Humorkritik | März 2017
März 2017
R a t t e n g i f t.
Heutzutage muß die Komik fein sein, so fein, daß man sie gar nicht mehr sieht; wenn dann die Zuschauer sie dennoch bemerken, so freuen sie sich zwar nicht über das Stück, aber doch über ihren Scharfsinn, welcher da etwas gefunden hat, wo nichts zu finden war. Überhaupt ist der Deutsche viel zu gebildet und zu vernünftig, als daß er eine kecke starke Lustigkeit ertrüge.
S c h u l m e i s t e r.
Ja ja, er lacht nicht eher, als bis er sicher ist, daß er sich nachher wird förmliche Rechenschaft zu geben vermögen, warum er gelacht hat!
Chr. D. Grabbe, »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«
Rietzlers Adolf
In seinem Buch »Mensch, Adolf. Das Hitler-Bild der Deutschen nach 1945« (C. Bertelsmann, 2016) hat der Journalist Rolf Rietzler sehr viel Material zusammengetragen, von dem naturgemäß nur wenig in mein Fachgebiet fällt. Einmal mußte ich aber doch lachen. Bei einer Podiumsdiskussion, die am sechzigsten Jahrestag des Kriegsendes in der Berliner Akademie der Künste stattfand, sei der Altbundespräsident Richard von Weizsäcker dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki barsch ins Wort gefallen, und zwar mit der Äußerung: »Wir sind hier nicht im Literarischen Quartett, jetzt rede ich.« Wozu Rietzler anmerkt: »Mir armem Tropf ist die Szene danach ein paar Mal im Schlaf als Nachtmahr wiederbegegnet. Jedes Mal sagte der weißhaarige Mann, der einmal mein Präsident war: ›Wir sind hier nicht in der Judenschule. Jetzt rede ich.‹ Beim Morgenkaffee ruckelte sich das Bild der zwei Berühmtheiten mit dem Originalzitat dann wieder zurecht, als ich mich daran erinnerte, daß die Version, die es mir geträumt hatte, ja eine Redensart unseres Französischlehrers in den 50ern war.«
Doch, genau so war er, der hochwohlgeborene Weltkriegsveteran Richard von Weizsäcker, der sich bei der Belagerung Leningrads das Eiserne Kreuz 1. Klasse verdient hatte. Rietzler hat ihn hier auf engstem Raum vortrefflich porträtiert, und ich bedaure nur, daß Weizsäcker damals nicht tatsächlich der Satz »Wir sind hier nicht in der Judenschule« herausgerutscht ist, es wäre mir ein Vergnügen gewesen, den Ruhm dieses Mannes von einem Tag auf den anderen zerbröseln zu sehen.