Inhalt der Printausgabe

Die wundersame Geschichte von Portemonnaie Banker

Kommt’s, Kinder, setzt’s euch her, gell? Im Kamin brennt ein Feuer, das uns wärmt. Ich hab’ vorhin ein paar Leitzordner mit einem Hunderter angesteckt. O mei! Wo soll man anfangen? Die meisten Geschichten fangen gut an und gehen schlimm aus. So auch diese. Habt’s ihr alle eure heiße Schokolade mit Baileys? Gut, dann geht’s los.

Es waren einmal ein Gemeindebediensteter und eine Erzieherin, nicht fern von hier, in Innsbruck, drüben in Österreich bei den Schluchtenscheißern. Und den beiden war von Berufs wegen naturgemäß oft recht fad. Nach der Arbeit haben sie drum immer bis in die tiefe Nacht hinein geschnackselt. Und wer sich der Schnackselei allzu sündig hingibt – merkt’s euch das! –, den straft der Herrgott mit einem Kind. So kam im Jahr 1977 genau einen Monat nach Führers Geburtstag ein Bub zur Welt. Weil es damals Mode war, nannten sie ihn René Benko. René ist ein französischer Bubenname und heißt übersetzt: der Spendable. Und Benko war halt der Nachname.

Der René Benko wuchs in Innsbruck behütet auf und besuchte jeden Winter einen Skikurs. Er bekam noch ein Schwesterlein, worauf die Eltern der Schnackselei für immer abschworen und fürderhin viel Zeit hatten, sich um ihre Kinder zu kümmern. Für einige Jahre war es ein harmonisches Familienleben, bis die schulischen Leistungen vom René vorsichtig gesagt stark abbauten. Er hatte als Teenager halt seine Phase und fehlte oft in der Maturaschule. Statt guter Noten jagte er auf seinem Nintendo Game Boy den Highscore im Tetris. Kennt’s ihr das heute überhaupt noch mit euren VR-Brillen?

Jedenfalls hat sich der René in dieser Zeit stark verändert. Das Daddeln am Game Boy stimulierte das Suchtzentrum tief in seinem Hirnkastl drin, und bei ihm reifte die Idee, auch im echten Leben den Highscore zu knacken. Aber nicht wie so viele andere Österreicher auf der Skipiste, weil er war weiß Gott kein Hermann Maier, sondern auf dem Konto. Der René wollte Geld, Geld und nochmals Geld.

Seinen Schulfreunden befahl er, ihn fürderhin nicht mehr René Benko zu rufen, sondern knapp »Portemonnaie Banker«. Diesen Spitznamen hatte er sich unter Zuhilfenahme eines Fremdwörterbuchs selbst ausgedacht. Ihm gefielen der Anklang zu seinem echten Namen und der klare Geldbezug in beiden Teilen des Kosenamens.

In einer Innsbrucker Lokalzeitung war er ungefähr zur gleichen Zeit auf eine Kleinanzeige des deutschen Finanzdienstleisters AWD gestoßen, der Schulungen für Menschen anbot, die gerne sehr reich werden wollten. Portemonnaie Banker musste da nicht zweimal überlegen – er hat überhaupt in seinem ganzen Leben nie zweimal überlegt – und schmiss für die Schulungen die Schule.

Der René Benko zwängte sich unter Schmerzen in die Lackschuhe, die er ein paar Jahre zuvor zur Firmung getragen hatte, und fuhr hoch nach Hannover. Der AWD-Kursus hatte ihn seine allerletzten Schillinge gekostet, drum verbrachte er die neunstündige Fahrt als blinder Passagier ohne Snacks auf der Zugtoilette. Doch die beschwerliche Reise sollte sich lohnen: In der AWD-Zentrale bläute ein Mann namens Carsten Maschmeyer dem René und dem anderen Seminarteilnehmer namens Frank Thelen ein, dass nur reich wird, wer das Geld von anderen nimmt. Diese Anderen nannte er »Investoren«.

»Man fängt im Familienkreis an, am besten mit einer alten Großtante«, erklärte der Maschmeyer. »Und wenn man sich geschickt anstellt, kriegt man ein paar Jahre später Geld von allen möglichen Leuten: Rockstars, Firmenchefs oder Gerhard Schröder.«

Ehrlich gesagt hatte Portemonnaie Banker nicht so ganz verstanden, wie die Methode vom Carsten Maschmeyer funktionierte. Und ob er selbst überhaupt eine Großtante hatte, wusste der René schon gar nicht. Trotzdem fuhr er froh zurück nach Österreich, denn ihm war beim Smalltalk mit Maschmeyer eine glänzende Idee gekommen. Der deutsche Finanzmann hatte nämlich vom Skifahren in den Bergen um Innsbruck geschwärmt. Und da hatte der René gedacht, wenn deutsche Geldgrößen gern Ski fahren, brauchen sie eine Luxuswohnung vor Ort.

Nur, woher nimmt ein halbstarker Schulabbrecher, der sich Portemonnaie Banker nennt, eine Luxuswohnung in Innsbruck? Passt’s gut auf, denn jetzt kommt das, womit der Aufstieg vom René Benko zum drittreichsten Österreicher begann – und worin gleichzeitig auch sein schlimmes Scheitern quasi schon angelegt war.

Der René Benko ist zu Besitzern von Mietshäusern in Innsbruck hin und hat gesagt: »Überschreiben Sie mir Ihren Dachstuhl und Sie bekommen von mir in 25 Jahren zehn Millionen Schilling für Ihren Ruhestand.« Im Prinzip ein Wahnsinn, so ein Angebot für ein verstaubtes Obergeschoss! Aber der noch jugendliche Portemonnaie Banker hat damals gedacht, 25 Jahre sind ja mehr, als er alt ist. Eine schier endlose Zeit, da wird ihm schon noch was einfallen. Die Dachbodenbesitzer haben freudig eingeschlagen. Und auch die Handwerker, die Benko mit der Luxussanierung beauftragt hat. Weil denen hat er auch zehn Millionen Schilling in 25 Jahren versprochen.

Die Luxuswohnungen gingen weg wie warme Semmeln, weil die für je fünf Millionen Schilling ein echter Schnapper waren. Der Maschmeyer hat gleich drei gekauft, in einer wohnt bis heute seine Großtante. So oder so: Der René Benko hatte jetzt amtlich Diridari zur Verfügung, an der Börse würde man sagen: Er hatte ein gescheites Kapital.

Und wenn ihr erst mal ein gescheites Kapital habt, geht alles Schlag auf Schlag. Der Portemonnaie Banker hat sich eine Kaufoption auf Anteile an einem Hotel gesichert. Fragt nicht, was das im Detail heißt. Und die Kaufoptionen hat er dann wieder verjubelt. Aber mit Gewinn, weshalb er bald ein Fachärztezentrum hochzog und mit einem vertrauenswürdigen Autohändler gemeinsam die »Immofina Holding« gründete. Diese Holding hat dann noch mehr Fachärztezentren gebaut und für Anwohner, nein Schmarrn: für Anleger den Immobilienfonds »Signa:01 Property Fund« aufgemacht.

Jetzt stellt euch vor, ihr habt Geld zur Verfügung und gebt das einem Herrn namens Portemonnaie Banker für ein Anlageprodukt, das er »Signa:01 Property Fund« nennt. Solche Leute gibt es – und der René Benko hat sie gefunden. Immer mehr davon, wie ein Menschenfischer. Letztlich wie der heilige Petrus, gell?

Aus der Immofina Holding hat der René Benko dann die Signa Holding gemacht, weil ihm hat der neue Name insgesamt mehr getaugt. Falls ihr euch das fragt: Die Signa Holding hat als Hauptgesellschafter die »Familie Benko Privatstiftung« mit 85 Prozent. Ganz recht, die Familie Benko. Der Portemonnaie Banker hat über die Jahre nämlich zwei Frauen gefunden, die in ihn investiert haben. Als Rendite sind bisher vier Kinder dabei herausgesprungen.

Während diese Kinder nach und nach auf die Welt purzelten, hat Papa Benko sich rührend darum gekümmert, dass am Abend immer etwas auf den Tisch kam. Zum Beispiel hat er sich mit einem griechischen Reeder angefreundet und gemeinsam viele Immobilien gekauft, darunter das Kaufhaus Oberpollinger in München. Da spitzt ihr, gell? Das kennt in München ein jedes Kind, weil es dort die besten Krawatten gibt. Für das KaDeWe in Berlin hat er ein Joint Venture mit einem Diamantenhändler aus Israel gegründet. Was ein Joint Venture ist, wusste der Portemonnaie Banker bereits aus seinem Fremdwörterbuch, drum lag die Idee nahe.

Und so hätte es ewig weitergehen können, wäre Portemonnaie Banker nicht in rechtliche Schwierigkeiten geraten, weil er, wie es hieß, angeblich irgendeinen kroatischen Premierminister geschmiert hatte. Als ob ein kroatischer Politiker nicht schon daheim genug geschmiert würde. Na ja, Schwamm drüber. Der René Benko wurde verurteilt, und deshalb ging es für ihn danach noch viel steiler bergauf. In gewissen Kreisen bist du mit weißer Weste nicht vertrauenswürdig. Aber jetzt standen ihm alle Türen offen.

Was nun kommt, klingt wie ein Märchen, aber es stimmt: Der Portemonnaie Banker erschuf wie ein Business-Gott die »Signa Retail« unterm Dach der »Signa Holding«. Retail bezeichnet die Gesamtheit aller Warenhäuser und Geschäfte – und hinter dieser kapitalistischen Singularität war unser Spezi her. Karstadt und Galeria Kaufhof hat er sich gekauft und dann später zu Galeria Karstadt fusioniert. Vorher war jahrzehntelang kein Mensch auf so einen brillanten Einfall gekommen. Der René Benko hingegen hatte zu dieser Zeit am Tag zwei oder drei solcher Geistesblitze und bekam deshalb für Galeria Karstadt noch Geld vom Staat.

Er kaufte Luxushotels am Gardasee, Flughäfen in Südtirol, das halbe Chrysler Building in New York und noch vieles mehr. Ein großes Wiener Möbelhaus hat er der »Laura Daphne GmbH übertragen, eine Tochtergesellschaft der Laura Privatstiftung, deren Stifter wiederum René Benko und seine Mutter Ingeborg Benko sind«. So steht’s im Wikipedia. Man kann sich so etwas nicht ausdenken, außer man heißt Portemonnaie Banker. Dieser Spitzname war in Benkos Umfeld freilich lange belächelt worden, in Hamburg aber, wo man Portemonnaie Banker für einen kultigen Ludennamen hielt, bekam er ohne Probleme den Auftrag, mit der »Signa Prime Selection« den Elbtower hinzustellen.

Aber den 245 Meter hohen Elbtower wird er nicht mehr fertigbauen. Mit keiner seiner über 1000 Einzelgesellschaften, die wie ein großer Schwamm die »Signa Holding« ergeben. Wenn euch ein besseres Bild einfällt, denkt es euch dazu, aber man kann sagen, der Schwamm wird gerade ausgepresst. Inzwischen sind nämlich 25 Jahre vergangen, seit der René Benko seine ersten Dachböden renoviert hat. Und er schuldet ein paar Innsbrucker Rentnern je zehn Millionen Schilling. Fällig sofort.

Jetzt wird man annehmen, in so einer Milliardenunternehmung wie der Signa stecken schon irgendwo noch hundert Millionen Schilling, die entbehrlich sind. Aber das könnt ihr vergessen, es ist alles, pardon!, im Arsch und der Schwamm ist staubtrocken. Der René Benko war nie flüssig und ist trotzdem, davor muss man Respekt haben, irgendwie immer durchgeflutscht. Aber no more, wie der Ami sagt. Sie haben den René Benko bei seiner Signa jüngst eiskalt vor die Tür gesetzt.

Und drum wollen wir dieses Weihnachten und an Silvester ganz fest an ihn denken, den Portemonnaie Banker aus Innsbruck. Weil wir immer noch in einer Demokratie leben, muss er für den ganzen Unsinn, den er angerichtet hat, zwar nicht haften, aber ärgern wird es ihn schon enorm.

Zum Schluss ein tröstlicher Gedanke: Über die Jahre wird sich der René Benko ein bisserl was privat zur Seite geschafft haben. Eine gewisse Zeit kann er finanziell bestimmt überbrücken. Und danach wird ihm garantiert etwas Neues einfallen.

So, und jetzt holt euch noch einen zweiten Baileys-Kakao und dann ab ins Bett.

 

Moritz Hürtgen

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
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