Inhalt der Printausgabe
Februar 2002
Vom Fachmann für Kenner (Seite 1 von 15) |
Todesstille Meine Oma war immer eine Frau mit eisernem Willen gewesen, bis an ihr Sterbebett. Als ihre letzten Tage sich abzeichneten, kamen fast alle Verwandten nach Hamburg, auch die Kinder aus Amerika samt erwachsener Enkel und sogar Urenkel. Es wirbelte und wuselte nur so um Omas Sterbebett herum, Gruppenfotos wurden inszeniert, die kleinen Urenkelchen kleisterten das Zimmer mit selbstgemalten Bildern zu, stundenlang lasen die Kinder ihrer alten Mutter Geschichten vor, und schließlich kam gar der Kirchenchor und brachte Oma ein Ständchen nach dem anderen. Da plötzlich raffte sich die Greisin noch einmal auf, und ihre Stimme flehte so kraftvoll und resolut, wie man sie seit Monaten schon nicht mehr vernommen hatte: "Ja, kann man hier denn nicht einmal in Ruhe sterben?" Wir gönnten ihr dann die dazu nötige Stille, und nach zwei Tagen schaffte sie es tatsächlich. Die Hektik auf der Beerdigung hat Oma hoffentlich nicht mehr mitbekomme Christian Schroeder
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