Inhalt der Printausgabe

September 2003


Warme Worte


Lieber Titanic-Leser,

Schön, wenn man bei sommerlicher Jahrhunderthitze an lauschigen Badeseen liegen kann, sich den eisgekühlten Champagner von nackten braunen Mädchen aus dem Bauchnabel lecken läßt und abends im Eros-Center die Klimaanlage auf volle Pulle stellt - als Chefredakteur ist man wirklich zu beneiden!


Stefan Gärtner
Stefan Gärtner
Jedenfalls wenn man sich wie Martin Sonne(!!)born dem hiesigen Wärmechaos durch Flucht in den Urlaub entzieht und den Rest der Redaktion alleine weiterbraten läßt, ohne die geringsten Erleichterungen, versteht sich: Während Behörden und Betriebe ihren Angestellten erlaubten, die Arbeit schon früh um sechs aufzunehmen, blieb es bei TITANIC bei den rahmenvertraglich festgezimmerten 12 Uhr 30 Arbeitsbeginn, und gab es andernorts sogar hitzefrei, mußten wir hier gnadenlos "Witze" zusammenschweißen wie den, wo der Würstchenverkäufer im Freibad ruft: "Heiße Müller, heiße Müller!" - eine intellektuelle Dürre ohne Beispiel.

Eine totale Betriebsklimakatastrophe konnte da nur durch den beherzten Einsatz von Mentholzigaretten (Gsella), kaltem Kaffee (Tietze) und String-Tangas mit Eingriff (Rürup) begegnet werden, und wenn Redaktionsassistentin Staniewski ("42") jetzt noch ihre Hitzewallungen unter Kontrolle gekriegt hätte, hätte sich zumindest der männliche Teil der Belegschaft wieder anziehen können; wenigstens untenrum


Und was tat Berlin? Wie üblich wenig. Gerade mal daß der Kanzler die "heiße Phase" des Wahlkampfs auf 2006 verschob, den Hitzefreibetrag senkte und der Opposition höhnisch versicherte, sie werde sich bald "warm anziehen" müssen, spätestens ab November. Und während in halb Europa die Wälder brannten, stieg der Jahresausstoß von Treibhaustomaten ungerührt auf 10 Milliarden Tonnen. Apocalypse now?

Immerhin, der Klimawandel produziert nicht nur Opfer: So hat sich Layout-Heißsporn Tom Hintner bei Bürotemperaturen von bereits 0,6 Grad über dem Jahrhundertmittel deutlich ausgedehnt und mißt jetzt satte 143 Zentimeter. Geht die Entwicklung so weiter, wird er bis Ende des Jahrhunderts Standardgröße erreicht haben und der wärmste Layouter seit dem Beginn der Aufzeichungen im Jahre 1205 geworden sein.

Auch wenn die redaktionelle Selbstverpflichtung, den Anteil fossiler Witze auf 90 Prozent zu senken, vom Kollegium in seltener Eintracht ignoriert worden ist, so sollte Sie die heiße Luft, die Ihnen auch aus dieser Ausgabe wieder verläßlich entgegenweht, doch an die Worte des Klimaforschers Mojib Latif denken lassen: "Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt untergeht, würde ich doch heute noch ein Faß Apfelwein trinken. Aber nur dann!"

Herzlichst, Ihr Stefan Gärtner





Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg