Inhalt der Printausgabe

Mein Hort der Ruhe und Entspannung

von Ella Carina Werner

Immer wenn mir nach entspannten Gesprächen, zwanglosem Lounge-Ambiente und gutem Kaffee zumute ist, ziehe ich meinen schicken roten Mantel an und gehe zur örtlichen Sparkasse. Hinter den zwei, drei offiziellen Schaltern für Eilige entfaltet sich eine eigene Welt: eine herrliche, lichtdurchflutete voller flauschweicher Sitzecken, Schmökerbücher, einem Kaffeevollautomaten und Acryl-Gemälden mit fliederfarbenen Flamingos. Ich versinke im nächsten Lounge-Sessel einer dänischen Designmarke, strecke alle Viere von mir und ordere den ersten Cappuccino Speciale. Mit anderen herumlümmelnden Kunden entspinnen sich interessante Gespräche, aber auch uninteressante Gespräche sind hier okay, denn der Kaffee fließt in Strömen und ist umsonst.

Hintergrundinformation: Seit ein paar Jahren baut die Hamburger Sparkasse ihre vormals finsteren, karg möblierten Filialen voller grauer Resopalplatten, Neonröhren und Stumpfsinn in Tempel der Behaglichkeit um, »mit Loungeecken, Kaffee und kostenlosem WLAN, um einen Treffpunkt für die Hamburger Nachbarschaft zu schaffen«. Ein »Open Space«, in dem Anwohner sich austauschen können, z. B. darüber, wer wie viel Geld auf dem Girokonto hat. Unter dem Motto »Sparkasse 4.0« werden alle Dependancen »für den richtigen ›feel at home‹ Charakter loungig eingerichtet«, und ich könnte mir vorstellen, dass sie für Premium-Kunden noch einen Kasten Craft Beer, ein Bällebad und einen Tischkicker in der Hinterhand haben. Alles sieht jetzt anders aus. Auch mein Bankberater sieht anders aus, mit Undone-Frisur und tight geschnittenem Hemd. Und er redet auch anders, sagt nicht mehr »Guten Tag«, sondern »Hallo, hallo!«. Wir plaudern über meinen neuen Dispo, Jan Delay und postmigrantische Literatur, ehe bereits der zweite Cappuccino anrollt, mit Milchschaum nicht zu knapp.

Die Bankleute lieben mich, denn ich habe auf meinem Konto nur sehr wenig Geld. Aufgrund der aktuellen Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist es für Banken derzeit von Nachteil, zu viel Geld zu haben. Deshalb brummen sie allen Kunden, die mehr als 50 000 Euro auf ihren Sparbüchern und Girokonten herumliegen haben, Strafzinsen oder auch »Negativzinsen« auf.

Das war mal anders. Lange Jahre galten Sparer als Stützen der Gesellschaft, als Leuchttürme der Weitsichtigkeit und Vernunft. Kleinsparer wurden in einem Atemzug mit Wirtschaftsweisen, DDR-Bürgerrechtlern und Trümmerfrauen genannt. Und noch als ich Kind war und mein Erspartes am Weltspartag in die Filiale trug, wurde ich dafür mit Kaubonbons, Jo-Jos made in Taiwan und einem kriecherischen Lächeln belohnt.

Heute ist Sparer in der Finanzwelt gleichbedeutend mit Parasit und Sackratte. Dödel, Pupskopf, Schweinebacke, die Synonyme reißen nicht ab. Seltsam ist das. So wie die Mädchen zu meiner Schulzeit die netten Jungs immer verschmähten, weil diese »zu nett« waren. Die netten Jungs verstanden das nicht, weinten und wurden aus lauter Verzweiflung noch netter, später drogenabhängig, gemütskrank und nach dem Fach-Abi Clochards oder TV-Moderatoren von trübseligen Mittagsmagazinen. Womöglich ist es mit dem vielen Geld ein Platzproblem. Wie muss das erst früher gewesen sein, als Zahlungsmittel wirklich raumgreifend waren, so wie die Kauri-Muscheln in Guinea. Damals war jede Finanzinstitution großzügig unterkellert, unterirdische Gänge und Grotten überall, um den ganzen Zaster irgendwie zu lagern. Am Weltspartag standen die Sparer vor den Filialtoren und rasselten mit ihren Spardosen, groß wie Kleinwagen, und dennoch waren nach jedem Börsencrash alle Kauri-Muscheln der Kleinsparer, huch, plötzlich weg.

Filialleiter Stefan S. im Kundengespräch (Abb. ähnlich).

Kurz, Menschen mit viel Geld auf dem Konto werden von Bankern heute verachtet, und wer will es ihnen verdenken. Kommt ein stinkereicher Pensionär in die Filiale – stinkereiche Pensionäre sind in dieser Hansestadt eine wahre Plage –, von seinem Buckel wuchtet er einen Geldsack und lässt ihn, krawumm!, auf den hübschen neuen Holzboden rumsen. »Für euch, ihr Arschgeigen!« ruft der Sadist und krakeelt am Weltspartag noch nach Gratis-Luftballons. In den Augen der Bankangestellten ist in diesen Momenten kein Leuchten, sondern blanker Hass. Schweißtropfen bilden sich auf ihren zerfurchten Stirnen, in ihren Herzen entstehen tödliche Ödeme, und es ist, als ob auf ihren Schultern alle 3374 Tonnen Goldreserven dieses Landes lasten.

Natürlich wahren die Banker die Beherrschung, das müssen sie, das lernen sie in der Ausbildung, wie Milch aufschäumen und geschmeidig über spannende Stadtteilkulturprojekte plaudern. »Muss das sein?« sagen sie allenfalls gedehnt und rollen mit den Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist, oder »Oooh, danke schön!« mit herrlich süffisantem Unterton und letzter Contenance. Einen Cappuccino und Zugang zur Lounge-Landschaft kriegen die Vielsparer natürlich nicht, nur Filterkaffee, in der Mikrowelle aufgewärmt, sowie ein fehlerhaftes WLAN-Passwort, um die Mistmaden endlich loszuwerden.

Das Einzige, was Bankmitarbeiter noch mehr hassen als Sparer, sind sparende Kinder. Die Sparkassenleute verabscheuen die Kinderkonten, denn 2 bis 4 Prozent Zinsen sind hier Pflicht! Es soll niederträchtige Eltern geben, die extra viele Nachkommen zeugen, um immer neue Kinderkonten anzulegen und ihr ganzes Geld gratis zu parken, denn Strafzinsen gibt es auf Kinderkonten nicht. Von sechsstelligen Überweisungssummen mit dem Verwendungszweck »Für Finja zu Weihnachten ;-)« hat man schon gehört. Wenn heutzutage Kinder am Weltspartag ihr Sparschwein vorbeibringen, gibt’s Witze über ihre Segelohren, als »Dank« Jelly Beans mit Scheißegeschmack und Visitenkarten der Volksbank.

Die Slogans der Sparkasse und anderer Banken sind übrigens alle veraltet und müssten angepasst werden. Statt »Sparen, sparen, sparen« könnte ich mir ein freches »Nicht sparen, nicht sparen, nicht sparen« als millionenschweren Claim von Jung von Matt vorstellen. Ansonsten: »Balearen statt Sparen«, »Lieber Spare-Rips als Spare-n« oder »Zu viel Asche in der Tasche? …«, na, und so weiter. Als Testimonial wäre ein kerniger, lebensfroher Bursche wie Jens Riewa ideal. Moderne Bankmitarbeiter animieren ihre Kunden bereits seit Jahren dazu, riskante Finanzgeschäfte zu tätigen, bei denen maximale Rendite winkt, z. B. beim Roulette. Ein bisschen sparen muss jedoch erlaubt sein, vor allem bei der Sparkasse, die sonst ja Spekulierkasse heißen müsste.

Nicht selten brennt in meiner schönen, runderneuerten Filiale abends noch lange Licht. Ich vermute, dass die Mitarbeiter nach Feierabend in dieser herrlichen Sitzlandschaft noch eine Weile beisammen hocken und klönen über dies (die Liebe) und das (Depressionen), denn zu Hause warten nur die arthritische Ehefrau und die brettharte Küchenbank. Natürlich wird dabei gesoffen. Cappuccino mit Likör, Cappuccino mit Korn, Korn mit Likör usw., und wenn alle richtig schön hacke sind: Rollenspiel-Abend! Dann Flaschendrehen, Hunderter in den Papierschredder stecken, Strip-Poker und der ein oder andere Exorzismus. Man wird das Gefühl nicht los, dass auch für die Kundschaft noch mehr geht, um die Anwohner dauerhaft an die Filiale zu binden: ein Lektürekreis mit gelben Reclam-Bändchen, Whiskey-Tasting, Dia-Abende oder spiritistische Séancen.

In Schweden horten sie ihr Geld in Keramik-Elchen, in Chile in den Hohlräumen und Windungen des eigenen Körpers, in Bulgarien gar nicht.

Die interessanteste Neuerung habe ich noch gar nicht erwähnt. Die einzelnen Beratungsecken sind kaum voneinander separiert. Halbe Glaswände stehen unverbunden herum, alles ist offen und transparent. So transparent, dass man dem Leben jederzeit seine Dramen ablauschen kann. In einer Ecke wird die Auflösung eines ehelichen Kontos abgewickelt, von auf- und abschwellenden Meckerstimmen flankiert, während im nächsten »Séparée« eine fünfköpfige Familie um einen Hauskredit bettelt. Letzten Monat sah ich einen mittelalten Mann im braunen Jackett. Er sprach leise, aber nicht leise genug. Er habe vor, sich eine Frau aus Russland zu »holen«, er bräuchte hierfür lediglich noch goldene Ringe und eine Finanzspritze von 15 000 Euro. Die Sparkassenmitarbeiterin skizzierte verschiedene Ratenkredite und riet, besser 20 000 »mobilzumachen«, für alle Eventualitäten. Am Ende einigte man sich auf 25 000. Der Trottel trank lediglich einen einzigen Café Crema. Wie anspruchslos kann man sein?

Doch woanders ist man noch weiter zurückgeblieben: Diesen Sommer urlaubte ich in einer fremden Stadt. Ich schlenderte durch die Fußgängerzone, da entdeckte ich zwischen Eiscafé und Burgerladen ein weißes, mit Pünktchen verziertes S auf rotem Grund. Mich überkam sofort eine behagliche Stimmung. Ich erwog, mich in einen der Lounge-Sessel zu fläzen, um ein Nickerchen zu machen und vom Kapitalismus ein Weilchen zu verschnaufen. Ich passierte die Glastür, schnippte bereits nach dem ersten italienischen Kaffeegetränk – und prallte gegen eine unsichtbare Wand des Grauens. Es handelte sich um eine stinknormale Filiale des letzten Jahrtausends, mit grauem Laminat, Neonröhren, in deren Licht jede Lebensfreude erlischt, und einer seelenlosen Batterie an Schaltern, vor denen man die ganze Zeit STEHEN muss. Verhältnisse wie in Ceaușescus Rumänien. Oder in der Deutschen Bank. Seltsam, dass viele Deutsche-Bank-Filialen noch heute so schmucklos eingerichtet sind wie ein Achtzigerjahre-Kreißsaal, obwohl doch gerade hier die Kunden mit dicken Bankkonten ein und aus gehen. Kein Wunder also, dass die Deutsche Bank seit Jahren an Privatkunden verliert – oder ist genau das ihr Ziel?

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg