Inhalt der Printausgabe

Die Platten für danach

Mit CD im Heft*

2020 war ein Jahr des Horrors: Einführung der Bonpflicht, Sturm Sabine, Forderung nach Verbot des Donau-Liedes, Nena, die Kür von Chemnitz zur künftigen Kulturhauptstadt, ein Roman von Dirk Rossmann – und dann war da noch eine weltweite Pandemie. Doch gerade die sorgte für unglaublich kreativen Output bei Musiker:innen. Nachdem wirklich niemand mehr bei Livestream-Konzerten reinklicken wollte, zogen sich etliche Singer/Songwriter in ihre Villen zurück und komponierten, was das Zeug hielt. Die ersten Corona-Alben sind schon draußen, für 2021 sind etliche weitere angekündigt (Universal-Newsletter). Diese Alben bringen uns bald back on track und lassen uns wieder etwas fühlen, falls wir denn noch leben.

SCOOTER

MAKE LOVE TO 2021 AND INVITE IT TO THE MOVIES

Mit »Fuck 2020« legte die Ballerkombo um Guido Cantz bereits eine beachtliche Notiz zum Zeitgeschehen vor. Hedonismuspassion und die Bereitschaft zur Kollision treffen sich auch auf dem Longplayer »MLT2021AIITTM«, der im Februar erscheint. Mit dem Existenzfatalismus der 2020-Single hat dieses Werk aber nur noch wenig zu tun, statt Ketamin gibt es hier Ecstasy, statt Kickboxen Karate, statt Wut Gemeinschaft, statt straight geht es jetzt up. Die Vergangenheit ist passé, die Discokugel dreht sich, als hätte sie nie beim Insolvenzberater gelegen. Das neue Album wird uns da weitermachen lassen, wo wir damals aufgehört haben: Zugedröhnt mit anderen Arschlöchern die Angearschten vergessen. »I hated Corona and if you hated Corona too let’s dance to the music«, »Last year you had no money, now get some Wodka-E for some penny«, »The Membrane is okay again«, »Rave is the real medicine« oder »Dödö dödö döp« dröhnt es da, der Bass schmeichelt zart mit den Lyrics ins Fressmaul rein.

DIE ÄRZTE

SATAN

Die Ärzte stellen auf ihrem Konzeptalbum (das Konzept lautet Rock), das in verschiedenen Onlinesessions mit anderen Musikern entstanden ist (Fettes Brot, Deichkind, 4Lyn, U2) eine Frage, die sich förmlich aufdrängt in dieser schnelllebigen Zeit: Gibt es heutzutage eigentlich noch Punkrock? Gewohnt ironisch legen Die Ärzte hier 10 Songs vor und wundern sich über jeden Depp, der da noch zuschlägt. Die Platte umfasst Quatschsongs wie »Sag, was ist, Bassist«, Hymnen wie »Sommer auf einer deutschen Insel (Westerland Teil 7)« oder mutige politische Lieder, die wie Zwischenrufe zu längst vergangenen Debatten klingen, wie »Covidioten« oder »Der orangene Mann im weißen Haus«. Musikalisch wurde wieder vor keinem Instrument Halt gemacht. Vorgestellt werden soll das Album beim Demokratiefest am Brandenburger Tor im Juli. Es folgt eine Tour durch alle deutschen Städte, die mit »E« beginnen, der Schwarzmarkt ist informiert und wird sich nach der Krise wirtschaftlich also wieder komplett sanieren können.

ANNENMAYKANTEREIT

ACH, MENSCH

Sie überraschen mit einem zweiten Lockdown-Album. Nach »12« schlägt es allerdings jetzt nicht »13«. AnnenMayKantereit brauchten nicht viel, um noch ein paar kreative Ergüsse aus sich herauszupressen und uns diese für das Versöhnungsjahr 2021 mitzugeben: Nur ein paar Instrumente, ein Home-Studio im Wendland und den Vorschuss von Universal. Aber AMK wären nicht AMK, wenn sie jetzt so täten, als wäre alles gut. Nein, die Jungs gehen für uns noch einmal richtig rein in den Schmerz und besingen das Leid, das alle so kennen, gekonnt schnörkellos. Anspieltipps: »Ich kann keine Nachrichten mehr sehen«, »Die Tapete ist schief« und »Du hast in der Zoom-Konfi traurig geguckt«.

RADIOHEAD

T.B.A.

Bisher ist es nur ein Gerücht auf Reddit: Radiohead wollen im kommendem Frühjahr angeblich spontan ein Album veröffentlichen. Der Clou: Sämtliche Vocals wurden wohl mit FFP2-Masken (da sind sie also hin!) eingesungen und Instrumente mit Gummihandschuhen bedient, die Tonspuren nachträglich mit dem Speichel von Corona-Infizierten benetzt. Was dabei rauskommen wird, wird man nur als eklektisch und vollkommen Banane bezeichnen können.

COLDPLAY

LOVE

Die einen hassen sie, die anderen sind Coldplay. Und die machen ihr Ding, als wäre nie etwas gewesen. »Love« ist das Album, das uns 2021 wieder auf alle Festivals rund um den Erdball begleiten wird – weil es in den Pausen dank der sponsernden Radiosender in Dauerschleife laufen wird. Ein Blick in die Titelliste verrät, worum es gehen soll: »Wonder«, »Life«, »Good«, »Love«, »u.v.m.«. Um Wunder, um das Leben an sich, um das Gute, um Liebe und vieles mehr. Besonders lieb ist, was sich Chris Martin und Co. (so heißt sein Bandkollege wirklich) überlegt haben: 0,008 Cent pro Platte gehen an wohltätige Zwecke der »Coldplay-Spotify-Love-Foundation«.

NO ANGELS

THE HITS

Nach ihrem Einzug in die Streamingservices war Popdeutschland im Homeoffice kürzlich ganz aus dem Häuschen. Das Retrofieber ging mindestens genauso rum wie Corona. Viele waren sich einig: Das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Die No Angels haben nicht lang gefackelt und sich zum sechzehnten Mal wieder zusammengetan. Diesmal gibt es alle bekannten Hits im Rockabilly-Stil. Danach sind geplant: ein paar Monate lang Abschiedstour, dann wieder Einkaufszentrum und Teilnahme an der »TV Total Stock Car Crash Challenge«.

BRUCE SPRINGSTEEN FT. BOB DYLAN

THE ENDLESS ALBUM

Mindestens so hilfreich gegen die Spaltung der Gesellschaft wie das Buch von Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge oder das Insta-Game von Benjamin von Stuckrad-Barre! Die »hottesten Musiker unserer Zeit« (Rolling Stone) haben sich für ein Combo-Album zusammengetan, auf dem sie den Irrsinn unserer Zeit entlarven, indem sie ihn gekonnt in Szene setzen – auf einem Album. Es handelt sich um 67 Stücke mit wahnsinnig sperrigen Titeln und unerträglichen Längen, was so wehtun soll, wie es die Pandemie tut. Und damit haben sie ein geniales Stück Musikgeschichte zu ihren Katalogen hinzugefügt. Da haben sie das eben nun auch noch gemacht. Album des Jahres, 10/10, 5 Sterne, Jurybestbewertung, auch wenn hier sonst gar nicht gewertet wird, Cover-Story nächsten Monat, Sonderheft.

HANS ZIMMER

THE PANDEMIC O.S.T

Den Film zu diesem Album gibt es nicht. Oder doch? Haben wir ihn nicht alle gesehen, erlebt, mitgestaltet und bald hinter uns? Vielleicht ist das ja mit dem Titel gemeint! Auf Hans Zimmers Pandemic-Collection befindet sich bisher unveröffentlichtes Material, weil er es vor kurzem erst zusammengeschustert hat. Und das ist unvergleichlich! Wenn man noch keine Filme mit Hans-Zimmer-Soundtrack gehört hat. Es erwarten einen imposante Kompositionen, große Klangräume, fantastische Themata. Und wenn man »Pandemic O.S.T.« anhört, auch noch diese Musik.

ROBERT HABECK

KUSCHELBUMS

Auch ER ging während der Pandemie in sich (und in andere …), zog sich zurück (und aus …), schloss die Augen (aber niemals den Mund …) und überlegte, was er Deutschland geben könnte (außer »es« …). Da kam ihm die Idee (und vieles andere …) – und er legte los. Entstanden ist eine Compilation aus Robert Habecks Lieblingssongs rund um das Thema Liebe und Zärtlichkeit. Eine fein kuratierte Zusammenstellung: Von »Let’s Get It On« (Marvin Gaye), »I’ll Make Love To You« (Boyz II Men), »I Want Your Sex« (George Michael), über »You Can Leave Your Hat On« (Joe Cocker), »Sex On Fire« (Kings Of Leon) bis hin zu »Liebficken« (Sofaplanet) ist wirklich alles dabei – und drin. Habeck verspricht, »Kuschelbums« allen deutschen Bürger:innen, die älter als 21 Jahre alt sind, persönlich nach Hause zu bringen – als Mixtape.

WEITERE KOMMENDE ALBEN:

  • FYNN KLIEMANN
    PRAKTIKUM IN DER PANDEMIE

  • DEINE FREUNDE
    SCHEIDUNG DER ELTERN / RAN AN DIE HAUSAUFGABEN (DOPPEL-CD)

  • BLÄCK FÖÖSS
    M’R SUFFE WIDDER EN COLONIA MET DEM DOM AM RHING

  • HERBERT GRÖNEMEYER
    ZEITUMDREHUNG / WANDELWIRKUNG / DEMOKRATIE

  • GUNS’N’ROSES
    CHINESE CONSPIRACY (ANGEKÜNDIGT)

Paula Irmschler

 

* nicht in diesem

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

 Hände hoch, Rheinmetall-Chef Armin Papperger!

Laut einem CNN-Bericht lagen deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten Hinweise zu russischen Plänen für einen Angriff auf Sie vor. So etwas nennt man dann wohl »jemanden mit seinen eigenen Waffen schlagen«!

Mörderpointe von Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster