Inhalt der Printausgabe

So siehst du aus

von Ella Carina Werner

Ich habe einen Freund, der sieht aus wie Assad. Die eng stehenden Augen: wie Assad. Die dünnen Lippen: wie Assad. Das fliehende Kinn: wie Assad. Sogar die Ohren und der muffelige, bisweilen phlegmatische Blick sehen aus wie die des syrischen Tyrannen, unfassbar. Gerne würde mein Freund etwas weniger aussehen wie Baschar al-Assad, wenigstens ein bisschen. Maximal wie Assads Halbbruder oder Assad, gezeichnet von Ralph Ruthe, aber der arme Tropf kann machen, was er will. Er kann sich Skibrille und Bommelmütze aufsetzen – Assad mit Skibrille und Bommelmütze. Er kann sich einen Vollbart wachsen lassen und entgegenkommend gucken – Assad als E-Bike-Verkäufer. Er kann im Triathlon-Einteiler herumlaufen und sich die Haare blondieren – Assad in der Midlife-Crisis.

Wichtige Frage: Darf man Menschen auf eine solch brisante Ähnlichkeit ansprechen? Ohne Probleme kann man jemandem sagen, er oder sie sehe aus wie Alexander Bommes oder Linda Zervakis. Aber Assad? »Hey, witzig, du siehst ja genau aus wie Assad!« ist kein guter Start für Partygeplänkel. Kein zielführendes Verkaufsgespräch fängt mit diesen Worten an. Wenn, dann muss man es sensibel angehen, braucht es einen guten Dreh, z.B. ein eitertriefendes Bedauern in der Stimme: »Ich weiß, es muss schlimm sein, aber du siehst …« usw., oder man pirscht sich von hinten an, gibt sich ahnungslos: »Sage mal, kennst du eigentlich ...?« Das wäre feinfühlig. Aber so feinfühlig war ich damals, vor über zehn Jahren, nicht. Ich sagte: »Haha, du siehst genau aus wie Assad, sogar die spitz zulaufenden Ohren!« »Halt’s Maul, ich weiß«, brummte der Freund und verbarg die leicht knubbelige Assad-Nase hinter seinen Händen.

In den Nullerjahren fiel ihm die Ähnlichkeit zum ersten Mal selber auf, er vergaß sie jedoch wieder, handelte es sich doch lediglich um irgendeinen Nahost-Autokraten wie alle anderen auch. Doch während die meisten anderen in den Wirren des Arabischen Frühlings verschwanden, stieg der lethargisch wirkende Syrer zu einem der blutigsten Despoten des 21. Jahrhunderts auf. Natürlich sprechen die Menschen meinen Freund darauf an, zum Beispiel am Strand von Borkum, wo er seine Sommer verbringt. Erhobener Zeigefinger, zusammengekniffene Augen: »Momentchen, eine Frage! Sind Sie nicht ...?« Natürlich siezen ihn die Leute. Niemand würde Assad duzen, nicht mal die plumpvertraulichen Urlauber aus NRW. In der Hochphase des syrischen Bürgerkriegs gab es auch Passant*innen, die meinen Freund finster anstarrten, die meisten aber schienen die Sache eher locker zu nehmen. »Grüß dich, Assad!« sagten ihre jovialen Blicke. Ganze Akademikerfamilien winkten ihm lässig zu. Es sind dieselben Leute, die auch die Lektüre der Bild-Zeitung von Zeit zu Zeit ganz spannend finden oder Rassisten in Talkshows.

Die Ähnlichkeit ist frappierend.

Oder soll man seine Mitmenschen besser gar nicht auf solcherlei Ähnlichkeit ansprechen? Vielleicht weiß es die Person noch nicht und würde es niemals erfahren, ja friedlich und unwissend bis ans Ende ihrer Tage vor sich hin leben. Menschen nehmen sich selber ja immer etwas anders wahr. Ich zum Beispiel finde, dass ich aussehe wie Greta Garbo, aber andere sagen, wie Saskia Esken. Ab wann ist so ein Fingerzeig pietätlos? Wäre es bei Viktor Orbán unangebracht? Was ist mit Frank Thelen? Oder Judas? Kriegt man bei einer sachte angedeuteten Marco-Buschmann-Analogie bereits auf die Fresse? Ja, sieht denn wirklich irgendwer aus wie Marco Buschmann? Es gibt Menschen, die haben eine derart individuelle, ja richtiggehend überkomplexe Visage, dass man sich keine*n einzige*n Doppelgänger*in vorstellen kann. Wer hat schon so viele einzigartige Knubbel und geplatzte Äderchen wie Richard David Precht? Die Gesichtsforschung sagt jedoch etwas anderes. Die Gesichtsforschung sagt, jeder Mensch habe auf dieser Erde ca. sieben Doppelgänger*innen, die ihm oder ihr zum Verwechseln ähnlich sehen. Bei einigen sind es auch mehr. Mehrere meiner Gymnasiallehrer sahen aus wie Heinrich Himmler, eigentlich alle, doch Glück gehabt, kaum jemand kennt dessen Gesicht.

Gibt es auch Kommentare, die den oder die Angesprochene nicht kränken und den oder die Sprecher*in sogar noch gut dastehen lassen? Aber ja. Ich würde gerne mal mit anhören, jemand sähe aus wie Brigid O’Shaughnessy in »Der Malteser Falke« aus der Feder von Dashiell Hammett. Oder wie Dante Alighieri. Oder wie der junge Banksy. Anerkennende Blicke sind dabei garantiert. Überhaupt Kunst! Getrost kann man sagen, jemand sehe aus wie eine dieser zerflossenen, matschigen Uhren von Salvador Dalí, was zu jedem Morgenmuffel passt und auch nicht blöder klingt als die Redewendung, man sehe aus wie Braunbier mit Spucke oder gucke wie ein Auto. Letzteres ist ohnehin zu unpräzise, weil mittlerweile eine beeindruckende Bandbreite an Scheinwerfer-Typen existiert, von den selten gewordenen runden Glubschern bis zu den neuen, schlitzartig-kessen.

Nicht sagen sollte man hingegen einem männlichen Gesprächspartner, er sehe aus wie einer dieser Krawatten-Trottel aus der Zeichenfeder von Til Mette, die übrigens auch alle fliehende und phlegmatische Kinne haben. Auch nicht sagen darf man einer Dame, ihre Brüste hätten übergroße Ähnlichkeit mit denen in den Cartoons von Hauck & Bauer, welche stets schlaff und welk herabbaumeln, während die Brüste in den Cartoons von Loriot eher flach, aber dafür seltsam in die Breite gehend sind, aber so war das nun einmal in der alten BRD.

Frauen haben auf dem Feld der unvorteilhaften Doppelgängerei übrigens weniger zu befürchten, da es nur wenige berühmte Tyranninnen gibt. Elena Ceauşescu fällt mir ein, Kleopatra, die Herzkönigin, Ursula von der Leyen und natürlich Katharina die Große, doch selbst bei dieser müsste man erst umständlich googeln, ob sich der Vergleich nun eher auf das Gemälde von Fjodor Rokotow oder das von Johann Baptist Lampi bezieht. Auch die Blutgräfin Báthory umgibt bis heute eine finstere Aura, aber wie die Gräfin genau ausgesehen hat, wissen nicht mal die Ungar*innen.

Dieser Mann sieht aus wie Klaas Heufer-Umlauf, verkleidet als Lenin, ist aber der zu Recht in Vergessenheit geratene Prof. Dietrich Schwanitz.

Am Ende sieht halt jede*r aus wie irgendwer. Der Ehemann einer Bekannten sieht aus wie George Clooney. Als ich sie zum ersten Mal in ihrem Reihenhaus besuchte, weihte sie mich gleich an der Tür darin ein, denn ich solle nicht erschrecken und ihren Mann bitte, bitte nicht darauf ansprechen. Klar, sagte ich und folgte ihr in die Küche. Da stand George Clooney. »Oh my god! Clooney!« krähte ich und und bettelte bereits nach einem Autogramm. Jaaa, seufzte er und rang die prankengleichen Clooney-Hände. Es sei wie ein Fluch, seit dreißig Jahren: das gleiche fein gemeißelte Gesicht, die gleichen tighten, nachtschwarzen Anzüge und der gleiche kultivierte Fassonschnitt – was soll er machen? Er hasse es. Es sei so anstrengend. All die Blicke der Frauen. »So viele Blicke!« rief er aus und schlug das silberhaarige Haupt drei Mal gegen die Kücheninsel.

Der Mann soll sich nicht so anstellen. Es gibt Schlimmeres.

Zum Beispiel, wenn jemand sagt, man sehe aus wie die eigene Mutter, oder wie Kevin Spacey oder Johnny Depp. Niemand will mehr wie Kevin Spacey oder Johnny Depp aussehen, nicht mal mehr die Incels, die lieber wie Robert Habeck aussehen wollen. Alle Männer wollen wie Robert Habeck aussehen, auch dessen vier Söhne, auch Assad, auch Clooney. »Wow, du siehst ja genau aus wie der Habeck« ist ein wunderbarer Start für ein Partygeplänkel. Jede vielversprechende Ehe fängt heute so an.

Einmal ist mir auf einer Party etwas Herrliches passiert. Ein mir bis dahin unbekannter Gast beugte sich quer über das Buffet zu mir herüber und raunte, ich sähe aus wie Christian Bale. Den ganzen Abend war ich in Hochstimmung. Ich, Christian Bale, der Hollywood-Mime, der Menschenmagnet und Stiefsohn der berühmten Feministin Gloria Steinem! Das war meine Nacht. Ich tanzte wie Christian Bale. Ich rauchte wie Christian Bale. Ich wartete in der Kloschlange wie Christian Bale. Ich untersuchte den Inhalt des Spiegelschränkchens im Bad wie Christian Bale, denn das würde er tun, aus reiner Menschenneugier und Langeweile, denn es war wirklich eine sehr öde Party. Ich fuhr mit dem Fahrrad Schlangenlinien wie Christian Bale, Schlangenlinien des Triumphs. Zuhause sah ich in den Spiegel. Mein Blick war so breiig wie mein walisisch-kalifornischer Akzent. Erst vorm Einschlafen dachte ich darüber nach, welcher Bale: der schöne, glatt rasierte, athletische Schmierlappen aus »Batman Begins« oder der aufgedunsene, komplett fertige, über und über behaarte Spinner aus »American Hustle«, und letzteres gefiel mir eigentlich noch besser.

Leider hörte ich diese zauberhafte Bemerkung bislang nur ein einziges Mal und damit sechs Mal weniger als den Vergleich mit Saskia Esken. Bedeutet das, dass sich Bale und Esken ähnlich sehen? Logiker würden das verneinen. Die beiden könnten auch meine Eltern sein, und das ist auch eine hübsche Vorstellung. Bale und Esken wären ein herrliches, harmonisches Paar, da bin ich mir sicher, und dass sie 13 Jahre älter ist, machte es nur noch prickelnder. Sie führte ihn in sämtliche Geheimnisse der Liebe ein und der Sozialdemokratie seit 1863. Keinen Unterpunkt der aktuellen, 103-seitigen Parteisatzung ließe sie dabei aus. »Wow«, raunte Christian Bale, ehe er ab und an ein »Amazing!« einstreute oder »they really are against poverty? Cool«, während er dabei unablässig an Eskens spitzenbesetzten BH-Träger zupfelte – und das ist ein schönes, ja geradezu malerisches Schlussbild für diese Kolumne.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hände hoch, Rheinmetall-Chef Armin Papperger!

Laut einem CNN-Bericht lagen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten Hinweise zu russischen Plänen für einen Angriff auf Sie vor. So etwas nennt man dann wohl »jemanden mit seinen eigenen Waffen schlagen«!

Mörderpointe von Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

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03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
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