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Interview: Was ist Akzelerationismus?

Armen Avanessian, der Shooting-Star der modernen Philosophie, hält nichts von Fortschrittsskepsis und Meditation. Mit TITANIC spricht er über die Chancen von Progression und Beschleunigung - auf Speed.

TITANIC: Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung ...

Armen Avanessian: Kann sein, kann nicht sein. Für mich spielt es keine Rolle, was vor zwei Wochen, Tagen oder Jahren war.

TITANIC: Was ist mit Minuten?

Avanessian: Gute Zeiteinheit, damit kann ich arbeiten. Sekunden sind noch geiler. Wir als Menschheit müssen in Quantensprüngen in die Zukunft, in kolibriflügelschlagartigen Intervallen die Zeitachse entlangpreschen statt rückwärtsgewandt auf der Stelle zu treten wie auf einem Stehpaddelboot – und dieser Satz war schon wieder zu lang, entschuldigen Sie!

TITANIC: Kolibris sind niedlich. Ist die Rasanz, mit der sich alles entwickelt, nicht beängstigend?

Avanessian: Eben nicht! Und genau darum geht es auch in der von mir mitbegründeten Denkschule des Akzelerationismus.

TITANIC: Akzele-was?

Avanessian: Akzelerationismus.

TITANIC: Akzelera-waaas??

Avanessian: Akzelerationismus.

TITANIC: Akzelerationi-waaaas???

Avanessian: Lassen Sie das.

TITANIC: Aber das ist ein bewährter journalistischer Kniff! Der "Spiegel" macht das auch immer.

Avanessian: Dafür habe ich keine Zeit, sowohl den "Spiegel" zu lesen als auch mich an dümmlichen Zwischenfragen aufzuhalten. Der Akzelerationismus richtet sich gegen Zukunftspessimismus und den allseits propagierten Trend der Entschleunigung.

TITANIC: Also Fast-food statt Slow-food?

Avanessian: Wenn Sie so wollen. Dieses als wertvoll vermarktete Sich-Zeit-nehmen und "Runterkommen" ist ein Luxusgut. Es gibt ja auch den von Kate Fletcher geprägten Begriff der "Slow-fashion", also da frag' ich mich schon, wozu die Akkord-Näherinnen in Bangladesch sich einen abrackern. Die wollen doch auch mal Freizeit haben, zum Beispiel für Nebenjobs!

TITANIC: Aber geht es nicht eher um Nachhaltigkeit?

Avanessian: Nein. Jedenfalls möchte ich bei dieser Gelegenheit ein weiteres cooles Wort in den Raum werfen. Dazu mache ich Explosionsgesten mit meinen Händen. Präemptionsphänomene.

TITANIC: Präempti-waaaaas???

Avanessian: Algorithmen machen heute beängstigend präzise Vorhersagen über unser Kaufverhalten, über Geschmack und Partnerwahl. In Zukunft werden sie wissen, wie sich die Börse entwickelt, wie Kriege ausgehen, wann und wo Verbrechen begangen werden, sogar wann die Sonne untergeht.

TITANIC: Und ist das gut oder schlecht?

Avanessian: Das ist unheimlich af. Deshalb fordert der Akzelerationismus – was auf nicht-prätentiös übrigens "Beschleunigungismus" heißt –, uns der Zukunft zu stellen, uns klar zu machen, dass wir uns mitten in ihr befinden. Und deshalb habe ich Ihnen auch vor Beginn des Gesprächs Ihr Smartphone abgenommen und ins Eisfach gelegt.

TITANIC: Herr Calrissian, Sie sind gebürtiger Österreicher, leben aber in Berlin. Was macht das mit Ihnen?

Avanessian: Wo man im behäbigen Wien bis zum späten Nachmittag mit dem Fiaker ums Caféhaus zuckelt, hat man in der deutschen Hauptstadt bereits zwei Start-ups ruiniert und dreimal Manfred Spitzer widerlegt, was zugegebenermaßen keine Kunst ist. Nach ein paar Jahren in Berlin weißt du aber auch: Wenn die Maschinen uns irgendwann vernichten, dann hier. Ich stehe Gewehr bei Fuß.

TITANIC: Der Deutschlandfunk hat Ihre politische Theorie als "Mischung aus Techno, Terminator und Marx" beschrieben. Frage: Haben die einen Dachschaden?

Avanessian: Solche Aussagen machen zumindest Lust auf Künstliche Intelligenz und Roboterjournalismus.

TITANIC: Auf ein Wort: Kapitalismus – yay or nay?

Avanessian: Och, wenn er gut gemacht ist ...

TITANIC: Herr Kevorkian, danke für das Gespräch. Kriege ich jetzt mein Handy zurück?

Avanessian: Nein.

Torsten Gaitzsch

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg