Inhalt der Printausgabe

OK TALIBOOMER!

DER GENERATIONENKONFLIKT DER TALIBAN

Für ein buntes Afghanistan!

 

Ganz anders als die Alten sollen sie sein: Die neue Generation der Taliban ist am Drücker. Gemäßigter, gerechter, geöffneter (dem Westen gegenüber / die Staatskassen), gegenderter – so präsentieren sie sich derzeit der Weltöffentlichkeit, während die Taliban der 90er über die Weichheit ihrer Nachfolger nur die Geköpften schütteln. Die Schlucht zwischen den Talibangenerationen klafft tief wie eine Wunde, die einem Ungläubigen von einem Ü60-Taliban zugefügt wurde. Doch: Wo liegen wirklich die Unterschiede zwischen den jungen und alten Gotteskriegern? Wo gibt es Kontinuitäten? Wo findet sich Kompromissbereitschaft und wo drohen bürgerkriegsähnliche Zustände (z.B. in Form eines Bürgerkrieges)? TITANIC checkt die wichtigsten Konfliktherde.

BEZIEHUNGEN

Trotz tiefer Gräben kehren die weltoffenen Jungtaliban an den Verhandlungstisch mit den USA zurück, was die Alten mit harscher Kritik (derbe Facebookposts) quittieren. Ein noch größerer Generationenspaltpilz ist nur der Islamische Staat (IS). Vertreter des IS werfen den neuen Taliban vor, sich zu sehr an den Westen anzubiedern, und halten sie generell für »zu lame«. Einige ältere Taliban liebäugeln trotzdem mit dem Islamischen Staat. Videos wie »Die neun Leben des Deso Dogg« haben zu ihrer Radikalisierung beigetragen, aber auch ihre Abneigung gegenüber der jungen Generation, welcher »nicht mal der Dschihad heilig« sei.

Die neue Generation: Lemar Ashur (19)

Raucht nur CBD

»Absolut peinlo finde ich, was die Taliban der Nineties abgeliefert haben. Für mich war das Politik auf Wish bestellt! Die haben so viel Scheiße gebaut, das war ja teilweise schon selbstverletzendes Verhalten. Mich nervt außerdem, dass einen die Leute immer noch auf die angeblichen Gräueltaten unserer Vorfahren ansprechen. Ich bin nach 2001 geboren, ich schulde der Welt einen Scheiß!«

Die alte Schule: Amar Mullah (62)

Trotz allem glücklich in Rente

»Obwohl sie das ständig von uns verlangen, finde ich doch: Wenn hier jemand mal seine ›Privilegien checken‹ sollte, dann doch wohl die Jungen! Stellen die beklopptesten Forderungen, aber kämpfen nur auf dem Bildschirm. Starren immer nur auf ihr Smartphone, aber hinterfragen nichts! Und wissen nicht mal, dass 9/11 ein Outside Job war.«

INNENPOLITIK

Die Abhängigkeit der Taliban von internationalen Hilfsgeldern hat Einfluss auf die Innenpolitik, weil der Westen für die Spenden Zugeständnisse bei Menschen- und Frauenrechten fordert. So kann sich die junge Realo-Riege vorstellen, Mädchen bis zum Alter von zehn Jahren zu unterrichten (statt bisher acht) und Frauen ausnahmsweise zu erlauben, für Zahnbehandlungen die Burka abzunehmen. Alte Taliban- Fundis lehnen dies jedoch vehement ab. Gleichzeitig werfen sie den Jungen vor, blutige Kämpfe nur von Youtube zu kennen, aber vor realen Auseinandersetzungen zurückzuschrecken, eben typisch Generation Schneeflocke! Die Millennials wollen ihre Work-Life-Balance nicht zu kurz kommen lassen und haben Angst, im Bürgerkrieg einen Burn-out zu erleiden. Außerdem: Hätten ihre Eltern nicht in den 90ern das Drachensteigenlassen verboten, hätte der Nachwuchs heute nicht so große Probleme, Drohnen zu steuern.

Dem Thema mental health soll in Zukunft eine größere Bedeutung beigemessen werden; hier ein Bild von früher.

WIRTSCHAFT

Auch wirtschafts- und geldpolitische Fragen spalten die Taliban-Generationen. Die Älteren haben Angst vor Inflation und trauen den Talibanken nicht. Die Folge: Sie stürmen regelmäßig die Filialen, der Bankensektor wird destabilisiert, Bargeld wird knapp. Die Jüngeren wollen am liebsten nur noch mit dem Smartphone bezahlen, aber die Gesichtserkennung für Bärtige steckt noch in den Kinderschuhen. Westlichen Produkten gegenüber zeigen sie sich offener, wünschen sich Bubble Tea in Teehäusern, was Ältere als »Konsumterror« bezeichnen. Auch bei den Einnahmequellen herrscht keine Einigkeit: Während frühere Talibangenerationen Opiumhandel betrieben, lehnen die neuen Entscheider dies ab, da Mohnokulturen dem Klima und der Artenvielfalt schaden. Menschenhandel und Entführungen sind bei den Generationen Y und T zwar verpönt, weil sie dem Ruf des Landes im Ausland schaden, gelten aber bei Jung und Alt als unverzichtbar für den Wirtschaftsstandort.

SOZIALES

Der Streit um die Rente ist sozialer Sprengstoff zwischen den Generationen. Die Jungtaliban predigen Vorsorge, weil sie dem Motto ihrer Eltern – »Leben bis zum Anschlag« – nicht mehr folgen wollen. Ganz pragmatisch wollen die aktuellen Taliban Frauenerwerbstätigkeit in den Bereichen Pflege und Gesundheit erlauben, was die Alten missbilligen. Generationenübergreifendes Streitpotential bietet das Thema Kindererziehung: Sie ist eigentlich alleinige Aufgabe der Frau, eine Mutter darf ihrem Sohn jedoch nicht widersprechen. Mischt sich aber der Vater in die Erziehung ein, drohen ihm Strafen.

Nicht tot­zukriegen: die traditionelle ­Teekultur

IDEOLOGIE

Klar, der Islam wird auch bei den Taliban 2.0 weiterhin groß geschrieben (16 pt auf allen öffentlichen Schriftstücken). Das Regelwerk, an dem sich das Leben der Menschen ausrichten soll, bleibt die Scharia. Twen-Taliban tragen teilweise selbstbewusst Kapuzenpullis mit dem darauf gedruckten Wort. Doch es soll lockerer zugehen, Regeln sollen nicht mit aller Konsequenz und nicht in jedem Fall durchgesetzt werden, Willkür eben. »Scharia, Schmaria«, nennen die neuen Regierungsvertreter ihr Wertesystem und lachen dabei – mit ihren Augen. Zum Thema »Gendern« gibt es einen lebhaften Diskurs.

MEDIEN & DIGITALISIERUNG

Die Medien sind im Taliban-regierten Afghanistan des 21. Jahrhunderts ganz klar die vierte Gewalt, nach Hibatullah Achundsada, Mohammed Yakub und Siradschuddin Haqqani. Und man weiß heute besser denn je, sie für sich zu nutzen und sich gut zu inszenieren. So wurde zum Beispiel erst vergangenen Monat ein Ringlicht gekauft, um damit fortan attraktive Statement- Videos gen Westen auszusenden. Auf TikTok gibt es außerdem jeden Montag eine Fatwa-Challeng, und eine Katastrophen-App soll vor neuen Besatzungen warnen. Doch auch im Netz ergeben sich eine Reihe generationenübergreifender kultureller Streitfragen: Darf man unverschleierte Smilies nutzen? Und was tut man, wenn Frauen anonyme Selfies bei Insta posten und sich in Foren darüber austauschen, wie man den Ehemann in den eigenen vier Wänden ghostet? Sicher ist jedenfalls, dass alle Schüler iPads bekommen. Amerikaner haben vor kurzem Tausende zurückgelassen. Dass eine Gruppe Rentner-Taliban gerade ein Comeback und eine Terror-Tour als Hologramme plant, ist hingegen nur ein Gerücht.

Aus dem Archiv

UMWELTSCHUTZ & GESUNDHEIT

Weltweit ist das Klima zwischen den Generationen ein besonders explosives Thema – auch bei den Taliban. Überall in Afghanistan öffnen kleine von der Regierung unterstützte vegane Lädchen (»Vetaligan«), denn die progressiven Jungen setzen besonders auf Gesundheit und Nachhaltigkeit, so ein Insider (Jürgen T.). Deswegen lehnen sie auch jegliche Rauschmittel ab, während einige Althippie-Taliban ab und zu heimlich kiffen oder Pilze konsumieren. Plastikröhrchen sind mittlerweile verboten, Auslandsflüge vorerst komplett gestrichen, ein Böllerverbot an Silvester wird zumindest diskutiert. Währenddessen warnt die Ü50-Generation vor einer Verbotskultur.

Die neuen Freiheiten der Frauen

ARBEIT UND BILDUNG

Früher wie heute sorgt die schwache Wirtschaft für sehr hohe Arbeitslosigkeit. Deswegen sind alle Afghanen (m/w/d), die mindestens über einen Enthauptschulabschluss verfügen, derzeit aufgerufen, sich mit kreativen Start-up-Ideen zu bewerben; Investitionsmittel sollen dabei am besten direkt mit angegeben werden. Eine große Sorge für Nichttaliban besteht momentan darin, dass die Teilhabe von Frauen an Bildung und dem Arbeitsmarkt wieder komplett zurückgefahren wird, wie damals in den 90ern. Aber: Frauen sollen unter den neuen Taliban auch Professorinnen werden können. Wenn ein Mann sie ausbildet, sie zu ihren Veranstaltungen begleitet, bei den Prüfungen ihre Hände beim Schreiben bewegt, seinen Namen darunter schreibt und dann für die Frau den Titel entgegennimmt. Auf diese Weise soll es in den nächsten Jahrzehnten unzählige Professorinnen der Herzen geben. Die Alten schreiben derweil wütende Kolumnen über die irren Entwicklungen an diesen »Eliteunis«.

Paula Irmschler/Julia Mateus

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt