Inhalt der Printausgabe

März 2005


Gesetz der Tiefe, Sauerkohl
(Seite 3 von 3)

Vor dem Krieg ist nach dem Krieg: Kappus zwischen Klangfilm und Filmklang
Im Oktober 1914 rückte Hauptmann Kappus, ein Bataillon hinter sich, vor das estnische Iwangorod, von wo ihn ein Lungenschuß in die Etappe zum k.u.k. Kriegspressequartier beförderte. Dort war er dabei, wie Weltgeschichte in amtlichen Kommuniqués abdestilliert wurde, und war es selbst, der die Feldherren in klirrenden Versen verherrlichte. Daß es zwei Erzherzöge gab, die beide Josef hießen, erleichterte mir die Aufgabe wesentlich. Im Pressequartier lernte ich auch eine Reihe bedeutender Männer kennen: Sven Hedin, Oskar Kokoschka, Franz Molnar, Ludwig Ganghofer und dergleichen. Dafür mußte ich die Bekanntschaft der Generale Böhm-Ermolli, Stöger-Steiner, Pflanzer-Baltin und anderer Doppelfeldherrn mit in Kauf nehmen. - Ich rächte mich, indem ich auf Vortragsreisen des Witzblattes "Die Muskete" ihren Ruhm über Berge und Täler trug und noch an sie glauben machte, als alles schon verloren war. Um dieselbe Zeit schrieb ich, um meinen Ärger abzureagieren, den Roman "Die lebende Vierzehn", in dem die ganze Welt unterging.
Schauplatz für Österreich-Ungarns Zusammenbruch war für Kappus Belgrad. Persönliche Kriegsbeute: ein Fliegerpfeil, sechs Liter Sliwowitz und zwei Liebesbriefe in kyrillischer Schrift. Mit all dem entkam er nach Wien, wo er die satirische Wochenzeitung "Der Esel" gründete, von deren Defizit mehrere Offiziere lebten. Die Gerichtsvollzieher umging er via Budapest, wo Bela Khuns Räte-Regiment ihm aber außer Sauerkohl und Hafergrütze nichts zu bieten hatte. Bis zur 23er Inflation überwinterte der gebürtige Rumäniendeutsche in seiner Heimat, dann siedelte er endgültig nach Berlin über. Zu seinen "Blut und Eisen"-Versen und den 1911 und 1914 unter den Titeln "Ha, welche Lust!" und "Durch's Monokel" erschienenen Militärschwänken kam bald eine stattliche Reihe selbstproduzierter Schmöker aufs Bücherbord: Sukzessive mutierte der einstige Weltuntergangsromancier und zeitweilige Witzblatt-Redakteur zum Routinier für Unter-haltungsreißer, größtenteils in Illustrierten und Zeitungen vorabgedruckter Romane wie "Der rote Reiter", "Der Mann mit den zwei Seelen" , "Der Milliardencaesar" , "Das vertauschte Gesicht", " Ball im Netz", "Jacht ›Estrella‹ verschollen!", "Martina und der Tänzer", "Eine Nacht vor vielen Jahren", "Menschen vom Abseits", "Die Tochter des Fliegers", "Brautfahrt um Lena", "Wettlauf ums Leben", "Sie sind Viotta!" oder "Die Verzauberung des Lothar Bruck". Hinzu kamen Krimis wie "Was ist mit Quidam?" und "Eine Jacht ist gesunken" sowie das Südseeabenteuer "Flammende Schatten": Saisonware für die Pressetrusts Scherl und Ullstein. Der "Rote Reiter" kam im Februar 1935 sogar als "Tobis-Klangfilm" heraus.

