Humorkritik | Juli 2020

Juli 2020

Humor ist Erkenntnis der Anomalien.
Friedrich Hebbel

Waschbären, die nicht kippen

Wenn ein komisches oder komisch gemeintes Werk eine Komiktheorie mitliefert, ist das für mich natürlich wie Ostern und Weihnachtstheorie zusammen – sogar dann, wenn die sich äußernde Figur ein so dubioser Comedian ist wie der sich als »Humo(o)rsoldat« titulierende Thomas Diederich in Thomas Brussigs Roman »Die Verwandelten« (Wallstein). Sein »E-gleich-m-mal-c-Quadrat der Komik« lautet: »Witzig ist, wenn etwas kippt«, und das ist ja nicht falsch: Logik, Sinnzusammenhänge, Lesererwartungen und dergleichen umzuwuchten gehört durchaus zu den vornehmsten Aufgaben und lustvollsten Aktivitäten komischer Künstler. Nichts anderes tut Brussig selbst, wenn er in seinem Roman die Teenager Aram und Fibi vorführt, die in brandenburgischer Provinz aufwachsen, sich dort naturgemäß langweilen und Unsinn aushecken – nämlich den, sich nach einer aus dem Internet aufgegriffenen Anleitung in Waschbären zu verwandeln. Nicht allein die Selbstverständlichkeit, mit der das erzählt wird, ist dabei lustig, sondern vor allem die Reaktion der betreffenden Eltern: Während denen des Knaben dessen Waschbärwerdung ziemlich egal zu sein scheint (»›Aram, du hörst sofort auf mit dem Quatsch‹, sagte sein Vater«), widmen sich die des Mädchens sofort den pragmatischen, nämlich juristischen Folgen (»Ist weiter unsere Krankenversicherung für sie zuständig?«) und sorgen dafür, dass die Tochter Mittelpunkt eines kapitalen Rummels wird. Menschen versammeln sich vor dem Haus, unter anderem ein paar Girlies aus dem Dorf: Die »sangen spontan entstandene Lieder, die meist in der zweiten Zeile ihre Pointe hatten und mangels weiterführender Idee sogleich endeten«.

Ähnlich geht es leider Brussigs Buch. Auch das ist mangels weiterführender Idee nur ein paar Kapitel lang witzig, dem überraschenden Auftakt folgt allerdings kein baldiges Ende, sondern eine wenig komische Satire, die Klischees nicht bricht, sondern abspult: Eine Lokaljournalistin »wollte eigentlich ›recherchieren‹ schreiben, hatte aber verlernt, das Wort fehlerlos hinzubekommen«. Die Leiterin eines privaten TV-Senders ist »so unbeschreiblich blond«, dass »in ihrer Gegenwart Männer regelmäßig zu sabbern begannen«, es »traute ihr kaum jemand etwas zu«, weshalb sie folgerichtig Karriere macht und dem Waschbärmädchen »so ne Art Late Night« im TV einräumen will: »Und dann kriege ich sie alle: Scarlett Johansson, Tom Hanks, George Clooney, Ed Sheeran«. Genauso kommt es dann leider auch.

Dass Brussig es sich ziemlich leicht macht und eine halbwegs unterhaltsame, aber banale Geschichte erzählt, wäre nicht erwähnenswert und kein Anlass zur mäkelnden Betrachtung. Dass er einen vielversprechenden Stoff nach ebensolchem Beginn mutwillig aus der Hand gibt, hat mich aber geärgert. Und Ärger muss an die Luft, sonst kippt die Stimmung.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg