Inhalt der Printausgabe

False Friends in Falkenfels

von Ella Carina Werner 

Ich habe einen Freundeskreis, der zu 90 Prozent aus Schriftstellerinnen, Grafikern, Kinderbuchillustratorinnen und anderen »Künstlern« besteht, und niemand davon ist mir nützlich.

Lieber hätte ich einen Elektriker unter meinen Gefährten, der nach einem anständig verbrachten Arbeitstag noch »auf ’nen Sprung« vorbeikommt und sich meine kaputte Waschmaschine vorknöpft. Aus dem Gummiteil der Waschtrommel kratzte er grauen Schleim und Haare, während wir die herrlichsten Themen bequatschen: Pazifismus, weiblichen Battle-Rap und den Sinn des Lebens, der für Tobi, wie er in meinen Träumen heißt, darin besteht, immer für seine Freunde da zu sein, »immer!«, wie er glühend ausruft, die Rohrzange in der Faust, ehe er wortreich das Selbstbild der Deutschen demontiert und das Flusensieb meiner Waschmaschine.

Die Kinderbuchillustratorin kann ich dafür nicht fragen. Die würde nur doof aus der ungewaschenen Wäsche gucken wie ihre hingetuschte Brillenschnecke, und der Grafiker würde das Display der Waschmaschine betrachten und sagen: »Ich kann nur Apple.«

Gern stünde ich auch einer Ärztin nahe, Fachrichtung Allgemeines & Krankschreibungen. Statt witziger Katzen-GIFs schickte ich ihr animierte Nahaufnahmen meiner amüsantesten Furunkel (»Ist das Krebs?«) und Grützbeutel (»Oder das?«), jeden Tag, die sie stets mit Keep-Smiling-Smileys parierte, und natürlich wäre immer alles gutartig, so gutartig wie ihr Gemüt.

Außerdem gut im Freundeskreis: Eine Fahrradflickerin, ein Traumdeuter, eine Mäzenatin, ein Eiswagenfahrer, die Inhaberin eines Schlüssel-Notdienstes sowie ein Basketballspieler, weil der oben an meine verstaubten Küchenschränke mit dem Lappen herankommt.

Schlüsselfrage: Wie verfahren mit Steuerberatern? Einerseits sind sie von Nutzen, andererseits von unangenehmer Natur und beliebt wie Käfer in Schuhen. Niemand möchte mit einem Steuerberater privat beim Picknick gesehen werden, weshalb sie nur miteinander verkehren, geistig-seelisch und sexuell. Riesige, unangenehme Steuerberatercliquen sieht man sonntags im Schlosspark auf Patchworkdecken herumlümmeln. Sie futtern Bagels, roten Kavier sowie Baked Beans aus der Büchse und wischen sich die tropfenden Mundwinkel mit ausgedruckten Anlage-Sonstiges-Blättern ab.

Party im PEN-Zentrum

Sympathischer wäre mir da ein Sterbebegleiter, weil diese immer gut zuhören können, einfühlsam und niemals egozentrisch sind. Es sei denn, sie sind es doch, und das ist auch unterhaltsam und eine hübsche Vorstellung: Ein egomaner, hypochondrisch veranlagter Sterbebegleiter mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung im Hospizgärtchen beim gemeinschaftlichen Spaziergang – der letzte vielleicht für seine Gesprächspartnerin, die mit dünner Stimme von diesem einen bewegenden Telefonat erzählt. Das ist das Stichwort. Der Sterbebegleiter, er heißt natürlich Maximilian von Irgendwas, schlägt sich auf die Stirn, dann schnipst er mit dem Finger: Upsa, da falle ihm gerade etwas ein! Wenn er flugs etwas einflechten dürfe … und schon ergießt sich auf sein wehrloses Opfer ein Schwall unwichtigen Laberbreis unter dem larmoyanten Lächeln eines Cristiano Ronaldo (»Vielleicht hassen sie mich, weil ich zu gut bin«), vom letzten fernmündlichen Streitgespräch mit der Schwiegermutter, den jüngsten Einschlafproblemen und einem grausamen Leben mit Knirschschiene.

Auch Diplomaten, möchte man meinen, sind im Umgang respektvoll und stets um Ausgleich bemüht, doch aufgepasst: Das Gegenteil ist der Fall. Privat sind sie alle richtig schön undiplomatisch, diese cholerischen Feuerköpfe, die ihren Kumpels aus Jux und Tollerei die Badehose herunterziehen, die jedem ihre ungefragte Meinung vor den Latz knallen und noch den langjährigen Sandkastenfreund vor den Kopf stoßen, am liebsten mit einer Grillzange – das volle Programm, um »Berufliches und Privates zu trennen«, das ist ihnen sehr wichtig, und wer möchte dies nicht verstehen?

Aus ähnlichem Grund sollte man auch Köche privat unbedingt meiden. Einst war ich mit einem – ein Sternekoch aus dem »Hotel Atlanic« – gut bekannt. Flatterte durch meinen Türschlitz eine Einladung zu seinem Geburtstag, troff mir sogleich der Speichel aufs Kärtchen – doch worst case, sobald ich’s aufklappte: »BOTTLE PARTY!« Wieder so eine saudoofe Jeder-bringt-was-mit-Fete, weil der Freund »privat für Freunde nie koche«, die Arschgeige. Als ob Notärzte beide Lebenssphären je trennen könnten. Als ob Schauspieler sie je trennen wollten. Als ob ein Grafiker sich nach Feierabend schweinische Bildchen reinpfiffe auf einem Smartphone mit Android-Betriebssystem. Als ob eine Meinungsforscherin je auf Partys abschalten könnte und nicht die hölzernsten Smalltalk-Fragen heraushaute am laufenden Band.

Manchmal ist die Durchmischung von Privat und Beruflich auch ganz erfrischend. Gut sind befreundete Fahrkartenkontrolleurinnen, weil da jede zufällige Begegnung im Nahverkehr immer gleich so eine kribbelige, persönliche Ebene bekommt und herrlich unsachlich wird. Trifft sie dich in der Bahn ohne gültige Fahrkarte an, rollt sie mit den Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist: »Du wieder?« Schweres Seufzen, die Lippen verächtlich verzogen: »Das war ja klar!« An der Kapuze zerrt sie dich nach draußen, und zwar immer ein bisschen zu fest.

Stadtplaner privat

Im Freundeskreis also lieber keinen Koch, keine Meinungsforscherin und auch keinen Investmentberater, welche zwar liebe und grundehrliche Leutchen sind, ihr Verwendungswert für mich »als Künstlerin« ist jedoch gleich Null. Viele Berufe sind für mich vollkommen nutzlos. Andere, die mir dienlich wären, sind grundlos verschwunden. Man denke nur an den Abtrittanbieter, einer der sinnvollsten und ehrbarsten Berufe der vorindustriellen Zeit. Bis weit ins 19. Jahrhundert, als öffentliche Toiletten noch unbekannt waren, gehörten sie zum Stadtbild dazu. Und noch heute – promeniert man durch einen weitläufigen Park oder über ein belebtes Festivalgelände, und kein anständiges Klo ist in Sicht – wünscht man sich diese Werktätigen herbei, mit ihren Eimern und riesigen, zeltartigen Mänteln, unter die man schlüpfen und, gegen einen fairen Obolus, seinen Darm entleeren, d.h. richtig schön losscheißen kann und dabei ein bissl träumen und die Süddeutsche lesen von vorne bis hinten. Von außen dringt gedämpft das Zwitschern der Vögel sowie nach ca. 20 Minuten die erste Ermahnung (»Beeilung«, »Mach hinne!«), weil die nächste Interessentin bereits gegen den Mantelstoff klopft oder wie von Sinnen hämmert, was mit einem »Momentchen, nur noch die Prantl-Kolumne!« gemütlich pariert werden darf. Und doch, für diese jahrhundertealte Dienstleistung gibt es keinerlei Azubis mehr, nicht einmal in der Lausitz oder im Münsterland, wo sich die Zeitläufte ja sonst immer etwas später ändern. Den jungen Leuten ist wohl das Lehrgeld zu gering, lieber wollen sie sich als Schriftstellerinnen oder Grafiker den Rücken krumm hocken und meine schönen Geburtstagsfeiern bevölkern, und zwar nicht zu knapp.

Da stehen sie also dumm herum: Drei Dutzend Schriftstellerinnen, Grafiker und Illustratorinnen, obwohl man letztere aber nie sieht, weil sie unter meinem Sofa die Wollmäuse abzeichnen. Nach Mitternacht spielen wir alle zusammen »Wahrheit oder Pflicht«, wobei niemals jemand irgendeine »Wahrheit« zum Besten gibt, sondern immer irgendeinen zugespitzten, halbautobiografischen Scheiß. Danach: Unvermeidliche Diskussionen, Getrommel und Getöse, dass es zugeht wie im Taubenschlag bzw. im Machtzentrum des PEN, ehe mir jemand ungelenk auf die Schulter klopft: Wie zufrieden ich denn eigentlich mit der Arbeit der neuen Bundesregierung sei? Und welche meine favorisierte TK-Pizzamarke? Oh Schreck, eine Meinungsforscherin, eine Partycrasherin par excellence, und am Gartentor lungern bereits die Steuerberater, treten die Straßenlaternen aus und warten auf Ärger, während in meiner Wohnung irgendjemand meinen Fernsprecher für Telefonstreiche missbraucht, den nackten Arsch in die Mandarinentorte hält und sich im Anschluss als der neue Lebenspartner der Brillenschneckenzeichnerin vorstellt, von Beruf Diplomat …

Heute weiß ich, was meine Eltern meinten, als sie sagten, ich solle mich nicht mit »den Falschen« anfreunden.

Allzu viele Freundschaften sollte man ohnehin nicht pflegen, möchte man in unserer Gesellschaft als sensibel und durchgeistigt wahrgenommen werden. Insbesondere unter Männern gelten wenige Freunde seit jeher als Ausweis einer profunden Persönlichkeit. Der Schriftsteller Philip Roth hatte zeitlebens zwei, Ed Sheeran nennt in Interviews gerne drei, Brad Pitt eine vage »Handvoll«, während Reinhold Messner mit stolzen »sieben« prahlt, sechs davon Yaks auf seiner Tiroler Farm. Dabei sind drei Freunde meines Erachtens ideal. Zu viert kann man immer Doppelkopf spielen. Zu viert kann man die alte, kaputte Waschmaschine auf den Kleintransporter hieven und zum Recyclinghof abtransportieren. Zu viert kriegt man immer ein Großraumtaxi oder ein preisgünstiges Gruppengrab.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg