfertigt einen zweistelligen Betrag für püriertes Gemüse mit Kokosmilch, kein regionaler Anbau, kein DIY-Ambiente, kein Riesenprawn als Einlage, kein 'Großmutters Rezept'", desillusioniert er. "Viele Suppen bestehen außerdem aus 80 Prozent Wasser. Wo für Rohstoffe also kaum Geld ausgegeben wird, sind Gewinnmargen von 91, 92 Prozent nicht zu rechtfertigen. Dieses Bewusstsein ist mittlerweile auch beim Kunden angekommen." Garting forscht seit Ende der 2000er am Phänomen Suppenbar. Warum eine durchschnittliche deutsche Großstadt in der Regel alle zwei Jahre von einer Suppenbar heimgesucht wird, ist ihm unklar. Zu hoch die Wahrscheinlichkeit zu scheitern, zu offensichtlich die fehlende Nachfrage. "Suppe ist rein wirtschaftlich betrachtet ein Hochrisikoprodukt." Das Konzept funktioniere vor allem mittags, das bringe große Herausforderungen mit sich. "Eine Customer-Analyse hat ergeben, dass sich Besoffene nachts um vier keine Suppe kaufen. Das hat auch viel mit einem individuellen Bedürfniss nach Würde zu tun. Niemand möchte der Typ mit dem 'Kotzfleck' in der U4 sein." Garting zeigt einige Selfies seiner Feldstudie, die er fein säuberlich katalogisiert hat.
Suppenbars halten sich nicht lange, soviel ist klar. Doch wo sind die gescheiteren Suppenbarbetreiber? Wir treffen Alina Gerstenberger in einem Großraumbüro. Nach ihrem Arabistikstudium und einem mehrjährigen Indienaufenthalt entdeckte sie ihre Liebe für flüssiges Essen. Die fixe Idee wuchs schnell zu einem festen Plan und bald schon war ihre kleine Suppenbar im Westend von Frankfurt am Main eröffnet. Auch ihr Laden scheiterte. Heute ist ihr das peinlich. Keiner ihrer Kollegen in der Bank weiß von ihrer dunklen Vergangenheit. "Der Laden lief nie gut. Anfangs dachte ich, dass jeder Suppe mag. Die Wahrheit ist: die Menschen hassen Suppe!" Während sie das sagt, läuft draußen ein junges Paar vorbei, das sie offenbar wiedererkennt: "Nicht schon wieder Suppe. Immer nur Suppe. Schnell weg!"
Matthias Lechter, der heute in einer Tankstelle arbeitet, wollte ebenfalls ganz groß mit Suppen durchstarten. Anfangs lief es noch ganz gut, die Leute kamen. Hits wie Kürbissuppe "nach Chefkoch" (Anm. d. Red.: von der Seite chefkoch.de) kamen gut an. "Ich weiß auch nicht, was dann passierte ..." Lechter wirkt traurig, er ringt um Fassung: "Irgendwann kamen die Beschimpfungen. "Pürierschwein", "alte Stampfkartoffel" waren noch die netteren Sachen." Immer wieder kamen offensichtlich hungrige Touristen, schauten abwertend, verkündeten "was Richtiges" zu wollen. "Am Ende sah ich sie mit einem Döner. Ich sage es Ihnen, wie es ist: Diese Suppe löffelt am Ende keiner für einen aus."
Jessica Ramczik