"Der Weg ins Tal" -
Fortsetzungs- und
Polizeihundroman
in einem

Im übrigen hielt den Fließbandromancier Kappus sein Unterhaltungsgewerbe aus der Nazi-Zeit jedoch so weit heraus, daß ihm die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung bis heute ein ehrendes Andenken bewahrt. Wie dort gelagerte Archivalien belegen, trafen sich am 16. Juni 1945 in Berlin auf Geheiß der Sowjetischen Militäradminstration beim Schwiegersohn des ehemaligen Weimarer Reichsjustizministers Schiffer ein paar Herren, um die "Liberaldemokratische Partei Deutschlands" (später DDR-Blockpartei) aus der Taufe zu heben: u.a. der frühere Reichsinnenminister Külz, der alte Reichswehrminister Noske (SPD) - und Franz Xaver Kappus, der sich unverzüglich in den Vorstand wählen ließ. Aber schon ein Vierteljahr später vermerkt das Sitzungsprotokoll des Dichters Ausscheiden aus dem Leitungsgremium "wegen seines Wechsels in die Redaktion der Ullstein-Zeitung". Kappus schrieb noch einen Roman mit dem Titel "Flucht in die Liebe", für ein endgültig auskömmliches Dasein aber sorgte eine Vorkriegs-Stippvisite in noch einem Genre: In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Oskar Schima hatte er einst auch ein paar Schlagertexte fabriziert, wobei der einzige tatsächliche Evergreen Kappus' zustande gekommen war: "Mamatschi". Die Tantiemen der millionenfach abgesetzten Schnulze vom kleinen Jungen und seinen heiß ersehnten Pferdchen versüßten Kappus zusammen mit den Einnahmen aus den "Briefen" nicht nur den Lebensabend, sie sorgen auch für eine letzte alljährliche Ehrung: Kappus starb zwar 83jährig im Oktober 1966, seine langlebige Witwe blieb den führenden Männern der Berufsgenossenschaft der deutschen Schlagertexter in der Gema, des Deutschen Textdichterverbands, so eng verbunden, daß sie der Zunft die "Mamatschi"-Einnahmen vermachte; die gerade ausreichen, ein alljährliches Sommerfest auszurichten. Als kleine Huldigung ist dabei seit gut zwanzig Jahren Brauch, daß die Schlager-People zum Schluß den "Witwe-Kappus-Song" anstimmen, ein auf die Melodie von "Mamatschi" umgedichtetes Danklied. Der Refrain: "Wir danken der Witwe Kappus/ frohen Herzens, tief bewegt/ wir danken ihr für das Pferdchen/ das uns gold'ne Äpfel legt!" stammt noch von Hans Bradtke, Autor von Klassikern wie "Pack die Badehose ein", "Pigalle" oder "Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett".

"Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen!
Ein Pferdchen wär mein Paradies!
Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen!
Solche Pferde wollt ich nicht!"

Ein nicht unbeträchtlicher Teil der verfeierten Tantiemen dürfte sich seit 1993 Steven Spielberg verdanken, der "Mamatschi" in den Soundtrack von "Schindlers Liste" aufnahm und am Drehort Prag sogar einen Eilkurier zum Berliner Vinylisten- und Schellack-Dorado "Platten-Pedro" in Bewegung setzte, um die Originalpressung der Erstversion mit der Sängerin Mimi Thoma zu beschaffen. Im Film wird die Platte von einem SS-Mann aufgelegt, um sie über sämtliche Lautsprecher durchs Krakauer KZ schallen zu lassen. Mütter und Kinder des Lagers werden auf einem Platz zusammengetrieben, um mit Lastwagen angeblich "verlegt" zu werden. Zunächst marschieren die Kinder heran, die fröhlich "Mamatschi" mitsingen und auf die Ladeflächen klettern. Die Mütter hält man im letzten Moment zurück. Als die Lastwagen anfahren, scheppert zur einsetzenden Massenpanik weiterhin "Mamatschi" aus den Lautsprechern, auch als die Kamera eines der Kinder verfolgt, das verzweifelt ein Versteck sucht: Unter Krematoriumsöfen, Dachsparren und Barackendielen ist schon besetzt, so daß der Junge endlich in eine randvoll mit Fäkalien gefüllte Latrine springt. Wie hatte Kappus doch am 4. Februar 1910 seinem Regimentskameraden, dem Buchgraphiker Rudolf Heßhaimer, ins Stammbuch geschrieben: Dem Leben nachspüren, seine tiefen Zusammenhänge nicht deuten wollen, sondern sie gestalten, so gut er's vermag: das ist Ziel und Schicksal des Künstlers.


Christian Meurer


    1 | 2 | 3


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«