Humorkritik | Juli 2020

Juli 2020

Humor ist Erkenntnis der Anomalien.
Friedrich Hebbel

Das Vorbild

Karl Kraus, das macht eine neue Biografie von Jens Malte Fischer über tausend Seiten lang deutlich, ist nicht zu fassen. »Der Widersprecher« nennt ihn Fischer im Untertitel seiner Fleißarbeit, »Der Widersprüchliche« hätte auch gepasst, »Der zum Widerspruch reizende« träfe es sogar noch genauer. Kraus war Lyriker, Dramatiker, Essayist, Aphoristiker, Satiriker, Polemiker und, man weiß es, Herausgeber eines Periodikums, das unter dem Titel »Die Fackel« von 1899 bis zu seinem Tode im Jahr 1936 erschien und bald nur noch vom Herausgeber selbst vollgeschrieben wurde. Die Lebensleistung ist enorm, aber Literatur ist ja kein Leistungssport.

Mehrere Faktoren machen es mir schwer, Kraus gebührend zu bewundern oder gar zu mögen: seine reaktionäre Grundhaltung, die jeden Fortschritt ablehnt, sein Reinlichkeitswahn, was den Umgang anderer mit der deutschen Sprache betrifft, sein Kulturpessimismus, der oft zu langweiligen Generalisierungen führt, und der pontifikale Tonfall seiner Verdammungsurteile. Seine Eitelkeit, die bei öffentlichen Auftritten bisweilen bizarre Formen annahm, finde ich dagegen verzeihlich, seinen konsequenten Pazifismus hochsympathisch. »Jüdischen Selbsthass« habe ich ihm nicht vorzuwerfen.

Seine Gegner tun das allerdings bis heute. Dass diese, von Anton Kuh und Carl Karlweis bis zu Fritz J. Raddatz und Marcel Reich-Ranicki in ihren kritischen Betrachtungen nicht annähernd die Höhe des Attackierten erreichten, kann nicht überraschen; Schludrigkeit und Denkfaulheit v.a. der beiden Letztgenannten sind bekannt. Bis heute berechtigt wirkt die Anzeige in eigener Sache, die Kraus in der »Fackel« aufgab: »Größerer Gegner gesucht«.

Für meinen Geschmack kommt seine polemische Qualität in Fischers Darstellung, die nicht chronologisch, sondern nach Themen geordnet ist, entschieden zu kurz. Erst von Karl Kraus haben alle halbwegs fähigen Polemiker gelernt, wie wirkungsvoll ein Zitat sein kann, wenn man es mit einem möglichst gewitzten Dreh gegen seinen Urheber wendet. Viele Artikel, ja ganze Kolumnen und Rubriken in dieser Zeitschrift z.B. wären ohne das Vorbild Karl Kraus undenkbar. Angreifbar macht sich der eigentliche Erfinder und Verfeinerer dieser im Kern antiautoritären Methode allerdings dadurch, dass er immer wieder seine absolute Autorität postuliert und die eigene Infallibilität dogmatisiert.

Unfehlbar ist nämlich nur einer: der Verfasser dieser Zeilen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella